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vom Tode Kurt Globnichs
Altes und Neues von Leberecht (21)

… ach - wir sind viel zu schnell nach vorn geeilt mit dem Bericht aller Ereignisse. Und haben dabei fast vergessen, vom Tode Kurt Globnichs zu  berichten. Das soll nun, damit der Leser nicht in Verwirrung gerät, mit pünktlicher Verspätung nachgeholt werden... Also - in den nächsten Kapiteln erfahren wir nun, wie Leberecht Gottlieb damit beginnen wollte, über seinen alten Lehrer Kurt Globnich etwas aufzuschreiben. Was heißt etwas? Alles!  Der Leser muss jetzt sehr stark sein. Denn er wird Dinge erfahren, von denen ihm Hören und Sehen vergehen ... 

Als es ans Sterben ging, kam Kurt Globnich ins Hospiz. Das Schicksal hatte ihm vor einigen Jahren schon die Frau genommen, der Sohn Friedrich hatte sich jahrzehntelang nicht gemeldet und die alten Genossen waren sowie schon tot. Nun war er selber dran. Dass es aber dermaßen weh tun würde, hätte Kurt Globnich nicht gedacht. Dass Materie so weh tun kann!
Globnich hatte alles kennengelernt. Hitlerjugend, danach FDJ, Mitglied in der SED, wieder ausgetreten – dann die Rentnerbusreisen in der bunten Zeit. Ganz früher war er auch mal Ministrant gewesen – im Sudentenland. „Geheimnis des Glaubens – kling, klang, klong …“ Das war schön. Damals. Vor der Vertreibung. Flüchtling in Mitteldeutschland und ausgelacht. Der Mundart wegen. Mit der Kirche hatte Globnich längst gebrochen. War es sein Name oder das Schicksal oder freier Wille? Kurt Globnich glaubte nicht, dass er etwas glaube. Er wusste aber, dass er nun sterben würde. Die Befunde, die Röntgenbilder. Mit in das Hospiz nahm er ein Hochzeitsfoto, das Foto vom Elternhaus und sein kleines Lieblingsheftchen aus dem Dietzverlag, von dem „Anteil der Arbeit bei der Menschwerdung des Affen.“

Wenige Tage blieben ihm noch, und immer wieder las er gern in dem Heftchen des Fabrikantensohnes Friedrich Engels, der zwar nicht mit ihm am selben Tag Geburtstag feierte, aber dessen Vornamen Kurt seinem eigenen Sohn gegeben hatte. Friedrich Globnich - geboren am 28. November 1957.

Es ging am Anfang besagter kleinen Schrift um die Physiologie der Hand und um Hände sowieso. Die Affen schleudern zwar Steine nach ihren Feinden, aber sie vermögen nicht, mit ihren Händen Werkzeuge herzustellen, wie die Menschen es tun, wenn sie arbeiten. Globnich lag in seinem Bett, das Heftchen in den alt gewordenen zitternden Händen.
Eine Palliativschwester kam. Dunkles Gesicht, dunkle Augen, ganz lange, dunkle schwarze Haare. Fremde Sprache. Andere Kultur. Sie nimmt die rechte Hand Globnichs in ihre Rechte. Sitzt einfach da. Summt irgendein Lied. Fremd. Wer ist das? Im Gegenlicht schimmert die hohe Gestalt wie aus einer anderen Welt. Globnich hört wie von fern eine sympathische Stimme: „My name is Frederique.“ Englisch also … Das Grün von Draußen und das Braun der Haut und das Gold des Lichts. Sie kommt sieben Tage lang – und hält Kurts Hand und summt das Lied. “Das ist halt ihre Arbeit“ denkt Globnich. Dass das so gut tun könnte, hatte er nicht gedacht. Bewusstsein hilft der Materie! „Geheimnis des Glaubens – kling klang, klong.“

Am achten Tag früh morgens kommt sie das letzte Mal - um ein Gebet für Globnich zu sprechen. „Das glob ich nicht“ wollte Kurt gerade noch sagen, aber er kam nur bis „das glob ich …“ Genau in diesem Augenblick nahmen die Engel seine Seele aus der Hand der fremden gütigen Frau Frederique. Weil er ja zum Schluss aber deutlich gesagt hatte, „das glaube ich“ (wenn auch im Dialekt), führten die Geflügelten den Entschlafenen zum leise gemurmelten Gesang der Frau Frederique in die Himmel hinauf. Das Wort „NICHT“ aus dem Satz Globnichs war - sich selbst verstummend - zu Boden gefallen. Und wurde am Morgen von einer Putzfrau weggewischt. Auf diese Putzfrau - überhaupt auf Putzfrauen - sind wir ja bereits zu sprechen kommen.  Am Himmelstor angekommen, stand da aber nicht Petrus (das ist Quatsch, dass der da stehen soll). Das Tor ist sowieso offen. Aber ein Schild hing dort. Darauf stand: „Willkommen Kurt!“ Und was geschrieben steht, steht geschrieben.

Aber nein. Nein, nein und nochmals nein - das ging alles zu schnell und war eben doch zu positiv. Globnich sollte vorher noch richtig was abbekommen - seine Rettung geschah dem Leberecht Gottlieb irgendwie viel zu rasch. Er brühte sich einen Tee auf - schaltete die Playlist mit den Wagnerovertüren ein, setzte sich bequem und dachte nach. Und immer, wenn er nachdachte, vermischte sich in seinem Denken Kindheit, Ewigkeit und Zukunft unentwirrbar mit der Vergangenheit ... es ging wohl nicht anders.

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mehr von Leberecht Gottlieb hier

Autor:

Matthias Schollmeyer

Webseite von Matthias Schollmeyer
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