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Künstlerin in Jena
Kunst, Krisen, Konsequenz – das Leben der Erika John

„Erika John – Alles ist ich“: Ausstellungs-Flyer 2018 | Foto: Ghostwriter123, CC0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=146221721
  • „Erika John – Alles ist ich“: Ausstellungs-Flyer 2018
  • Foto: Ghostwriter123, CC0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=146221721
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Sie lebte und wirkte viele Jahre in Jena – und wäre doch beinahe in Vergessenheit geraten. Dabei schätzen Kunstexperten sie als „Künstlerin von wenigstens nationalem Rang“. Eine Erinnerung an eine feinsinnige Persönlichkeit.

Erika John (* 1943 in Jena) war eine deutsche Malerin, Grafikerin und Bildhauerin. Sie kam in einer Arbeiterfamilie zur Welt, die zum kommunistischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus gehörte. Ihr Großvater war Josef Klose, Mitglied der thüringischen Widerstandsgruppe „Magnus Poser“. Erikas Eltern waren der Dekorateurmaler Willy John und Paula gebürtige Klose, sie waren zu Erikas Geburt noch miteinander verheiratet.

Im Jahr 1947 übergab die mittlerweile geschiedene Paula John ihre vierjährige Tochter dem sozialistischen DDR-Heimsystem, um sich frei von Mutterpflichten ausschließlich ihrer SED-Parteikarriere zu widmen. Erika lebte nach eigenen Angaben bis zu ihrer Volljährigkeit in acht Heimen. Sie litt unter der emotionalen Kälte dieser Heimkindheit; „Angst war der Grundton meines Lebens“, erinnerte sich Erika John später.

Werdegang
Erika John besuchte von 1961 bis 1963 in Dresden die Arbeiter- und Bauernfakultät für Bildende Kunst an der Hochschule für Bildende Künste Dresden. Ab 1963 absolvierte sie in Berlin eine Ausbildung zum Steinmetz. Von 1965 bis 1970 studierte sie Malerei und Grafik bei Jutta Damme, Günter Horlbeck, Gerhard Kettner und Paul Michaelis an der Hochschule für Bildende Künste Dresden.

Nach ihrem Studium arbeitete sie kurzzeitig im Büro für Städtebau Jena, ab 1970 war sie als freischaffende Künstlerin tätig. Sie unterrichtete von 1973 bis 1982 an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und hatte von 1983 bis 1987 einen Lehrauftrag an der „Burg“, der Hochschule für industrielle Formgestaltung Halle-Giebichenstein. Von 1973 bis 1990 war Erika John Mitglied im Verband Bildender Künstler, war als Kunstkurs-Leiterin und Ausstellungsmacherin tätig und erwarb so eine gewisse Bekanntheit – wie auch aufgrund ihrer bildkünstlerischen Arbeiten.

Erika John galt bis in die 1990er Jahre als eine Hoffnungsträgerin bildkünstlerischen Schaffens über Thüringen hinaus. Sie hatte sich in Jena und der Region ihren Ruf erworben als sensible Zeichnerin mit eigener Handschrift, als gesuchte Ausstellungsgestalterin und als von Kindern und Erwachsenen geschätzte Kursleiterin und Objektbildnerin. Darüber hinaus war sie – wie der Nachlass zeigt – eine experimentierfreudige, originelle Fotografin.

Bitterste Erkenntnis
Nach dem Tod der Mutter 1994 erfuhr Erika John aus Dokumenten das ganze Ausmaß des mütterlichen Verrats. Sie beantragte Einsicht in ihre Stasi-Akten, was ihr gewährt wurde: „Alles war, ist noch schlimmer als erwartet.“

Trotz ihrer guten Verwurzelung im Buddhismus erholte sich Erika John nicht mehr von der Erkenntnis, dass die ihr verhassten Heimaufenthalte aus Sicht der Mutter ihrer Erziehung zu einem ‚sozialistischen Menschen’ dienen sollten. Sie stürzte in eine Identitätskrise und reagierte mit Rückzug und Verweigerung.

Nach zahlreichen Ausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen zog sich Erika John ab Mitte der 1990er Jahre immer weiter zurück. Sie stellte ihre Arbeiten nicht mehr aus, mied Begegnungen, ließ Kontakte verkümmern und lebte wie eine Eremitin im Plattenbau-Hochhaus in Neulobeda, Jenas Trabantenstadt aus DDR-Zeit.

Freitod
Nach hochgradig traumatisierenden innerfamiliären Erkenntnissen – ihre Mutter hatte sie 1953 als Zehnjährige zeitgleich mit der eigenen Verpflichtung als Spitzel der DDR-Staatssicherheit in Erfurt als künftigen Kader in die Stasi-Kartei eintragen lassen –, einer zerbrochenen kurzzeitigen Liebesbeziehung, einem ersten Hörsturz 1983 und einem Haushaltsunfall 1990, der ihr dauerhaft die feinen Funktionen der linken Arbeitshand nahm und ihr künstlerisches Schaffen nachhaltig einschränkte, verlor Erika John zunehmend Zuversicht und Lebensfreude. Im Jahr 1996 war ihr erster Suizid-Versuch.

Vermutlich im Jahr 2007 nahm sich Erika John das Leben. Womöglich handelte es sich um einen Bilanzsuizid, um die – wie das folgende Zitat vermuten lässt – bewusste, lang geplante und gründlich vorbereitete Entscheidung der Künstlerin:

„Vierundsechzig Jahre Leben in vier Deutschländern sind genug. (…) Ich habe keinerlei staatliche Hilfe beantragt, keine Rente, bin nicht mehr versichert und habe den Personalausweis nicht erneuern lassen. Spareinlagen zur Begleichung der noch anfallenden Kosten sind vorhanden. Somit verabschiedet sich das Erziehungs-, Verwaltungs- und Mobbingobjekt E. John“ – so der letzte, undatierte Eintrag in ihren Aufzeichnungen.

Am 11. Februar 2008 wurde Erika John in ihrer Hochhaus-Wohnung in Jena-Lobeda tot aufgefunden, das Ordnungsamt hatte die Wohnungsöffnung veranlasst. Das genaue Todes-Datum war nicht mehr feststellbar; es lag nach amtlicher Feststellung „zwischen dem 1. März 2007 und dem 25. Januar 2008“. Es gibt Hinweise, dass Erika John offenbar um den 23. Juni 2007 aus dem Leben schied – das Datum war der Todestag ihrer Mutter.

Der amtlich angeordneten Bestattung am 13. Februar 2008 folgte am 27. März 2008 in Jenas Tagespresse eine Todesanzeige, die der Jenaer Kunstverein initiiert hatte. Die vier Erben – Kolleginnen von Erika Johns ABM-Stelle aus den frühen 1990er Jahren – übereigneten am 24. Juni 2013 den gesamten künstlerischen Nachlass dem Stadtmuseum und dem Stadtarchiv in Jena.

Œuvre
Bei der Sichtung des Gesamtwerks zeigte sich der Facettenreichtum der mehr als 1.000 Arbeiten: Zahlreiche Landschaftsstudien bilden ebenso einen Schwerpunkt wie die menschliche Figur als Motiv. In Porträts, Figurenstudien und Personengruppen bannt die Künstlerin das Innerste auf die Oberfläche und versucht, das Geistige sichtbar zu machen.

John schuf ein Werk, das geprägt ist von hoher Sensibilität für das Gesehene und von genauer Wahrnehmung von Zwischentönen. Sie experimentierte mit Techniken, Materialien und Stilen – ergänzt von wenigen Ölgemälden, die sich auf Menschen und deren Gesichter konzentrieren.

Ausstellungen
Zwischen 1974 und 1990 gab es zahlreiche Ausstellungen und Austellungsbeteiligungen von Erika John. Ihre Werke waren in Frankfurt/Oder, Gera, Heidecksburg, Rudolstadt, Dresden, Unterwellenborn. Burgk, Eisenberg, Stadtroda, Jena und Dresden zu sehen. Nach ihrem Tod folgten Ausstellungen in Dresden 2008, in Jena 2018 und in Dessau-Roßlau 2019.

Literatur
Mit Erika John und ihrem Werk befassen sich mehrere Publikationen. Die umfassendste ist mit 290 Seiten das Buch „Erika John: Mein Robbenloch im Eis – Tagebücher & Bilder“, das Ingeborg Stein und Manfred Jendryschik im Jahr 2013 herausgaben. Zur Ausstellung in Jena 2018 erschien ein 176 Seiten umfassender Katalog.

„Künstlerin von wenigstens nationalem Rang“
Der Schriftsteller Wulf Kirsten und Ingeborg Stein, Gründerin des Museums Heinrich-Schütz-Haus in Bad Köstritz und dessen langjährige Leiterin, empfehlen, die „Künstlerin von wenigstens nationalem Rang neu zu entdecken. Erika John, fremd in zwei Gesellschaftssystemen, entzog sich in ihrem letzten Lebensjahrzehnt der Öffentlichkeit, nachdem sie etwa tausend erstaunliche Zeichnungen in die Welt gesetzt hatte. Auch ihre Tagebücher geben hoch interessant Auskunft.“

Die feinsinnige Erika John tritt – wie von ihr angestrebt – hinter ihre Kunst zurück. Sie wird dabei – wie von ihr gewollt – nahezu unsichtbar. Das Werk der Jenaerin verdient zweifellos mehr öffentliche Wahrnehmung. Ganz sicher über Thüringen hinaus.

Foto im Internet mit Erika John:
https://www.otz.de/kultur/article219391955/Das-Werk-Erika-Johns-im-Blickpunkt-in-Jena.html

https://de.wikipedia.org/wiki/Erika_John
(dort auch Verzeichnis der Autoren; Textnutzung entsprechend Creative Commons CC BY-SA 4.0)

Autor:

Holger Zürch

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