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Die prophetische Botschaft im Advent

Werner Krusche bei einem Vortrag auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag in Berlin 1989. | Foto: epd-bild

»Jesus ist im Kommen« verkündigte am 3. Advent 1968 in einem Ordinationsgottesdienst der damalige Bischof der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen, Werner Krusche (1917–2009), im Domremter zu Magdeburg. Seine Predigt über Lukas 3,1-9 ist noch heute aktuell.

Liebe Gemeinde!
An der Gestalt und der Predigt Johannes des Täufers, des prophetischen Zeugen an der Grenze zu der alten und der neuen Zeit, wird eines mit unerhörter Klarheit deutlich: Einer, den Gott beschlagnahmt hat zu seinem prophetischen Prediger, ruft den Leuten nicht etwas hinterher, sondern er ruft ihnen etwas von vorne zu, nichts, was sie sich auch hätten selber sagen können, sondern ein Wort aus der anderen Richtung.
Wem dieses Wort in Auftrag gegeben wird, der steht nicht im Dienste des Vergangenen, sondern im Dienste des Kommenden, der läuft seiner Zeit nicht hinterher, sondern der ist ihr mit dem ihm aufgetragenen Worte vorweg und ruft ihr zu, welche Stunde es geschlagen hat. Ich weiß freilich, dass es Prediger gibt, die eher einem Nachtwächter, als einem Propheten ähneln, und Gemeinden, die dahindösen und den Eindruck machen, als seien sie ein letzter Gruß aus dem 16. Jahrhundert. Und ich weiß vor allem, dass wir alle miteinander in Gefahr sind, unsere prophetische, nach vorn hin offene und von vorn her, nämlich von der Zukunft Gottes her, bestimmte Existenz zu verleugnen. Darum haben wir es alle dringend nötig, uns die prophetische Botschaft dieses 3. Advent zurufen zu lassen und ihr Gehör und Gehorsam zu schenken. Diese Botschaft lautet: Jesus ist im Kommen.
Weil Jesus im Kommen war, darum machte sich Johannes auf, um das den Menschen seiner Zeit anzusagen. Denn dass Jesus kommt, heißt ja doch: Gott streckt allen seine Hand entgegen, er macht allen das Angebot eines neuen, ganzen, heilen Lebens. Unser Leben soll mit Gott wieder ins Reine kommen und unser Leben untereinander soll wieder in Ordnung kommen. Unsere Vergangenheit soll bereinigt sein und unser Leben soll in die Zukunft Gottes hineinlaufen. Gott will wirklich alle. Keiner soll in seiner Heillosigkeit bleiben und darin umkommen.
Weil Jesus für alle kommt und zu allen will, darum müssen alle von seinem Kommen hören. Und darum musste Johannes aus der Einsamkeit in die Öffentlichkeit. Der Ruf des Herrn ergeht in der Stille, aber er ruft einen hinein in den Lärm des Tages, der Ruf des Herrn trifft einen in der Abgeschlossenheit, aber er belässt einen nicht dort, sondern er treibt einen dorthin, wo sich das Leben abspielt, wo die banale, so gänzlich unfeierliche Alltäglichkeit wohnt. Johannes richtet sich nicht eine Zelle, ein Sprechzimmer ein und wartet, bis die Leute zu ihm kommen, sondern er geht zu ihnen hin. Die Ansage, dass Jesus im Kommen ist, will Öffentlichkeit haben, weil sie alle angeht. Ob das von der Kanzel verkündigte Wort heute noch die Öffentlichkeit hat, die es haben will und haben muss, ist doch wohl keine Frage mehr. Da wird doch wohl einiges zu lernen sein von Johannes, der dorthin ging, wo seine Zeitgenossen wohnten. Das Kommen Jesu ist zwar in einem Winkel der Weltgeschichte geschehen, aber es ist alles andere als eine Winkelsache. Eine Winkelpredigt, wie wir sie heute weithin praktizieren, ist ihm völlig unangemessen.
Der Evangelist Lukas zählt mit größter Exaktheit die Namen derer auf, die damals die politische Macht ausübten: der Kaiser Tiberius, der Reichsstatthalter Pontius Pilatus, die Großfürsten Herodes, Philippus und Lysanias. Das ist nicht nur aus chronologischen Interessen geschehen. Damit will der Evangelist doch wohl sagen: Als diese Männer Geschichte machten, da hat Gott mitten in der politischen Geschichte seine Geschichte angefangen, sodass in der Tat die Weltgeschichte seitdem Geschichte mit Christus ist, denn der, dessen Kommen Johannes ankündigte, ist nicht – wie die Machthaber – gekommen, um wieder zu gehen, sondern er ist gekommen, um wiederzukommen. Er ist nicht zu einer Gestalt geworden, die in die Vergangenheit gehört, sondern er ist die Gestalt, der die Zukunft gehört. Die Weltgeschichte hat durch ihn ein Vorn bekommen, sie eilt auf den Tag zu, an dem alles an den Tag kommt, an dem er als der Kommende enthüllt, was er als der Gekommene erfüllt hat. Die Weltgeschichte schreitet auf eine Zukunft zu, in der endgültig herauskommt, dass in Jesus Gottes Liebe unterwegs gewesen ist in dieser Welt und dass der das Leben gewonnen hat, der sich von Jesus hat lieben und von ihm zum Weitergeben der Liebe hat bewegen lassen, und dass der sich um das Leben gebracht hat, der sich dieser Liebe verweigert hat. Jesus ist im Kommen, das verlangt eine totale Umkehr. Wenn Jesus im Kommen ist, dann muss aus unserem Leben weg, was sich mit seinem Advent und also mit seiner Gegenwart nicht verträgt. Dann kann ich nicht meinen Status quo retten wollen. Da geht es nicht ohne eine radikale Umkehr, ohne eine Umwandlung von Grund auf. Das kriegen die Leute zu erfahren, die zu Johannes kommen, um sich taufen zu lassen.
Man müsste eigentlich erwarten, dass Johannes sich freut und die Taufbewerber freundlich empfängt – die Taufziffern steigen; der Tiefpunkt der Gleichgültigkeit scheint überwunden zu sein. Es ist offensichtlich etwas in Bewegung geraten. Aber nein – er fährt sie unglaublich hart an (so hart darf nur einer sein, der die Menschen sehr liebt): »Ihr Otterngezücht, wer hat denn euch unterwiesen, dass ihr dem zukünftigen Zorn entrinnen werdet? Bringt Früchte, die der Buße gemäß sind!« Also: Meint bitte nicht, es genüge ein kirchlicher Akt! Meint nicht, Gott gebe sich damit zufrieden, weil die meisten Menschen nicht einmal mehr diese kirchlichen Handlungen begehren oder vornehmen! Gott ist nicht angewiesen auf Leute, die sich auf ihre Kirchlichkeit etwas zugutehalten: Kirchlichkeit kann immer noch Flucht vor einer ganzen, alles umfassenden Umkehr sein. Wenn Jesus kommt, ist es mit ein bisschen Religion nicht getan. Aber wir sollen jedenfalls wissen: Religiöse Handlungen, die mit unseren sonstigen Handlungen in der Gesellschaft nichts zu tun hätten, wären ein blanker Unfug! Religiöse Handlungen, die isoliert wären von unseren politischen Handlungen, ein Christentum, das nur in der Kirche
und zu Hause, nicht aber in der Schule und im Betrieb praktiziert würde, zählten vor dem kommenden Christus absolut nichts.
Er sucht Früchte, die der Buße gemäß sind, d.h. Lebensäußerungen, die sichtbar machen, dass in diesem Leben etwas radikal und total neu geworden ist durch ihn. Das wird sich immer in unserem Verhalten zu den Menschen zeigen, mit denen wir es in der Gesellschaft zu tun haben. Dabei wird es immer um ein paar sehr konkrete Dinge gehen.
»Die Wahrheit ist stets konkret«, hat Lenin gesagt. Das stimmt haargenau. So konkret, wie Johannes es den Soldaten sagt, die ihn fragen, wie bei ihnen die Früchte der Buße aussehen müssten. Er sagt ihnen nicht: Zieht eure Uniform aus! Wohl aber: »Schießt auf keinen Wehrlosen! Lasst euch nicht zu Werkzeugen der Unterdrückung machen!« Wo Jesus in ein Menschenleben kommt, da geht es immer höchst konkret zu. Da geht einiges auf keinen Fall mehr, und da muss einiges auf jeden Fall getan werden. Das heißt konkret: Wer zu Weihnachten eine Gans für 40 Mark isst, der gebe am 1. Weihnachtstag allermindestens 40 Mark für »Brot für die Welt«. – So konkret ist das. Aber wenn Jesus kommt, geht es nicht billiger; denn er ermöglicht und er will darum eine ganze Umkehr und d. h. immer eine Umkehr, die in ganz konkreten Lebensvollzügen sichtbar wird, und zwar immer genau da, wo man seine schwache Stelle hat, wo der Beruf seine besonders gefährlichen Seiten hat, wo der alte Mensch besonders zählebig ist.
»Es ist schon die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt; welcher Baum nicht gute Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen.« So also steht es mit uns – wie mit einem Baum, dessen Wurzeln freigegeben sind zum Hieb der Axt, der ihn fällt. Von dem kommenden Christus sind wir und ist die Kirche in eine äußerst kritische Situation gebracht. Wenn wir das Fällige hinausschieben, so verfällt unser Leben der Nichtigkeit. Jedes Heute hat letztes Gewicht. Es entscheidet darüber, ob unser Leben Zukunft hat oder nicht. Es gibt Dinge, die jetzt, die sofort getan werden müssen, für die es übermorgen zu spät ist. Wie vieles Fällige hat die Kirche immer wieder vor sich hergeschoben, bis sie schließlich von anderer Seite zu bestimmten Entscheidungen gezwungen wurde. Aber das waren dann keine Früchte der Buße, keine Taten der Umkehr, sondern Akte der Unfreiheit, die zu spät kamen und darum so gut wie nichts mehr bewirkten. Taten der Umkehr sind unserer natürlichen Lebensrichtung entgegen; sie stehen im Gegensatz zu unseren üblichen Lebenspraktiken; sie kosten darum immer ein Stück unserer Bequemlichkeit, unserer Karriere, unserer Lebenssicherungen.
Wo Menschen sich dem Bußruf öffnen und an der Stelle gehorsam werden, wo sie Gott bisher den Gehorsam verweigert haben, da verändert sich ein Stück Welt zum Guten, da wird ein Stück von Gottes Zukunft Gegenwart. Wer die Umkehr vollzieht und zur Umkehr ruft, ist der Welt nicht hinterher, sondern vorweg, der ist nicht von gestern, sondern von morgen.
Die Gemeinde der Umkehrer ist das Hoffnungsvollste, das es in dieser Welt gibt. Sie allein wird bleiben, wenn der Kommende kommt. Wohl uns, wenn wir zu den Umkehrern gehören!

Autor:

Kirchenzeitungsredaktion EKM Nord

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