Kulturfundament der freien Gesellschaft
Ex-Verfassungsrichter Di Fabio über das Verhältnis von Glauben und Demokratie
Von Angela Stoye
Das Thema ist bereits ein Statement«, so Udo Di Fabio. Der ehemalige Bundesverfassungsrichter hob vor rund 250 geladenen Gästen beim traditionellen Ökumenischen Empfang der Kirchen in Sachsen-Anhalt in Magdeburg die Bedeutung des Glaubens für die Gesellschaft und die Demokratie hervor. »Das metaphysische Defizit. Wie viel Glauben braucht die freie Gesellschaft?«, lautete das Thema seines Vortrages. Die Meinung darüber, so der Jurist und Katholik, sei keineswegs einhellig. Für ihn sei der Glaube eine »antitotalitäre Rückversicherung« und die Glaubensgemeinschaften seien ein Stück »Kulturfundament der freien Gesellschaft«.
Di Fabio stellte die These auf, dass es in der Gesellschaft ein metaphysisches Defizit gebe. Es herrsche ein naturwissenschaftliches Weltverständnis. Vernunft werde mit empirisch zugänglichem Wissen gleichgesetzt und alles andere an den Rand gedrängt. Die Welt verliere durch die immer stärkere Säkularisierung ihren Zauber.
Di Fabio nahm das seit 1949 geltende deutsche Grundgesetz mit dem Gottesbezug in der Präambel und den Grundrechten in den Blick. In das Gesetz sei das Nachdenken über die Frage eingeflossen, was der Mensch ist, ob man die Gesellschaft nur wissenschaftlich betrachten könne oder tiefer schöpfen müsse. »Der Mensch ist zwar Mittelpunkt«, so Di Fabio, »aber nicht alles. Die Kompassnadel der Vernunft braucht einen magnetischen Punkt außerhalb.« Gott stehe in der Präambel für das andere, das Unerforschliche, das Metaphysische. Nach zwei Weltkriegen, Auschwitz und Hiroshima habe man erkannt: »Ein Mensch, der sich auf sich allein verlässt, geht in die Irre. Er braucht einen Horizont.« Oft werde vergessen: »Der reflektierte Mensch weiß, dass es noch etwas anderes gibt.«
Di Fabio mahnte, dass die Menschen in der westlichen Tradition sich nicht von ihrem historischen Fundament abkoppeln sollten. Zum Westen gehöre, dass die Menschen ihre Freiheitsrechte einforderten. »Das ist universelles Gedankengut, hinter das wir nicht zurückkönnen.« Der Bonner Universitätsprofessor Di Fabio betonte aber, dass der metaphysische Urgrund deswegen noch lange kein politisches Programm sei, dass der suchende Mensch keine einfachen Antworte fände und dass das Gebet um Erleuchtung keinen Masterplan liefere.
Eine Folge des metaphysischen Defizits in der westlichen Welt sei die Tatsache, dass Menschen ängstlich würden, wenn »andere kommen, die glaubensgewisser sind«. Die Verfassung lehre aber, die Menschen so zu nehmen, wie sie sind und keine »neuen Menschen« schaffen zu wollen, wie es in Diktaturen versucht worden sei. »Das sollten wir auch in einer ›soften‹ Form nicht wiederbeleben.«
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