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40 Kilometer Vergangenheit

Im Kirchenkreis Salzwedel pilgern Schüler in der Karwoche zur Gedenkstätte Isenschnibbe

Von Katja Schmidtke

Nur einen Tag vor der Befreiung durch die Amerikaner wurden am 13. April 1945 in Isenschnibbe bei Gardelegen 1 016 Menschen umgebracht. Die KZ-Häftlinge, die zuvor auf Todesmärsche durch den Harz geschickt worden waren, wurden in einer Scheune eingesperrt, das Gebäude in Brand gesteckt. Der Massenmord war das letzte Kriegsverbrechen in der Region – vergessen wurde es nie.
Die amerikanischen Truppen haben das Grauen dokumentiert. Zu DDR-Zeiten wurde eine Gedenkstätte errichtet. Zum 70. Jahrestag des Massakers vor zwei Jahren gab es einen Gedenkmarsch. Mitgelaufen sind damals auch viele Pfadfinder, erinnert sich Christel Schwerin. Die Gemeindepädagogin des Pfarrbereichs Mieste fand das eine Wiederholung wert, zumal der 13. April in diesem Jahr in die Passionszeit fällt. Vor allem aber, weil sie in ihrer Arbeit mit Jugendlichen bemerkt hat, dass geschätzt nur ein Drittel weiß, was in Isenschnibbe passiert ist. »Frieden und Demokratie sind keine Selbstläufer und es ist auch unser Auftrag, Leiden nicht vergessen zu machen und darauf hinzuweisen, wo Menschen heute noch leiden«, sagt Christel Schwerin. Deshalb bietet der Pfarrbereich Mieste einen Schüler-Pilgerweg zur ehemaligen Feldscheune an. Konfirmanden und alle anderen interessierten jungen Leute können vom 11. bis 13. April auf eine 40 Kilometer lange Reise durch die Region und ihre Geschichte gehen. Pfarrer und Angehörige von Zeugen des Verbrechens wollen mit den Jugendlichen ins Gespräch kommen. Zwischen den Begegnungen soll auch das Pilgern und die Einkehr in Kirchen Zeit und Gelegenheit zur Reflexion geben. Außerdem wird gesungen, gebetet und gelesen. Christel Schwerin rechnet mit 30 bis 50 Teilnehmern. Sie zahlen einen Unkostenbeitrag. Der Großteil der Kosten, die für Übernachtung und Verpflegung anfallen, deckt das Bundesprogramm »Demokratie leben«.
Am 13. April werden die jungen Leute in Isenschnibbe ankommen und an der offiziellen Gedenkveranstaltung teilnehmen. Neben dem Ehrenfriedhof mit 1 016 Kreuzen erinnern heute Infotafeln an das Massaker. Der Fußboden der Scheune ist erhalten geblieben und aus übrig gebliebenen Steinen wurde eine Wand wieder errichtet. »Das spiegelt die Erinnerungskultur der 1950er- und 1960er-Jahre wider«, sagt Gedenkstättenleiter Andreas Froese-Karow von der Stiftung Gedenkstätten in Sachsen-Anhalt. Seit Jahren gibt es Pläne, die Gedenkstätte umzugestalten. Sie werden mit dem Haushaltsbeschluss des Landtags Realität: Rund 2,85 Millionen Euro stellt das Land für dieses und nächstes Jahr zur Verfügung. Mit dem Geld soll ein Besucher- und Dokumentationszentrum mit Büros, Seminar- und Ausstellungsräumen entstehen. Das eröffnet neue Möglichkeiten für die pädagogische Arbeit. Auch eine neue Dauerausstellung wird erarbeitet. »In Deutschland gibt es viele Gedenkstätten, aber keinen Ort, der sich explizit den Todesmärschen widmet. Isenschnibbe steht dafür exemplarisch«, sagt der Gedenkstättenleiter.
Der Eintritt bleibt kostenlos. Bislang gibt es keine Statistik darüber, wie viele Menschen Isenschnibbe jährlich besuchen. Andreas Froese-Karow rechnet damit, dass es nach dem Umbau einige Tausend sein werden. Auch Gemeindepädagogin Christel Schwerin hofft, dass sich der Pilgerweg etabliert und sich junge Menschen alle zwei Jahre auf den Weg machen, um an Vergangenes zu erinnern und daraus Schlüsse für die Gegenwart ziehen.

Autor:

Kirchenzeitungsredaktion EKM Nord

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