was alles schon war - Rückblick
Altes und Neues von Leberecht Gottlieb (39)
Bevor wir die vierzigste Folge des interessanten Berichts aus dem Leben des Pfarrherrn in Ruhe Leberecht Gottlieb aufblättern, sei uns gestattet, Rückschau zu halten. Was ist bisher alles geschehen? Wir erinnern uns: Eines Tages erreichte folgender Brief unseren Helden Leberecht Gottlieb. Der Brief kam aus dem Kirchenamt in Dresden - direkt in das Altersheim "Abendsonnenfrieden." Dieser Brief gab Folgendes zu lesen:
Sehr geehrter Herr Pfarrer,
nachdem die Gott sie Dank nunmehr überall im Abklingen begriffene Virenpandemie die Bevölkerung unser Erdplanetin mutlos gemacht und in Folge dessen alles Gemeinwesen, Kultur und Religion verwüstet darnieder liegen, ist es ebenfalls verhältnismäßig still um unsere Mutter Kirche geworden, der Sie seinerzeit im Ordinationsversprechen sich haben verpflichten wollen.
Die Vereinigten Collegia der Landeskirchen haben sich nun entschlossen, besonders auch solche Projekte finanziell und personell zu unterstützen, deren erklärtes Ziel es ist, auf anderen Planeten Raum zum Siedeln zu erkunden. Nicht zuletzt deswegen, weil doch die christliche Mission mit dem heiligen Paulus seinerzeit von Asien nach Europa übergegriffen, ist es auch heute unsere Aufgabe, uns hinaus zu den Sternen aufzumachen, um die Botschaft von der Rechtfertigung aus Glauben ebenfalls anderen Geschöpfen als den uns bisher bekannten darzureichen und nicht zuletzt deswegen, um dort draußen die Zelte der Zivilisation - mit Gottes Hilfe - neu aufzuschlagen.
Bei dieser anspruchsvollen Kampagne werden kirchliche Mitarbeitende an vorderster Front stehen mit dabei sein. Ein Schuldbekenntnis dergestalt, dass wir in den verstrichenen Zeiten nicht genug gedacht, gebetet und bekannt haben, ist bereits in Vorbereitung und wird kurzfristig verlautbart werden. Die Vereinigten Collegia haben eine Steuerungsgruppe für die umfangreichen Planungen des Projektes „Zu den Sternen!” eingesetzt. Was früher unmöglich schien, ist heute Möglichkeit geworden. Zu den Sternen zu reisen ist Nächstenliebe. Es gilt, klare Kante gegen die Gleichgültigkeit zu zeigen. Mut statt Unmut. So heißen die drei Slogans, die sie in Flyern, Bannern, Plakaten und Handreichungen demnächst in den Verlautbarungen unserer Kirche und ihrervOrgane lesen werden. Dem Steuerungsgremium gehören hochrangige Spezialisten aus vielen geistes- und naturwissenschaftlichen Disziplinen an. Machen Sie mit!
Die Steuerungsgruppe sucht beherzte Pfarrpersonen mit langjähriger Seelsorge- und Amtserfahrung, die sich für das Projekt „Zu den Sternen!” einzusetzen bereit sind. Für den 24.6.2049 laden wir auch Sie, sehr geehrter Herr Pfarrer, zu uns nach Dresden in das Kirchenamt ein.
Mit freundlichen Grüßen
für die Steuerungsgruppei.A. Undine von Bergengruen
Leberecht lehnte sich in seinem Sitz zurück. Und zündete sich eine Zigarre an. Das war im Haus Abendsonnenfrieden zwar verboten - aber man machte schon eine Ausnahme bei dem Herrn Pfarrer, der seine auskömmliche Pension seit Jahren hier absetzte und zu diesem Zwecke aus dem Westen wieder in den Osten zurückgekehrt war, weil - aber das soll an anderer Stele einmal gesondert erzählt werden.
Leberecht dachte kurz nach und wählte dann die Telefonnummer seines alten Studienkollegen Friedrich Diethold. Es stellte sich heraus, dass auch der ebendenselben Brief erhalten hatte. Friedrich Diethold konnte den etwas weltfremden Leberecht, der immer noch in der hellenistischen Antike zu leben schien, betreffs des Sachverhalts „Zu den Sternen!” noch etwas ausführlicher aufklären und ihm einige wichtige Dinge verständlich machen, was er dann auch ausführlich tat.
Den Lesern müssen wir anständigerweise an dieser Stelle noch mitteilen, dass die ganze Geschichte, die eben berichtet wird, im Jahre 2049 spielt. Leberecht ist also durchaus von dieser Welt, noch nicht in der Hölle, sondern verzehrt seine Pension. Das technische Wissen der Menschheit konnte sich inzwischen verzehntausendfachen - und man hatte es tatsächlich vermocht, bereits längst verstorbene Fachgenies, Spezialisten und universitäre Koryphäen mit Hilfe des bekannten zu Endor vermittels buntfabelhafter Künste praktizierenden Weibes bitten zu lassen, einen nicht unwesentlichen Teil der Schirmherrschaft für das Pilotprojekt zu übernehmen (1.Sam 28). Die via endoris Befragten hatten ihre Unterstützung vom fernen Jenseits aus gegeben - „gern“ lautete ihre entgegenkommende Antwort. Einige theoretische Physiker, Epidemiologen aus der Zeit Robert Kochs, ein paar jesuitische Neothomisten, der bekannte Paartherapeut Venzeslav Ducduc, welcher zugleich einige Semester als Raketenwissenschaftler dilettiert hatte und eben auch jener Werner Heisenberg, von dem wir schon oben Bericht gegeben hatten, erklärten sich bereit, via endoplasmatische Teleportation zur Verfügung zu stehen. Somit bestand die Steuerungsgruppe aus sechs lebenden und sechs den Tod im Schattenreich bereits überlebt habenden „Personen”. Nicht alle Namen werden - vornehmlich aus Pietätsgründen - hier genannt.
Man konnte bekanntlich, so Leberechts Kommilitone Friedrich Diethold, seit einiger Zeit tatsächlich (wenn auch mit Unwägbarkeiten und sogar unangenehmen Unpässlichkeiten) in die Vergangenheit reisen, um dort etwa Fledermäuse aus asiatischen Sumpfgebirgen rechtzeitig unschädlich zu machen. Auch vermochte man bereits die Zukunft zu entern, um daselbst nachzuschauen, ob - und wenn ja, wie - jene missliche Virenpandemie, unter der alle noch ächzten und welche das Schicksal der Erde so nachhaltig und zugleich nachteilig tangiert hatte, letztendlich dann ausgegangen sei.
Es war also tatsächlich allen Unkenrufen zum Trotz doch ein Weg gefunden worden, die Raum/Zeit-Schranke ohne sehr große Schwierigkeiten zu überwinden. Technisch war zwar noch nicht alles ganz sicher, noch nicht alles war geklärt - aber Not kennt kein Gebot. Ein Raumzeitgleiterschiff namens „Travel4Stars” war zusammengebaut worden. Und nun suchte man nur noch nach einer geeigneten Person, die das Gefährt ungeachtet aller Gefahren besteigen würde, um sich hinaus an die Ecken des Seins, an die Enden des Nichts, an die Schwelle des Abgrunds zum Unbekannten zu begeben.
Dort mochte es vielleicht gar wirklich liegen - das sonderbare Neotanien. Ja - Utopia galt es zu entdecken, mit dessen Koordinaten zurückzukehren - und damit einer Umsiedlung und Evakuierung verbliebener williger Erdlinge den Weg zu bereiten. Soviel von Friedrich Diethold - und Leberecht hatte gestaunt.
Friedrich Diethold übrigens - er antwortete dem Kirchenamt in Dresden mit einer höflichen Absage und drückte sein ehrliches Bedauern aus - unter Zuhilfenahme vieler Formulierungen in sächsischem Kanzleistil. Er verwies etwa auf die gesundheitlichen Handicaps und Behandlungen, denen er sich regelmäßig zu unterziehen hatte. Leberecht aber fuhr in das Kirchenamt, er nahm dazu die Straßenbahn, weil er ja ohnehin in Dresden wohnte und sonst auch nichts anderes vorhatte. Ja - das kennen wir alles schon - aber eine gewisse Rückblende und Vorausschau auf das noch Kommende sei uns an dieser Stelle erlaubt.
Leberecht bekam also diesen Brief vom Kirchenamt. Und machte sich dann brav auf die Reise hinaus in die Strudel der Zeit, kam nach Jerusalem und war Zeuge der Auferstehung Jesu. Er erlebte die letztren konvulsiven Zuckungen der verfassten Landeskirchen, und beginnt in Folge dessen damit, seine Erinnerungen niederzuschreiben, ehe die tatsächlichen Realia, auf die sich die Erinnerungen beziehen, von irgendwelchen Zeitreisenden verändert und damit gelöscht werden könnten. Er beginnt mit zwei besonders groben Stories, an Hand derer jeder ablesen kann, wie die Not nicht nur geniale Geister heraufbringt, sondern auch ihr Gegenteil.
Leberecht berichtet von seiner Stundentenzeit und dem gesuchten Gottesbeweis aus der Unbeweisbarkeit Gottes, er lässt uns alle tief in seine Kindheit schauen, berichtet vom bösen Feind Kurt Globnich und gesellt dem eine problematische Avatarin namens Gender zu. Diese beiden schickt er in die Hölle - und landet schließlich selber dort, weil alles das, was wir anderen zufügen, wir uns genauso selbst antun. Meistens … In der Hölle trifft er Heisenberg, dem er im nächsten Kapitel die Geschichten von Erich Przywara und Martin Luther erzählen wird. Auch von Svenny wird berichtet werden müssen, von Svenny, der die Zeitmaschine erfand und durch schicksalshafte Fügung ein Büchlein entdeckte, das sich dann schon bald als maßgeblich für den Fortgang der ganzen Geschichte herausstellen wird. Leberecht erinnert sich auch an seine Zeit im Tübinger Seniorenstift und an seinen großen Kreuzzug, der der Kirche noch einmal Atem einzuhauchen schien. Er lässt uns teilhaben an seiner Arbeit als Vertretungspfarrer in Sachsen und dem Lutherjubiläum 2017. berichtet überhaupt ein paar Details aus der interessanten Welt der Lutherforschung - in Sonderheit bezüglich der fabelhaften Marie-Katharina zu Rahnsdorf. Schließlich lässt er viele Erinnerungen aus seinem aktiven Dienstleben vor unseren Augen Revue passieren, dessentwegen er von den Nachkommen der auf diese Weise ins Licht der Öffentlichkeit gezerrten Zeitgenossen vor dem Kosmischen Rat verklagt wird, ehe er schließlich selber endlich auf sonderbarste Art und Weise unter die Sterne versetzt werden wird und seine Heimkehr und Rechenschaft vor dem Thron des Allerhöchsten in zahlreichen ergötzlichen Anekdoten und zur absoluten Freude der englischen Hierarchien zum Besten gibt.
Manches von dem haben wir bereits kennen gelernt - das andere wird uns nach und nach dargetan werden …
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