Macht, Kirche und Staat
Thüringer Philosophietag beschäftigte sich mit Autorität
Von Doris Weilandt
Welchen Einfluss haben die Kirchen in der säkularen Gesellschaft der Bundesrepublik? Wie fühlt sich Macht an, wie verändert sie Mächtige? Das waren Fragen, die am 20. November auf dem Philosophietag in Jena diskutiert wurden. Einen Beitrag über »Autorität in der Politik« aus praktischer Sicht lieferte die ehemalige Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht. Ohne die »klassische Ochsentour«, den Aufstieg über Parteiverbände und Gremien, kam sie nach 1989 in eine Spitzenposition: »Ich wurde Ministerin in einem Ministerium, das es noch nicht gab.« Durch dieses Amt erwarb sich Lieberknecht genügend Autorität, über Jahrzehnte in Thüringen mitzuregieren.
Altbischof Christoph Kähler, der seinen Vortrag mit »Non vi, sed verbo« (Nicht mit Gewalt, sondern mit einem Wort) überschrieben hatte, ging zunächst in der Kirchengeschichte auf das Wort zurück, das solche Autorität entfaltete, dass ihm Tausende Christen folgten. Diese Macht wurde zur Versuchung, der die Kirche durch die Verbindung mit weltlichen Ämtern erlag. Von der Identität von Staat und Kirche bis zu ihrer Trennung war es ein weiter Weg. Auch die inneren Machtstrukturen unterzog Kähler einer genauen Analyse. Die kollektive Leitung, die sich Luther vorgestellt habe, gab es erst Jahrhunderte nach ihm mit der Synode. Doch räumte Kähler auch ein: »Wo Macht ausgeübt wird, gibt es Missbrauch, der nicht auf die oberste Kirchenebene beschränkt ist.« Deshalb müsse Macht überprüfbar sein, die Kirche brauche eine Gewaltenteilung.
Sein Gegenredner Klaus-Michael Kodalle, ein Philosoph, der sich besonders mit Ethik und Religion beschäftigt hat, betrachtete das Verhältnis von Staat und Kirche seit ihrer Trennung in der Aufklärung. Er sehe bis heute »Fermente eines Transfers« zwischen kirchlichen Persönlichkeiten und Politikern, die Bedarf an Werten haben. Dazu gehörten das Engagement für das Gemeinwohl, Ehrenämter und ethische Normen, die vom kirchlichen Bereich in den staatlichen einfließen und zu einer anerkannten Norm werden. Einen überproportionalen Einfluss der Kirchen sieht Kodalle in verschiedenen Gremien wie dem Ethikrat: »Wie kommt es, dass Kirchen einen quasi offiziellen Status erlangen?« Für den Staat tragen sie die Funktion einer »Moralagentur«, die in Fragen der Sterbehilfe, aber auch in Krisensituationen der Gesellschaft wie nach Attentaten, Desaster bewältigen könne.
Seit Jahren veranstaltet das Ethikzentrum der Friedrich-Schiller-Universität (FSU) Jena und die Thüringische Gesellschaft für Philosophie einen Thüringentag, zu dem wesentliche Begriffe des gesellschaftlichen Zusammenlebens aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden.
Autor:Adrienne Uebbing |
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