Jacques Derrida - 15.Juli 1930 in Algier
die Zeichen und der Name
Am 15. Juli hatte Jacques Derrida Geburtstag, der französische Philosoph und Dekonstruktivist. Was ist Dekonstruktivismus? Ja nun - der frankophone Intellektualismus und seine Elite hatten bereits mindestens seit 1789 jede Menge interessanter Köpfe hervorgebracht. Seitdem will in Frankreich Philosophie keine Wissenschaft im Sinne dessen sein, was der große Haufe weiter nördlich als Wissenschaft hat verstanden haben wollen. Französische Philosophie - was ist das? Es sind lange Gespräche am Kamin bis tief hinein in die Nacht mit viel Pastis und croissantem Gebäck, bei Gegenwart leise vorüber streichender Frauen in seidenen Kleidern, verhaltener Musik und irgendwie trotzdem brutalen Revolutionsgelüsten. Widerspruch gegen alle und keinen und - man verstehe es recht - das waren jetzt Komplimente.
Wer an dieser Charakterisierung französischer Philosophie zweifelt, lese einmal Immanuel Kants Kritik der reinen Vernunft und parallel dazu die Grammatologie des algerisch-französischen Sepharden Jaques Derrida, der heute Geburtstag hat und fast den Nobelpreis für Literatur erhielt - den bekam dann aber Elfriede Jelinek und für Derrida blieb als Trostpreis der Tod in Paris. Das sind so Sachen!
Was hat er gemacht, der hübsche Mann mit den weißen Haaren und den großartigen Theorien? Derrida beschrieb zum Beispiel recht ausführlich und sogar genau, wie anfänglich nicht etwa das Schriftzeichen eine abgeleitete Funktion des gesprochenen Wortes gewesen sein mag, sondern umgekehrt das Schriftzeichen als primäre Spur anzusehen wäre - und dem Zeichen der gesprochene Laut dann gefolgt ist. Genau sowas ist es, was wir an den französischen Strukturalisten und Poststrukturalisten, ihren Konstruktionen und Dekonstruktionen schätzen: Sie machen das Allerunmöglichste zum Gegegenstand beharrlich unversöhnlich kreativer Hirnarbeit, machen alles anders und bringen Bewegung in die ermüdenden Kausalketten des Nachdenkens über sich selbst als Denken.
Man mag sich fragen - warum genau steht ein solcher Geburtstagstext hier in dieser kleinen Kirchenzeitung, die mit wenigen Mitteln treu aus Thüringen sehr gekonnt auf den Rest der Mitteldeutschen Landeskirchenwelt wöchentlich ausgreift? Das nun hat mit dem kommenen Predigttext zu tun, der aus dem Alten Testament stammt und folgendermaßen lautet:
„Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein! Wenn du durch Wasser gehst, will ich bei dir sein, und wenn du durch Ströme gehst, sollen sie dich nicht ersäufen. Wenn du ins Feuer gehst, wirst du nicht brennen, und die Flamme wird dich nicht versengen.” (Jesaia 43,1b-2)
Es gibt hier eine interessante Beobachtung, die zwar nicht von Derrida selbst stammt, aber die hochgegriffenen Ideen seiner Grammatologie stützt. Dass also der Buchstabe nicht etwas Totes ist, durch welches das lebendige Wort nachträglich abgebildet wird, sondern der Buchstabe lebt und das Leben des Wortes ermöglicht. Im Hebräischen lautet das Wort für „Name” Schem (שׁמ) und wird mit den beiden Konsonanten SCHIN (שׁ) und MEM (מ) geschrieben. Gleichzeitig steht das Schriftzeichen SCHIN (שׁ) für Feuer und das MEM (מ) für Wasser. Das ist ein uralter Zusammenhang, den die Kabbalistik spätestens seit Jehuda ben Samuel ha-Levi bezeugt. „Name” (שׁמ) wäre also eine Zusammensetzung aus den beiden Elementen Feuer (שׁ) und Wasser (מ) . Interessant ist nun weiter, dass der mit seinem wahren Namen (שׁמ) durch den Propheten bzw. dessen Auftaggeber (Gott selbst) Angesprochene durch die beiden Bestandteile seines Namens (Wasser מ und Feuer שׁ) hindurch gehen kann, ohne dass diese beiden Urelemente ihm Schaden zufügen können - der Name besteht ja selber aus ihnen beiden.
Sind also die Schriftzeichen in ihrer inneren Logik bzw. Grammatologie doch noch ganz anders als wir Jahrhunderte lang dachten? Liegt der Geist der Schriftzeichen gerade nicht! nur in den vielen gesprochenen Worten, sondern in einer nach Derrida viel zu wenig geachteten lebendigmachenden Zeichenhaftigkeit?
Dekonstruktion und Grammatolgie sind natürlich glitzernde Begriffe, die Derrida selber erfand, um dem Denken etwas zu geben, was es ihm möglich macht, aus dem Gefängnis des Üblichen auszubrechen, und um die Fülle dessen, was beim Sprechen und Schreiben und Verstehen des Gesprochenen und Geschriebenen geschieht, sichtbar zu machen. Die meisten von uns werden an diesen Köstlichkeiten nur nippen wollen - und in die Welt des seit Platon üblichen Einheitsdenken zurückkehren müssen. Dort treffen wir uns alle wieder. Aber der Mann aus Algier und später Paris hat uns die alte Theorie der Kabbalisten heute vielleicht plausibler gemacht. Dass nämlich erst die „Zeichen der Namen” da waren und sich dann ihrer Ordnung gemäß, wo dieselbe von Gott gedacht und dann ausgesprochen wurde, der Pfad des lebendigen Geschehens seine Spur unbeirrbar durch die Geschichte bahnte, und dieser Weg teilweise sogar erkennbar geworden sein könnte ....
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