Ein Zuhause auf Zeit
Magdeburger Kinderhospiz kümmert sich um schwerstkranke Jungen und Mädchen
Trisomie 21, Fehlbildung an der hinteren Schädelgrube, Wasserkopf, ein Loch in der Herzscheidewand, ein Darmbrand, Epilepsie … So heißen die Monster, die Krankheiten eines kleinen Jungen. »Mein Sohn heißt Joel Konstantin, der Starke. Unser Prinzibold«, sagt Benjamin, der Vater des Jungen. Seinen vollen Namen möchte er in der Zeitung nicht nennen, aber er möchte vom Leben mit Joel Konstantin erzählen. Joel Konstantin kann nicht sprechen, nicht greifen, nicht gehen, nicht sitzen, nicht essen – er wird es auch nie können, sagen die Ärzte. Er wird vor seinen Eltern sterben, obwohl er erst acht Monate alt ist.
Die Eltern Benjamin und Julia, beide 28, sind im emotionalen Ausnahmezustand. Benjamin vertraut auf Gott. Er weiß, dass das Leben des Kindes einen Sinn hat; egal, wie lang oder kurz es sei. Joel hat am 26. Juni 2017 das Licht der Welt erblickt. Er lebte die ersten drei Monate auf einer Intensivstation. Noch heute ist er verkabelt: wegen der künstlichen Ernährung, zur Bestimmung des Sauerstoffgehalts in seinem Blut, zur Hirnstrommessung.
Fünf Operationen hat er hinter sich. »Fünf Mal mussten wir damit rechnen, dass er es nicht schafft. Vor der dritten OP am Hirn bekam er eine Nottaufe«, so der Vater.
Die Familie wolle kein Mitleid, aber Verständnis. Was meint er? »Wir mussten uns schon anhören, dass wir das wegen des Pflegegeldes machen.« Und dann sei noch der Kinderintensivpflegedienst für Joel zu Hause ausgefallen. Kompetente Pfleger zu finden, sei schwer, aber sie sind nötig, damit die Eltern ihre Jobs nicht verlieren.
»Unser Sohn will leben. Er hat ein Recht auf Leben.«
Im April steht die sechste OP an. Vorher will die Familie Kraft und Mut tanken. Deshalb ist sie von zu Hause in der Nähe von Wittenberg nach Magdeburg in das Kinderhospiz der Pfeifferschen Stiftungen eingezogen. Nach Angaben der Pfeifferschen Stiftungen leben mehr als 50.000 Kinder in Deutschland mit Diagnosen wie Krebs, Muskelschwund oder Herz- und Stoffwechselleiden. Oft werden sie zu Hause gepflegt, von Familien, deren Belastung kaum jemand wahrnimmt.
Vor fünf Jahren, im März 2013, wurde das Kinderhospiz eröffnet. »Es sind die vermeintlichen Kleinigkeiten, die wir Familien anbieten können: Einmal eine Nacht durchschlafen, sich an den gedeckten Tisch setzen, mit dem Partner einen gemeinsamen Abend für einen Kinobesuch haben. Am Lebensende als Familie zusammen sein zu können, möglichst schmerzfrei zu sein und sich nicht um Haushalt oder die Organisation von Hilfsmitteln sorgen zu müssen«, sagt Franziska Höppner, Leiterin des Kinderhospizes. Simon Wanninger setzt sich zu Joel und seinem Papa ins Wohnzimmer. Der 29-Jährige ist ein Ehrenamtlicher, der einmal in der Woche im Hospiz Gitarre spielt. Und zwar »was mir gefällt, nichts Trauriges, Songs von den Beatles, Rolling Stones, also keine Kinderlieder«, sagt er. Wenn er auf der Gitarre spielt, reagiert der kleine Joel, sein Papa strahlt, der Student ebenso. Musik verbindet.
Was nimmt Simon Wanninger von hier mit? »Dankbarkeit, dass ich so einfache Dinge machen kann wie essen, laufen, reden.« Simon Wanninger ist einer von zehn Ehrenamtlichen, die den Familien im Hospizalltag zur Seite stehen. Hier suchen die Stiftungen weitere Unterstützung.
Seit der Eröffnung ist das Team auf 16 Pflegekräfte, zwei Psychologen, eine Sozialdienstmitarbeiterin und eine Hauswirtschaftsmitarbeiterin gewachsen. »Wir hatten in den fünf Jahren 350 Begleitungen von lebensverkürzend erkrankten Kindern. Zusätzlich waren 60 Geschwisterkinder bei uns. Viele davon sind immer wieder Gast im Kinderhospiz«, sagt Franziska Höppner.
Auch vor und nach der Zeit im Hospiz sei viel Kontakt und Beratung erwünscht. »Wir haben an die 3.000 Beratungsstunden am Telefon und in persönlichen Gesprächen geleistet«, ergänzt die Psychologin. Auch Spenden werden benötigt, denn das Kinderhospiz muss etwa 400.000 Euro pro Jahr aus Spenden decken. (G+H)
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