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Aus den Gesetzen der Grammatik
Der Beweis der Auferstehung

Naumburg

„Ich werde tot gewesen sein.“ Genauso solle es auf dem Steinmal eingemeißelt stehen. Leberecht Gottlieb, emeritierter Lehrer der Landesschule in Pforta, hatte sich mit dieser Bitte an den Oberpfarrer von Naumburg gewandt. Erst schriftlich und nun stand er auch persönlich vor der Oberpfarre der alten Domstadt. Ob das wohl möglich sei - Gott bewahre, nicht schon jetzt … Aber irgendwann einmal, in ferneren Tagen? Als Grabsteindenkspruch!

Der Geistliche bat Gottlieben in seine Studierstube. Bald waren die Herren in ein Gespräch geraten, das es in sich hatte. Man schrieb den Tag der heilige Gertrud von Helfta, den 17. November 1855 - etwa hundert Jahre nach Lissabon. Der Friedhof Naumburgs an der Saale hatte eine Ordnung, eine Satzung - und beileibe nicht alle Sprüche waren für den würdigen Gottesacker erlaubt. Der Pfarrer legte dem Lehrer Gottlieben deshalb nahe, in Übereinstimmung mit der Tradition der heiligen Kirche den Denkspruch anders zu formulieren. Etwa: „Ich werde auferstehen!“

Aber der alte Gottlieb schüttelte vehement sein Haupt, wobei er ausrief: „Lieber Bruder im HERRN, gerade von dieser Auferstehung weiß ja niemand wirklich etwas.“ Er für seinen Teil wolle nicht nur den Glauben verkünden, sondern auch das, was man sicher wisse. Übrigens auch aus Schuldigkeit Kanten gegenüber, mit dessen Büchern man sich Jahrzehnte lang hartnäckig habe „in Gott habe hineinzweifeln können”. Die Form „Ich werde tot gewesen sein“ als futurum exactum von „ich werde tot sein“ bedeute ja sonnenklar, dass es sogar mit dem Totsein einmal würde vorbei sein müssen. Wie mit allem anderen auch. Mit dem Ausdruck „ich werde tot sein!“ fing zwar alles an. Aber dann, wenn das Totsein erst einmal würde vorbei sein, könne der ihm nachfolgende Zustand ja nichts anderes bedeuten, als eine Art sonderbar-anderes Leben. Nicht wahr? Nebenbei und zusätzlich wäre das endlich auch so etwas wie ein Auferstehungsbeweis ex lege grammaticae - aus dem Gesetze der Grammatik.

Der Oberpfarrer staunte. Lange hatte er nicht mehr tiefsinnig theologisch arbeiten können und die Bücher der Gelehrsamkeit unter die Bank legen müssen. Die täglichen Aufgaben der zu verwaltenden Superintendenz trugen die Schuld an diesem beklagenswerten Übel. Während die alte Wanduhr zum Brummen einer am Fenster verendenden Fliege tickte, versuchte der Oberpfarrer Gottliebens Satz zurück zu übersetzen in das geliebte Latein. Fuero mortuus - oder so ähnlich. Ich werde ein Toter gewesen sein - aber es gelang ihm nicht. Wie staunte er über den alten Lehrer, über dessen Satz - und - über sich selbst.

Der Oberpfarrer war in Begeisterung geraten. Und deshalb rief er seinem greisen Besucher zu: „Recht habt ihr, lieber Freund. Euer Satz ist - wenn zwar nicht besser - so doch einleuchtender als das „Ich werde auferstanden sein“. Dieses müsste man nur glauben, Euern Spruch jedoch kann man zusätzlich auch wissen. Freilich, zuerst stimmte mich euer „Ich werde tot gewesen sein!“ verdrießlich. Aber dann merkte ich, wie die Grammatik des Seins stärker wirkt als die Gesetze der Unterwelt. Ich danke Euch sehr und bitte Gott, euch noch lange bei uns hier in der Stadt am Leben zu lassen.

Autor:

Matthias Schollmeyer

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