Gottes Wort erweicht das Herz
Eine Meditation von Landesbischöfin Ilse Junkermann zur Jahreslosung 2017
So viel ist verhärtet in unserer Welt: Da bekämpfen sich Familienmitglieder »bis aufs Blut«. Da machen sich Nachbarn das Leben schwer. Da sind Gemeindekirchenräte über ihren Pfarrer frustriert – und die Pfarrerin über die müde Gemeinde. Da treten Gemeindeglieder frustriert aus der Kirche aus, weil sie den Weg der Kirche falsch finden, weil sie sich nicht mehr verstanden fühlen und sagen: »Jetzt reicht’s! Das ist nicht mehr meine Kirche!«
Aggression und Menschenverachtung
Und: Da tönen frustrierte Menschen – oder eher Menschen voller Ängste? – auf den Plätzen und Straßen unserer Städte und Dörfer Parolen voller Aggression und Menschenverachtung. Und schlagen auch zu, ja, jagen andere durch die Stadt oder überfallen sie gar in ihrer Wohnung, nur, weil sie anders sind und eine andere Hautfarbe haben.
Aber auch noch anderes macht das Herz hart: Wenn ein Mensch nicht vergeben kann; wenn einem Menschen all das weiter auf der Seele lastet und die Gedanken besetzt, was er an Verletzungen und Missachtung erfahren hat in seinem Leben, wenn es in ihm »schafft und schafft« und er es einfach nicht gut sein lassen kann.
Und besonders macht es das Herz starr, wenn ein Mensch Schlimmes erfahren hat. Wir nennen es »Trauma«. Wenn ein Mensch körperlicher oder psychischer Gewalt schutzlos ausgesetzt ist, gegenüber der ein Mann, eine Frau, ein Kind vollkommen ohnmächtig ist, sich nicht dagegen wehren oder vor ihr fliehen kann. Ein Trauma verschließt den Mund. Die Erfahrung ist so schrecklich, dass man gar nicht darüber sprechen kann. Alles Lebendige in einem erstarrt.
Mit hartem Herzen gegen alle himmelschreiende Not
Und wie hilflos haben mich, haben Sie die Nachrichten und Bilder von den erbarmungslosen Bombardements und Kämpfen »nur« um Aleppo gemacht. Was bis dahin völkerrechtlich eine unangefochtene Vereinbarung war – die Schonung von Zivilisten und zivilen Einrichtungen wie Krankenhäusern, die Möglichkeit eines »humanitären Korridors« –, wurde einfach so missachtet, mit hartem Herzen gegen alle himmelschreiende Not, gegen alle Hilferufenden aus dieser umkämpften Stadt.
Der Prophet Hesekiel und das ganze Volk haben eine solch schwer traumatisierende Erfahrung hinter sich. Im Krieg um das Land und die Stadt Jerusalem waren sie schlimmer Gewalt ausgesetzt, schließlich verschleppt, Tausende Kilometer ins Exil; auf dem mühsamen und anstrengenden Weg dorthin sind so viele Menschen gestorben, und so viele sterben weiter, nun unter der schweren Zwangsarbeit. Das Buch des Propheten Hesekiel ist voll von schrecklichen Bildern und Gewalterzählungen.
Und Hesekiel erfährt solche Ohnmacht und Gewalt am eigenen Leib. Er trägt – als prophetisches Zeichen – am eigenen Körper, wie es dem ganzen Volk ergeht. Und er erinnert an das Versagen des Volkes und seiner politisch Verantwortlichen. Eigensinnig haben sie ihre Politik gemacht, gegenüber den Großmächten taktiert, anstatt auf Gottes Wort, auf das warnende Wort der Propheten zu hören.
Diese Halsstarrigkeit, diese gegenüber Gottes Gebot und Weisung verstockten Herzen haben nun zu dieser Katastrophe geführt. Wird es jemals einen Weg heraus geben? Dafür gibt es keinerlei Anzeichen! Ja, Gottes Name selbst ist beschmutzt. Wie kann das jemals wieder gut werden?
Nach langer eigener Leidenszeit darf Hesekiel die Wende ankündigen: Gott selbst wird von Unrecht reinigen. Und nicht nur das Äußere, auch das Innere wird er heilen, ja, mit seiner Schöpferkraft erneuern: »Ich schenke euch ein neues Herz und lege einen neuen Geist in euch. Ich nehme das Herz von Stein aus eurer Brust und gebe euch ein Herz von Fleisch.«
Echter Neuanfang geht nur mit Gott
Eine so grundlegende Veränderung, wirklich Neues, einen echten Neuanfang, das kann nur Gott bewirken und schaffen: Ein lebendiges Herz, ein Herz aus Fleisch, ein Herz, das sich erweichen lässt, ein Herz, das offen ist für Gottes gutes Wort. Ein »hörendes Herz« hat sich einst König Salomo von Gott gewünscht (1. Könige 3,9), ein Herz, das auf Gottes Wort hört und ihm gehorcht. Genau darin lag Salomos sprichwörtliche Weisheit.
Egoismus, ganz auf sich selbst bezogen sein, nur das Eigene im Blick haben, eigensinnig sein, das macht das Herz hart – sei es im zwischenmenschlichen Bereich, sei es zwischen Staaten und Völkern. Gottes Wort erweicht das Herz. Sein Geist erfüllt mit Kraft und Leidenschaft für das Leben und alles Lebendige. Er bittet mit seinem Wort um
Frieden und Versöhnung, um Gerechtigkeit und Ausgleich. In seinem Sohn Jesus Christus begegnet er uns als dieses »eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben«, wie es in der 1. These der Theologischen Erklärung der Bekenntnissynode von Barmen aus dem Jahr 1934 heißt.
Das kommt für mich im Bild der Künstlerin Hildegard Corina Hug wunderbar zum Ausdruck: Ein Christusantlitz und ein Fingerabdruck. Christus schaut uns durch ihn hindurch an. Ein Fingerabdruck steht für das genetisch Festgelegte bei uns Menschen. Wir sind, wie wir sind. Einzigartig. Keiner und keine ist wie eine andere oder ein anderer. Und kein Mensch kann »aus seiner Haut«. Wir hinterlassen Spuren – schöne und schlimme. Wir sind verstrickt in Unrechtszusammenhänge. So denke ich bei diesem Bild auch an unseren ökologischen Finger- beziehungsweise Fußabdruck. Durch unseren Lebensstil hinterlassen wir unschöne, ja hässliche Spuren.
Wir verbrauchen mehr Ressourcen als nachwachsen: Derzeit braucht es pro Einwohner Deutschlands 4,6 Hektar Land, um die Rohstoffe für diesen Verbrauch zu erzeugen und die entsprechenden Abfälle aufzunehmen. Für eine nachhaltige Entwicklung, die die Schöpfung bewahrt, dürften es nur 1,8 Hektar sein. Doch wie schwer gelingt Umkehr! Wer lässt sich von solchen Zahlen bewegen? Sind auch unsere Herzen hart wie Stein, wie es der Prophet sagt?
Neues ist greifbar, Umkehr ist möglich
Christus schaut uns durch den Fingerabdruck hindurch an. Sein Blick und das Wort des Propheten versprechen: Durch Gottes Geist ist Neues für uns greifbar nahe. Umkehr zum Leben, zu Frieden und zur Bewahrung der Schöpfung sind möglich. Von ihm angesehen, sind wir nicht festgelegt auf unsere genetischen oder sozialen Prägungen. Sein Blick hält uns nicht fest in einer Identität, die aus der Vergangenheit gespeist wird.
Meine Verletzungen oder meine Schuld müssen nicht Gegenwart und Zukunft belasten. Der Geist Jesu Christi wandelt mein steinernes Herz in ein fleischernes um. Er verwandelt das Herz in ein Herz, das empathisch ist gegenüber dem Leid anderer; in ein Herz, das sensibel darauf achtet, was für mich selbst und für andere dem Leben dient; in ein Herz, das ein zartes Gespür hat für Gott, die Quelle des Lebens; in ein Herz mit offenen Ohren für sein Wort, das unseres Fußes Leuchte ist.
Gottes Geist wendet Herzen zum Guten
In diesem Jahr erinnern wir in besonderer Weise an Martin Luther und alle, die mit ihm waren: Wie sie gegen alle Zukunftsangst und Widerstände auf Gott vertrauten. Wie sie sich ganz darauf verlassen haben: Gottes guter Geist kann die Herzen zum Guten wenden. Das wollen wir von ihnen lernen. Uns nicht irremachen lassen. Gott etwas zutrauen. Dass er uns verändern kann. Von Grund auf.
Ja: Menschen können sich verändern. Die eben noch übereinander hergefallen sind, können gute Nachbarn werden. Die sich eben noch angeschrien haben, können still werden. Die sich eben nicht das Schwarze unter dem Fingernagel gegönnt haben, können freigiebig werden. Das gilt für Menschen, das gilt für Gesellschaften und für Staaten.
Kostbar ist das Geschenk, das Gott uns mit diesem Wort vom neuen Herzen für 2017 macht. Und wir können darum bitten, bitten mit dem Wort aus Psalm 51,12: »Schaffe in mir, Gott, ein reines Herz und gib mir einen neuen, beständigen Geist!« Ja, von Gott und seinem guten Geist werden wir gestärkt: mit einem Herzen, das hofft, mit einer Lebenseinstellung, die Vertrauen wagt.
Dieses neue Herz, diese neue Haltung wünsche ich uns allen für das vor uns liegende Jahr 2017!
Autor:Adrienne Uebbing |
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