Streitgespräch zum Frieden
Sag, wie hältst du’s mit Waffenlieferungen?
Pazifismus: Die evangelische Friedensethik steht vor einer Zerreißprobe. Die Gretchenfrage lautet: Sag, wie hältst du’s mit Waffenlieferungen? Darüber diskutierten Christian Stäblein, der Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz und der Landesbischof der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland, Friedrich Kramer.
Wenn Sie bitte am Anfang noch einmal die Positionen deutlich machen: Bischof Stäblein, warum sind Sie für Waffenlieferungen?
Christian Stäblein: Zunächst will ich sagen: Vor allem anderen stehen die Bitte um und die Sehnsucht nach Frieden und unsere Aufgabe als Kirche, immer wieder für den Frieden zu beten. Wir tun das in den Kirchen vom ersten Kriegstag an, beispielsweise in der Berliner Kaiser Wilhelm Gedächtniskirche, die als Kriegsruine für den Schrecken des Krieges steht. Das ist unsere Kernaufgabe. Aber natürlich gehört auch dazu, uns zu politischen, gesellschaftspolitischen, friedensethischen Herausforderungen zu äußern. Es gehört zu unserer Verantwortung, Menschen, die dem schrecklichen Angriffskrieg Putins ausgesetzt sind, beizustehen mit Gebet, mit Hilfe für die Geflüchteten, aber auch das auszusprechen, was für uns überaus schwer und innerlich zerreißend ist: Dass Deutschland Waffen zur Unterstützung der Verteidigung liefert.
Bischof Kramer, Sie haben mehrfach öffentlich Waffenlieferungen kategorisch abgelehnt. In Ihrer Predigt beim Eröffnungsgottesdienst der EKD-Synode fügten Sie kurzfristig die Ablehnung in Ihr Manuskript ein. Warum?
Friedrich Kramer: Weil mich ein Techniker von einem Kamerateam fragte, was denn meine Position sei. Und ich habe gemerkt, dass meine Fragen meine Position voraussetzen, aber nicht erklären. Deswegen habe ich diesen kurzen Satz „Ich sage Nein“ eingefügt. Es ist für die Zuschauer wichtig zu wissen, wo ich da stehe. Zum Frieden zu rufen ist unsere erste Aufgabe als Kirche, denn das ist das, wozu Jesus uns auffordert. Allerdings ist das kompliziert, denn das, was Jesus da fordert, die Gewaltlosigkeit, können wir nicht der Ukraine offerieren. Das wäre zynisch. Die wichtige Frage, wie wir uns als ein Land in Europa verhalten, muss geklärt werden. Allerdings hängt die Verteidigungsfähigkeit der Ukraine nicht an deutschen Waffen.
"Was wäre denn ohne die europäische Unterstützung heute mit der Ukraine?"
Hat der fundamentale Pazifismus, der Leitgedanke des „gerechten Friedens“ in der evangelischen Kirche, seit dem Ukrainekrieg ausgedient?
Stäblein: Nein, aber ich denke, wir müssen die Positionen in der neuen Situation überdenken. Ich will auf Friedrich Kramer antworten: Keine Waffen zu liefern heißt, dass weiterhin getötet, vergewaltigt, gefoltert wird, in einem brutalen Maß, wie wir es uns nicht vorstellen können. Butscha ist zum Symbol für grausamste Kriegsverbrechen geworden. Was wäre denn ohne die europäische Unterstützung heute mit der Ukraine? Wollen wir die Menschen, aber auch die Grenzen und die Friedensordnung in Europa wirklich preisgeben? Ich habe einen hohen Respekt vor dem, was Friedrich Kramer sagt. Aber man muss auch immer schauen, was passiert, wenn man so handelt oder eben nicht handelt. Wir müssen zur Kenntnis nehmen: Putin und seine Kombattanten sind vollkommen rücksichtslos in ihrem Interesse und ihrer brutalen Kriegsführung. Russland hat weiterhin die Absicht, den ukrainischen Staat zu zerstören und die Ukrainer als Nation zu vernichten. Die EKD-Friedensdenkschrift von 2007 hat sich mit asymmetrischer Kriegsführung beschäftigt, aber nicht mit einem geoimperialistischen Angriffskrieg einer Großmacht.
Es ist doch nicht so, dass der Ukraine-krieg der erste Konflikt ist, den wir in der Kirche wahrnehmen. Aber plötzlich scheint aus Ungedienten und Verweigerern ein ganzes Heer an Militaristen geworden zu sein.
Stäblein: Also: Das mit dem Militarismus würde ich mindestens für meine Position und für die allermeisten, die so argumentieren, zurückweisen. Was wir an Gewaltlosigkeit für uns selbst erklären und festhalten, lässt sich ja nicht einfach für andere behaupten. Da wäre ich auch vorsichtig, das für ein Konzept Jesu zu halten. Wir haben sehr eindeutige Aussagen von ihm dazu, aber sie beziehen sich immer auf den Menschen selbst. Was für andere gesagt wird, muss verantwortungsvoll begründet werden. Es gibt Kriege an vielen Stellen auf der Welt, und das muss uns berühren, egal wo. Wir haben es aber jetzt mit einem Eroberungskrieg zu tun, der nur tausend Kilometer von uns entfernt im Osten stattfindet und der bis an die polnische Grenze heranrückt. Ohne die europäische Solidarität, glaube ich, hätten wir uns im Blick auf die Ukraine ganz furchtbar schuldig gemacht. Wir machen uns auch jetzt schuldig. Das gehört bei der Befürwortung von Waffenlieferungen immer dazu.
"Mein Pazifismus hat sich nicht auf dem Ponyhof, sondern in einer Stadt, in der 20 000 russische Soldaten stationiert waren, ausgeprägt"
Der Kirchenjurist Hans Michael Heinig spricht von „Ponyhof-Theologie“, wenn es um den Pazifismus geht. Bischof Kramer, ziehen Sie sich den Schuh an?
Kramer: Mein Pazifismus hat sich nicht auf dem Ponyhof, sondern in einer Stadt, in der 20 000 russische Soldaten stationiert waren, ausgeprägt. Ich finde dieses Lächerlichmachen pazifistischer Positionen nicht hilfreich. Ich habe genauso Respekt vor der Position von Christian Stäblein. Die Brutalität dieses Krieges steht außer Frage und auch, dass da etwas entgegenzusetzen ist. Das erste Opfer des Krieges ist die Wahrheit. Wir sind auch in einem ideologisch aufgeheizten Kampf.
Es ist ein Krieg, der schon acht Jahre läuft. In den acht Jahren hat Deutschland für über 300 Millionen Euro waffenfähige Güter an Russland geliefert. Am Anfang war klar: Wir liefern gar keine Waffen an die Ukraine. Dann hieß es nur Verteidigungswaffen. Plötzlich sollen wir die Spitze sein und schwere Angriffswaffen liefern. Das ist ein fürchterlicher, böser Krieg. Und die Frage ist, wie wir uns daran beteiligen, und wie nicht.
Stäblein: Natürlich ergreifen wir immer Partei. Auch die pazifistische Position, die sagt, ich möchte mich nicht zu einer Partei machen, macht sich zur Partei. Und das ist die Problematik, die sich jetzt auch in der Diskussion um die Waffenstillstandsforderungen zeigt. Jede Waffenstillstandsforderung findet ja nicht im kontextlosen Raum statt, sondern hat immer auch eine politische Zielsetzung. Wir haben in diesem Zusammenhang immer wieder Diskussionen, die andere Meinungen ganz schnell mit einem hohen moralischen Anspruch „aus dem Feld schlagen“ wollen. – Oh, es ist falsch, dass ich das jetzt militärisch ausdrücke. An der Stelle müssen wir sprachlich auf uns achten, dass wir gut miteinander reden können.
Wir sind jetzt im Politischen gelandet. Friedensbewegte Christen sind beunruhigt und verunsichert, weil ihre Kirche nicht mit einer Stimme spricht. Bischof Kramer, fühlen Sie sich eigentlich isoliert in der EKD mit Ihrer Meinung?
Kramer: Nein! Ich erlebe sehr viel Respekt und Achtung der Position, aber auch klaren Widerspruch, so wie wir das jetzt hier auch praktizieren. Die Frage, wie wir die Botschaft Jesu Christi in der Frage gewichten, ist für mich interessant. Es geht bei Krieg um Erfolg. Wenn man sich das Leben Jesu anschaut, dann ist es keine Erfolgsgeschichte im herkömmlichen Sinn. Er hat versucht, die Leute auf den Weg des gewaltfreien Widerstands zu bringen. Der Krieg gegen Rom ist trotzdem ausgebrochen. Jerusalem ist zerstört worden. Er selber endete am Kreuz. Das scheint keine Vorlage für den Weltfrieden zu sein. Und die Position ist realpolitisch schwer umsetzbar. Aber wenn jetzt versucht wird, die Verhandlungen und das Bemühen um Abrüstung der vergangenen 30 Jahre als Fehler darzustellen, ist das auch nicht zutreffend.
Was ist Ihre Zielvorstellung? Wie sollte der Ukrainekonflikt enden?
Kramer: Ich erwarte, dass Deutschland im Sicherheitsrat Vorschläge macht, um so schnell wie möglich die Gewalt zu beenden, z. B. die Schaffung eines entmilitarisierten Korridors, der möglichst mit nicht-europäischen Blauhelmen besetzt wird. So ähnlich, wie das mit den Golanhöhen geregelt ist.
Die Bibel ist voll mit Zitaten zum Frieden und nicht zu Waffenlieferungen. Welche Orientierung können Sie verunsicherten Christen geben?
Stäblein: Die Basis unseres Glaubens ist die Friedenssehnsucht und das Gebet um Frieden in der Nachfolge Jesu. Das steht für mich außer Frage. Allerdings muss man dann auch dazu sagen: Schon in der Bibel und in allen Jahrhunderten danach werden diese Sätze in einem Kontext gesprochen, der ethisch herausfordert. Ich kann es in dem einfachen Satz ausdrücken: Es gilt: „Du sollst nicht töten.“ Aber es gilt auch: Du sollst beim Töten nicht zuschauen. Du machst dich dann ebenso schuldig. Du tötest mit.
Ich glaube, dass wir viel mehr Kreativität bei Lösungsmöglichkeiten, nichtmilitärischen Druckmitteln und Friedensvorschlägen brauchen. Allerdings keine, die davon ausgehen, dass die Ukraine kein souveräner Staat mehr sein kann.
Wer sollte auf eine Kirche hören, die in dieser Frage so viele unterschiedliche Positionen vertritt?
Stäblein: Es gehört zum evangelischen Glauben, unterschiedliche Positionen zu vertreten, die ja im Fundament gleich sind. Wir kommen aus dem gemeinsamen Friedensgebet und gehen ins gemeinsame Friedensgebet. Und es gab jetzt hier auch keine zwei Meinungen zur grundsätzlichen Einordnung dieses Angriffskrieges. Wir sind gar nicht so weit entfernt, wie es vielleicht scheint.
Unsere Aufgabe als Kirche könnte auch die symbolische Geste sein, beispielsweise einer Friedensreise, um die Idee der Gewaltlosigkeit zu transportieren. Sie merken, die Positionen liegen nahe zusammen.
Würden Sie beide denn zusammen in die Ukraine reisen?
Stäblein: Gerne.
Kramer: Aber selbstverständlich.
Altbischof Axel Noack hat einen Neuanfang in der Friedensethik angeregt. Wie könnte die Friedensethik 2.0 oder die EKD-Friedensdenkschrift 2022 aussehen?
Kramer: Ich denke, es braucht keinen Neuanfang, sondern ein Weiterdenken. Genau dazu habe ich die Friedenswerkstatt gegründet, die einen umfassenden Konsultationsprozess zur Friedensethik im Raum der EKD organisieren wird, aus dem ein überarbeiteter oder neuer friedensethischer Grundlagentext hervorgehen soll. Wir wissen nicht, was in zehn Jahren sein wird. Vieles ist offen und unwägbar. Trotzdem müssen wir darüber nachdenken, was für eine gemeinsame Position wir haben, und beschreiben, wo die Differenzen liegen. Das aber mit einem hohen Respekt voreinander und in der Bindung an die Grundlagen unseres Glaubens.
Stäblein: Dazu gehört für mich auch anzuerkennen, wo wir Irrtümern aufgesessen sind. Beispielsweise die Vorstellung, die Atomwaffen würden garantieren, dass es keine konventionellen Kriege mehr gibt.
Hat sich die Kirche in der Vergangenheit "zu sehr" in der eigenen Blase bewegt?
Kramer: Na ja, vielleicht haben wir nicht richtig hingeschaut, etwa in Syrien oder beim Tschetschenien-Krieg. Das war eben zu weit von uns entfernt. Und wir müssen aufpassen, dass wir nicht weiteren Irrtümern aufsitzen, wenn jetzt um jeden Preis aufgerüstet wird. Ist es nötig, Milliarden in konventionelle Waffen für unsere militärische Sicherheit zu investieren? Oder war es ein Irrtum zu glauben, dass Russland übermorgen im Baltikum steht? Ich halte es nicht für sinnvoll, dass Deutschland die größte konventionelle Armee in Europa haben sollte.
Stäblein: Ich möchte den Irrtum noch mal theologisch fassen. Nicht mit dem Bösen zu rechnen, kann in den letzten Jahrzehnten ein Fehler gewesen sein. Ich stimme zu: Wir haben in Syrien nicht so hingeguckt, wie wir es hätten tun müssen. Wir haben die Geflüchteten hier aufgenommen, aber wir haben dem Elend, das Russland kräftig vorangetrieben hat, auch tatenlos zugesehen. Wir haben immer mal neue Grenzlinien gezogen, beispielsweise beim Einsatz von Chemiewaffen. Aber dem konventionellen Morden haben wir zugesehen. Wir haben dieser Struktur keinen Einhalt geboten und damit auch eine urchristliche Aufgabe vernachlässigt, nämlich die Eindämmung des Bösen. Das ist die Aufgabe, die in der Gabe der guten Gebote Gottes steckt, ihr erster Sinn, in der Tradition "usus politicus" genannt: Eindämmung des Bösen.
Kramer: Die Frage ist: Wer oder was ist das Böse? Für mich ist der Krieg das Böse, und der muss eingedämmt werden. Und deswegen braucht es auch eine klare Waffenruhe.
Stäblein: Da widerspreche ich. Der Krieg handelt nicht von sich aus. Er ist von Menschen gemacht. Wir wissen von Brecht und Mutter Courage: Irgendwann ernährt der Krieg sich selbst. Das ist schrecklich genug. Ich wehre mich dagegen, dass Täter und Opfer nicht beim Namen genannt werden, sondern alles in so einem großen Konglomerat von Krieg untergeht. Wenn in Syrien oder in der Ukraine Kinder ermordet werden, dann muss ganz klar benannt werden, wer Täter und wer Opfer ist. Da kann ich nicht verschleiernd von einer Art Eigenentität "Krieg" sprechen, an dem irgendwie viele beteiligt sind. Das muss man klarer beim Namen nennen.
Zum Schluss unseres Gesprächs möchte ich noch einmal das Thema vom Anfang aufgreifen: Was erwarten Sie von den Friedensgebeten?
Kramer: Ich erwarte zunächst, dass die Friedensdekade auch in diesem Jahr an Kraft gewinnt und, dass viele beten. Das Gebet ermöglicht mir, mich mit meiner Zerrissenheit, meiner Angst und meinen Fragen vor Gott zu zeigen. Im Gebet kann ich der Kriegsopfer gedenken. Und ich vertraue darauf, dass durch die Friedensgebete Frieden werden kann. Denn das ist meine tiefste Überzeugung: Wenn jemand Kriege beenden kann, dann ist das Gott.
Stäblein: Das ist auch meine tiefe Überzeugung. Beten wirkt, wenn auch nicht in direktem Automatismus. Gott ist kein Automat. Aber wir sprechen in Gottes Ohr. Und ich vertraue darauf, dass er uns zum Frieden führen wird. Dafür braucht es immer mehr Menschen, die diese Sehnsucht teilen und die Gebete mitsprechen.
Die Fragen stellten Benjamin Lassiwe und Willi Wild.
Autor:Online-Redaktion |
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