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der schnelle Brüter
Altes und Neues von Leberecht Gottlieb (30)

Leberecht Gottlieb, der für Kurt Globnich - oder besser gesagt gegen Globnich - einen Strafroman zu schreiben gedenkt, musste mit diesem Vorhaben einige Wochen pausieren. Eine unangenehme Angelegenheit war dazwischen gekommen, hatte alle Konzepte durcheinander gewirbelt, dem Autor viel Zeit geraubt und Nerven gekostet. Was war geschehen?

Man war verklagt worden ... Die Kirchengemeinde St. Eustachius im sächsischen Plötnitz, für die der Pfarrer Gottlieb mit verantwortlich war, hatte mit einem ihrer Grundstücke Ärger erregt und in Folge dessen selber Ärger bekommen. Bei dem betreffenden Grundstück handelte es sich eigentlich nur um eine nichtige Ödlandfläche, die aber ihrer offensichtlichen Unverwendbarkeit wegen mit sogenannten Windenergieanlagen ausgerüstet werden sollte, um der bewegten Luft Kräfte abzuziehen und somit dazu beizutragen, das Abschmelzen der Eisberge im Polarmeer, wenn doch nicht ganz zu verhindern, so doch wenigstens zu verlangsamen helfen. Die Firma RotEnErg - eine Firma, die sich sozusagen in Windeseile gebildet hatte, um die in Aussicht gestellten staatlichen Fördermittel rechtzeitig abgreifen zu können - hatte in Aussicht gestellt, die die Kirchengemeinde wegen “Verfassungsschutzrelevanter Delegitimierung des Staates“ verklagen zu wollen. Wie das?

Nun - es war ganz einfach. Leberecht Gottlieb lehnte das Ansinnen von RotEnErg kurzerhand ab und äußerte sich extrem negativ hinsichtlich der allerorten im Schwange befindlichen „Wind-Müll-Ideologie“ . Ohne den Gemeindekirchenrat in dieser Sache vorher zu befragen oder wenigsten so zu tun, als ob er das Gremium noch hätte bei der Entscheidung beteiligen wollen, sprach er sehr hässliche Worte in den Telefonhörer und zog damit den Zorn mehrerer engagierter Aktivist*innen besagter Firma auf sich, die dem Gespräch alle mit zuhörten, ohne dass Leberecht das wusste. Die Sache wurde richtig unangenehm, als sich verschiedene junge Leute aus Protest gegen den renitenten Klimaleugner und weißen alten Klerikermann schon sehr bald nach dessen ablehnendem Verhalten vermittels mehrerer Tuben Sekundenklebers am gotischen Schnitzaltar des denkmalgeschützten Kirchengebäudes St. Eustachius in Plötnitz festklebten und nicht eher zu weichen versprachen, als dass der Gemeindekirchenrat der von ihnen beabsichtigten Errichtung des Windparks durch RotEnErg zugestimmt hätten.

Der Pfarrer Leberecht Gottlieb hatte an diesem Tag enorm viel um die Ohren und beauftragte deshalb die Küsterin, die unangenehme Protestaktion rasch zu beenden, zumal in der Kirche am Abend ein Konzert stattfinden sollte - Chopins Preludes 20 bis 25 standen auf dem Programm ein paar Flötensonaten von Händel und die Klaviersonate 32 C-Moll von Beethoven. Die Küsterin war allerdings ebenfalls unter Zeitdruck und bat einen ihrer weitläufigen Bekannten, sich der dummen Angelegenheit anzunehmen und mit den jungen Angeklebten zu verhandeln. Dieser Bekannte jedoch war ein durchaus rabiater Zeitgenosse. Er trug das Herz zwar auf der linken Seite, gleichzeitig aber auch am rechten Fleck. Die Festkleber*innen hat dieser Mann also sehr unsanft und ohne Rücksicht auf deren mit körperlicher Arbeit noch nie Bekanntschaft geschlossen habender Klimaaktivistenhände von der spätgotischen Figurengruppe rabiat fortgerissen. Dabei waren wohl auch Hautpartikel der drei Halbwüchsigen namens Malte, Thorben und Pia-Margaret an dem blattgoldbeschichteten Schleierwerk der kunstvoll verfertigten Predella des Altars zu St. Eustachius haften geblieben - gleichzeitig wurde auch das Schnitzwerk in Größenordnungen beschädigt, da es sich bei dem Kirchenhinauswurf, der in etwa der Tempelreinigung Jesu glich, aus seiner Verankerung gelöst hatte und auf dem Steinfußboden des Kirchengebäudes in tausend Teile zersplittert war.

Die Anwälte der Klebstoffchaoten waren geübte Leute, verstanden ihr Fach und verklagten die Kirchengemeinde nun auf Schmerzensgeld in Größenordnungen. Auch schaltete sich sehr bald die Staatsanwaltschaft ein, denn Leberecht Gottlieb hatte der Firma RotEnErg am Telefon spöttisch und eben in angeblich staatsdelegitimierender Weise Auskunft hinsichtlich der verfehlten Energiepolitik des Vaterlandes geben wollen bzw. seine Zustimmung zu dem Unsinn der sogenannten "Wind-Müllerei als solche in Bausch und Bogen verweigert. Zwischen zwei Seelsorgebesuchen am Handy penetrant immer wieder angeläutet, drängelnd befragt und durch die junge Öffentlichkeitsverantwortliche von RotEnErg fast schon genötigt, wollte Leberecht der Bitte um einen langfristigen Nutzungs- oder Pachtvertrag für Windmühlen durchaus nicht entsprechen, sondern verweigerte seine Mitarbeit am Projekt schlichtweg und ohne ausführliche Begründung definitiv. Jedoch stellte er mit höhnischem Unterton in Aussicht, dass man das Kirchenland sofort zu guten Bedingungen hergäbe, wenn darauf ein schneller Brüter errichtet werden würde - und zwar eben schnell. Diese Art von En-Ergon, führte er dann weiter aus, sei überhaupt die beste, weil vom Schöpfergott in die Eigenart der spaltbaren Atome superschwerer Elemente absichtlich hineingelegt. Das wäre auch die Bedeutung des griechischen Wortes En-Ergie. Ein Werk (Ergon), das im Inneren (en) des Atoms schlummere und nur darauf warte, freigelassen zu werden. Man solle also nicht dem Windgott Äolos seine paar Fürze aus der Luft abzuhaschen versuchen, sondern dafür lieber den grundlastfähigen Gott Pluton anzapfen, welcher im Plutonium - wie der Name schon sagt - Wohnung genommen habe. Man wisse ja hoffentlich, oder wisse es eben nicht, dass und wie es dem Odysseus schlecht ergangen sei, als seine Gefährten den Sack des Äolus geöffnet hätten? Gut - man wisse es bei RotEnErg also nicht! Klar - woher auch. Wahrscheinlich habe man seine Schulausbildung aus Klimasorgen bereits lange vor dem Abiturzeugnis abbrechen müssen. Kernkraft aber - das sei die Lösung für die weltweiten Energie- und Wärmeprobleme. So der Pfarrer.

Zudem hätte Gottlieb - so die Kanzlei der Klägerpartei - während seines Rundumschlags am Telefon merkwürdige Anspielungen hinsichtlich des Namens der Firma RotEnErg durchscheinen lassen - was oder wer das denn sei: RotEnErg. Die geduldige Erklärung der freundlichen Mitarbeiterin aus dem Öffentlichkeitsressort der Firma habe er gar nicht erst anhören, sondern unter Absonderung wüstester Verschwörungsnarrative einen Zusammenhang einer grünen verdienstvollen Politikerin mit ehemals aus Israel stammenden und seit langer Zeit in den USA wohnenden Bankiersfamilien herstellen wollen. Dieses Telefongespräch habe man mitgeschnitten - könne also beweisen, was man behaupte. Auch die Denkmalbehörde mischte später noch eigene Karten ins Spiel - denn das zerbrochene Schleierwerk sei in seiner zerstörten Tatsächlichkeit auf das grobfahrlässige Verhalten des Vorsitzenden des Gemeindekirchenrates - Leberecht Gottlieb in eigenster Person - ursächlich zurückzuführen, weil dieserbereits seit Jahren schon das sichere Verschließen der unter seiner Verantwortung stehenden Kirchengebäude verboten, sämtliche Schlüssel eingezogen und in seinem Büro unzugänglich aufbewahrt habe. Die Rädelsführerin der klagen wollenden Parteiung hieß mit Namen übrigens Martina von Hirtpfüffel.

Die Bestandteile dieses sonderbaren Namens passten nun eigentlich aber so gar nicht recht zusammen. Denn der Name Martina ist eine aus tiefster DDR-Zeit stammende Mädchenbezeichnung. Und das Geschlecht derer von Hirtpfüffel dem Gothaer blaugeblütigem Nachschlagewerk  völlig unbekannt. So entschloss sich Leberecht Gottlieb, die Person dieser Martina von Hirtpfüffel, welche ihm zu dem ohnehin schon über Hand genommenen Alltagsunbill zusätzlich noch Kummer bereitete, ebenfalls zur Hölle fahren zu lassen - oder in die Helle Globnichs zu versetzen. Sofort ließ er sich herbei, der Frau von Hirtpfüffel ein langes und interessantes - nicht ganz frauenfreundliches aber auch nicht besonders misogynes Kapitel zu widmen. Indem er es niederschrieb, merkte er, wie ihm leichter ums Herze wurde. Er ahnte nicht, dass durch das Schreiben etwas entstand, was ihn später würde selber einmal hart werde betreffen müssen. Denn die Gesetze der Zahlen, Zeichen und namen sind wirklich - und wirken.

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Autor:

Matthias Schollmeyer

Webseite von Matthias Schollmeyer
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