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Quintessenz: Es geht doch!

Gute Nachbarschaft: Landesbischöfin Ilse Junkermann und Kirchenpräsident Joachim Liebig bilanzieren in Magdeburg das Reformationsjahr. | Foto: Katja Schmidtke
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  • Gute Nachbarschaft: Landesbischöfin Ilse Junkermann und Kirchenpräsident Joachim Liebig bilanzieren in Magdeburg das Reformationsjahr.
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Premiere: Zum ersten Mal standen sie gemeinsam Rede und Antwort, die Landesbischöfin der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland, Ilse Junkermann, und Anhalts Kirchenpräsident Joachim Liebig. Im Gespräch mit Katja Schmidtke und Willi Wild ziehen sie eine Bilanz des Reformationsjubiläums.

Sind Sie froh, dass es nun endlich vorbei ist?
Junkermann:
Ich bin froh, dass es so gut gelaufen ist. Und dass wir so einen starken Doppelpunkt setzen für die vielen Jubiläen, die jetzt noch kommen. Aber ich bin auch froh, dass sich die großen Anstrengungen mit den Veranstaltungen gelohnt haben. Vieles ist gut gelungen. Wo es nicht gelungen ist, haben wir wichtige Erfahrungen gemacht.
Liebig: Für die Mitarbeitenden bin ich froh, dass das jetzt zu Ende geht, denn das war eine starke Belastung. Natürlich zugleich verbunden mit unerwarteten Erfahrungen. Ich erinnere an die Pfadfinderinnen und Pfadfinder und andere, die Urlaub genommen haben für die Kirchentage auf dem Weg, oder um in Wittenberg im Sommer dabei zu sein.
Wir wissen, dass so ein Enthusiasmus auch einen Spannungsbogen hat, und dieser Spannungsbogen geht jetzt zu Ende. Eines kann man sicherlich sagen: In diesem Jahr, und im Rahmen der Dekade, sind die Themen der Reformation bundesweit und darüber hinaus in den Blick gerückt worden. Ich hatte nicht erwartet, dass die Kirchengemeinden bundesweit das Thema so stark aufgreifen. Wir hatten gehofft, die kommen alle zu uns. Aber die waren so enthusiastisch, dass sie dann von Flensburg bis Berchtesgaden selbst ihren Luther entdeckt haben.

Was war Ihr persönlicher Höhepunkt in diesem Jahr?
Liebig:
Ein eindrücklicher Höhepunkt war für mich der Kirchentag auf dem Weg in Dessau mit dem Anhaltmahl auf dem Marktplatz und Tausenden von Menschen, die Gastgeber und Gäste waren. Bis heute werde ich gefragt: Wann macht ihr das wieder? Da sind wildfremde Menschen miteinander ins Gespräch gekommen, die sich gar nicht mehr trennen wollten. Das wird mir dauerhaft in Erinnerung bleiben mit der Quintessenz: Es geht doch!
Junkermann: Mir fallen verschiedene Höhepunkte ein. Die ökumenischen Gottesdienste, der Pilgerweg der Versöhnung durch Wittenberg im November 2015. Da haben wir uns klargemacht, wie viele Scherben wir angerichtet haben. Den ökumenischen Gottesdienst, den wir Himmelfahrt 2017 in Magdeburg am Elbufer gefeiert haben, in aller Öffentlichkeit, mit vielen neugierigen Nichtchristen. Anschließend haben die Gemeinden die Tische gedeckt. Und auch hier konnten sich Menschen begegnen. Das war bei den Kirchentagen auf dem Weg auch die Erfahrung in Halle, Weimar oder Erfurt. Dort, wo Kirchengemeinden als Gastgeber auf öffentliche Plätze gegangen sind und zum zwanglosen Gespräch bei Kaffee und Kuchen oder Herzhaftem und Wein eingeladen haben, war die Resonanz sehr gut.
Beeindruckt war ich auch vom Konfi- Camp vor den Toren Wittenbergs. Ich habe 1 500 Jugendliche begeistert und laut erlebt, die dann bei der anschließenden Andacht ganz konzentriert und ruhig mitgefeiert haben. Die Camps kamen bei den Jugendlichen so gut an, dass wir uns entschlossen haben, sie in den nächsten drei Jahren fortzuführen.

Was ist gefloppt, was hätte man besser weggelassen?
Junkermann:
Ich kann keine wirkliche Pleite benennen. Die absoluten Besucherzahlen bei den Kirchentagen auf dem Weg waren geringer als prognostiziert. Ich habe selbst erlebt, dass bei einer Podiumsdiskussion anfänglich nur eine Besucherin da war. Später wurden es dann noch 18, das war auch noch sehr übersichtlich, aber intensiv.Das ist für mich eine sehr wichtige Lernerfahrung. Die Menschen haben es satt, anderen bei der Diskussion zuzuhören. Sie wollen selbst beteiligt werden. Das traditionelle Kirchentagskonzept geht heute – zumindest bei uns – nicht mehr auf. Es geht nicht mehr um Masse, sondern um intensive Gespräche in kleineren Gruppen.
Liebig: Ich frage mich, woran liegt das eigentlich, dass in den Medien bundesweit pauschal über das Reformationsjahr geurteilt wird? Ich sehe hier ein Missverständnis. Kirchentag hat hier bei uns in Mitteldeutschland einen anderen Klang als in Frankfurt oder in Hamburg. Kirchentage waren immer Orte eines intensiven Bekenntnisses zu Zeiten des Kirchenbundes der DDR. Wer zum Kirchentag ging oder gar da öffentlich auftrat, musste gewärtig sein, das wird möglicherweise Konsequenzen haben.
Das heißt, Kirchentag ist nicht immer einfach ein »Happening« gewesen, was es auch im Westen nicht war. Aber im Grunde als Gattung eine problemfreie Form, von der dann die Vorstellung bestand, solche Kirchentagsformate nicht nur an einem langen Wochenende von Himmelfahrt bis Sonntag zu machen, sondern über den ganzen Sommer hinzuziehen. Und so kamen prognostizierte Zahlen letztlich auch zustande.
Nun hat sich gezeigt, dieses Format trägt nicht über so lange Zeit. Der Deutsche Evangelische Kirchentag wird sich fragen müssen, welche Formate sind zukünftig unter Beachtung der Erfahrungen in diesem Jahr erfolgreich.
Junkermann: Eins möchte ich auch ganz klar benennen: Es hat bei den Menschen hier großes Befremden ausgelöst, dass man für kirchliche Veranstaltungen Eintritt zahlen muss. 26 Euro für die Tageskarte, das war auch ein Faktor, warum so wenig gekommen sind. Es wäre sinnvoller gewesen, Spendenkörbchen durch die Reihen gehen zu lassen.
Liebig: Da ist das ursprüngliche westdeutsche Kirchentagsformat in unzulässiger Weise einfach übertragen worden. Zwei unterschiedliche Kulturen stießen und stoßen aufeinander.

Wo war die ostdeutsche Stimme bei den Planungen oder wurde sie einfach nicht wahrgenommen?
Junkermann:
Der Vorschlag zu regionalen Kirchentagen kam von uns in der EKM. Bei der gemeinsamen Auswertung mit den Beteiligten der mitteldeutschen Landeskirchen fiel immer wieder ein Stichwort: Ignoranz. Wir haben im Vorfeld darauf hingewiesen, dass die Planungen und Vorschläge des Vereins r2017 vielfach nicht mit unseren Erfahrungen gedeckt sind. Bei manchem haben wir überraschend gelernt, wie gut es ist, groß zu denken und zu planen, bei anderem hat sich unsere Erfahrung –
leider – bestätigt. Aber: Für uns alle
war das ein neues Format, so mit dem großen Festgottesdienst verbunden.
Liebig: Es gab und gibt einen großen Unterschied zwischen den volkskirchlich geprägten Gebieten in der EKD und einer Minderheitensituation, wie wir sie hier bei uns haben. Ja, es gibt Solidarität unter den Landeskirchen, wie sie beispielsweise durch den Finanzausgleich deutlich wird. Aber es schwingt immer auch mit: Wann ist es denn nun endlich bei euch so wie bei uns? Und da sage ich jetzt nach nunmehr 10 Jahren im Amt: Es wird nie so sein wie bei euch.
Der Ausgangspunkt im Osten war ganz anders. Wir werden gemeinschaftlich auf eine neue Situation zugehen, die wir noch gar nicht ganz genau beschreiben können. Diese Minderheitssituation wird also dauerhaft erstmal bleiben, wenn der Herr nicht eine Erweckung durch Mitteldeutschland wandern lässt, was immer möglich ist. Und es wird nicht so bleiben in den westlichen Gliedkirchen. In Hamburg war schon Ende der 1970er-Jahre nur eine Minderheit Mitglied einer Kirche. Die urbanen Zentren des Westens haben durchaus vergleichbare Situationen zu unseren. Aber das ist noch ein Tabu. Ich finde, dieses »ihr da drüben, wir hier« sollten wir hinter uns lassen.

Am Ende wird abgerechnet. Rechnen Sie mit Nachforderungen?
Junkermann:
Die Abrechnung der Kirchentage auf dem Weg ist im nächsten Frühjahr zu erwarten. Als Mitträger und Veranstalter sind wir natürlich in der Pflicht. Wir stehlen uns nicht aus der gemeinsamen Verantwortung. Ich fände es auch nicht angemessen, wenn wir uns zurückziehen: »Na, wir wussten es immer.«
Liebig: In der Summe ist das beträchtlich, was da geflossen ist. Viele fragen sich, ob dieses Geld nicht besser anderweitig verwendet worden wäre. Meine Antwort ist ganz klar: Nein! Ohne den Deutschen Evangelischen Kirchentag oder den Durchführungsverein r2017 hätten wir uns an diese Formate nicht herangewagt. Sie wären völlig undenkbar gewesen.
Wir wissen jetzt, wie es ist, als Minderheitskirche in die Mehrheitsöffentlichkeit hinauszugehen. Was funktioniert und was funktioniert nicht? Das mussten wir irgendwann auch mal wissen. Und jetzt wissen wir’s.
Junkermann: Ich bin überzeugt, dass es nicht am Geld hängt. Geld ist nur ein Indikator dafür, wo unsere Probleme sind. Es ist ein Irrglaube, zu denken, kirchliches Leben hinge an der Finanzierbarkeit. Kirchliches Leben hängt am Glauben. Und darüber sprachfähig zu sein, das ist die Aufgabe über das Reformationsjahr hinaus.
Liebig: Ich wage auch zu behaupten, dass an keiner Stelle jemandem etwas weggenommen oder vorenthalten wurde. Wir haben derzeit die komfortable Situation, dass die Einnahmen nicht rückläufig sind. Das Geld für das Reformationsjahr stand tatsächlich zur Verfügung.

Wie ist das Jubiläumsjahr in den Kirchengemeinden aufgenommen worden?
Junkermann:
In sehr vielen Orten und Kirchengemeinden hat man sich mit dem Reformator und der Reformation beschäftigt. Ich kann gar nicht alle aufzählen. Regionale Bezüge zur Reformation wurden hergestellt. Es gab vielerorts ganze Festwochen, die gemeinsam mit Vereinen und der politischen Gemeinde organisiert worden sind. Das finde ich sehr ermutigend.
Liebig: Ein Beispiel ist für mich das Zerbster Prozessionsspiel. Das ist ausschließlich von Ehrenamtlichen gemacht worden. Vom Bürgermeister, der nicht Kirchenmitglied ist, bis hin zu allen anderen Vereinen war der ganze Ort mit vielen Ortsteilen eingebunden. Die Veranstaltungen waren drei Abende ausverkauft. 400 Ehrenamtliche haben sich mit Kirche, Glauben und Reformation beschäftigt.

Reformation geht weiter. Was bleibt von diesem Jahr?
Junkermann:
Ich denke da vor allem an unsere Initiative »Offene Kirchen«. Ja, es geht langsam voran. Aber es ist auch gut so, weil die Kirchenältesten Zeit brauchen, sich damit auseinanderzusetzen. Wer den Schritt wagt, stellt mit Erstaunen fest, dass eine offene Kirche oft von Einheimischen und gar nicht so sehr von Touristen genutzt wird. Das ist ein gutes Zeichen. Und da wollen wir dranbleiben.
Liebig: Das sehe ich ähnlich. Wir müssen uns als Kirche öffnen und zu den Menschen gehen. Dass das funktioniert, haben die öffentlichen Veranstaltungen auf den Marktplätzen in diesem Jahr gezeigt.

Gute Nachbarschaft: Landesbischöfin Ilse Junkermann und Kirchenpräsident Joachim Liebig bilanzieren in Magdeburg das Reformationsjahr. | Foto: Katja Schmidtke
»Jeder bringt was mit«: Unter diesem Motto trafen sich die Menschen beim Kirchentag auf dem Weg in Erfurt zum interkulturellen Tischmahl auf dem Domplatz. | Foto: Diana Steinbauer
Autor:

Adrienne Uebbing

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