Zeugnisse vom aufrechten Gang im Untergrund
Neuerscheinung: »’89 Geschichten der Friedlichen Revolution« in der DDR
Von Michael von Hintzenstern
»Wir hatten uns nicht wirklich damit abgefunden, dass unser Freund Matthias ›Matz‹ Domaschk im Alter von 23 Jahren im April 1981 in der Geraer Stasi-U-Haft ums Leben gekommen war«, erinnert sich Roland Jahn, der heutige Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, in einem Beitrag für das Lesebuch »Interieur Underground«. Es vereint »’89 Geschichten der Friedlichen Revolution«, die in sehr persönlicher Weise von Ausgrenzung und Verfolgung erzählen. »Wir, das war eine Gruppe von jungen Menschen aus Jena, die sich außerhalb der staatlichen Strukturen gefunden hatte, um ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Wir hatten alle schon Erfahrungen mit den Grenzen der Freiheit im SED-Staat gemacht. Einige waren nicht zum Abitur zugelassen worden, andere von der Uni geflogen, dritte in kirchlichen Kreisen aktiv. Aber gemeinsam fanden wir unsere Stärke und nahmen uns die Freiheit, so zu leben, wie wir wollten.« Dieses Lebensgefühl eint die unterschiedlichen Texte, zu denen jeweils ein Bild gestellt ist. Zu sehen sind Alltagsgegenstände, Formulare, Kunstwerke, Fotos oder Collagen. Dem Thema ist seit Dezember zugleich ein neuer Ausstellungsraum im Lügenmuseum Radebeul gewidmet.
Roland Jahn, der nach seiner Verhaftung 1982 die Jenaer Friedensgemeinschaft gegründet hatte und im Juni 1983 gegen seinen Willen in die BRD abgeschoben wurde, berichtet über jene Reise, die für Matthias Domaschk und seinen Freund Peter Rösch in Jüterbog jäh endete. Auf dem Weg zu einer Geburtstagsfeier in Berlin, wo die SED ihren X. Parteitag feiert, werden sie am 11. April 1981 in Jüterbog aus dem Zug geholt und ohne Grund in die Stasi-Untersuchungshaftanstalt Gera gebracht. Fast pausenlose Verhöre folgen. Am
12. April 1981 ist Matthias Domaschk tot. Die Stasi spricht von Selbstmord.
»Bereits am Gründonnerstag, dem 16. April, findet die Trauerfeier statt, bei der die Stasi demonstrativ den Jenaer Nordfriedhof überwacht«, erinnert sich Katharina Lenski in ihrem Beitrag. »Noch am Tag der Trauerfeier wird der Leichnam eingeäschert. Vorher hat die Stasi dafür gesorgt, dass ihn keine ›unbefugte Person‹ genau anschaut. Peter Rösch darf sich nicht von seinem Freund verabschieden, sondern wird erneut zugeführt und verhört. Er wird von Stasi-Männern observiert und muss sich mit einem stigmatisierenden Ersatzausweis legitimieren.« Trotz alledem engagiert er sich bis zu seiner Ausbürgerung 1982 weiter in der Jungen Gemeinde von Jena. Auch ihm ist eine Erinnerung gewidmet.
Bezug über Lügenmuseum, Kunst der Lüge e.V., Kötzschenbrodaer Straße 39, 01445 Radebeul, Telefon (03 51) 33 45 58 48, E-Mail: luegenmuseum@gmail.com, 8 Euro
Autor:Online-Redaktion |
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