Schlüsselkurs 2024
HIMMEL & HÖLLE
Das Pastoralkolleg in Drübeck erfreute soteriologisch Interessierte bereits im vergangenen Jahr mit seiner Ankündigung eines speziellen Weiterbildungskurses zum Thema besonderer Art. Es sollte nämlich um HIMMEL UND HÖLLE gehen. Näheres >> hier <<. Ging es dann ab dem Tag des Heiligen Maurus auch, der wie unser Meister über das Wasser gelaufen sein soll. Im Folgenden ein paar Filetstücke zum unerschöpflichen Thema, das neben unleugbarem Ernst auch schon immer großen Unterhaltungswert hatte - denken wir nur an Dante Alighieris Divina Commedia. Und bis auf den heutigen Tag auch noch hat, Stichwort Herr der Ringe und Harry Potter. Gibt es wirklich sowas wie einen Himmel und eine Hölle? Und was meinen wir eigentlich, wenn wir sagen: "ES GIBT etwas?"
Weil die zuletzt genannte (erkenntnistheoretisch anmutende) Frage während der Tagung uns nur im Hintergrund leiten konnte, haben wir der Kürze der Zeit wegen uns darauf geeinigt, dass es "irgendwie" schon sinnvoll sei, jene enorme Spannweite zwischen einem Lokus absoluter Verwerfung (Hölle) und dem Ort letztendlicher Annahme (im Himmel) aufrecht zu erhalten und in der sonntäglichen Verkündigung von Zeit zu Zeit aktuell werden zu lassen, ohne dass man vorher geklärt hätte, ob Hölle etwas räumlich Reales darstelle oder eher ein sogenanntes "Existential" in der kollektiven Befindlichkeit der Menschen ausmache. Wie dem auch sei - manchem ist Vieles deutlich geworden. Und deshalb sei jetzt einiges davon in Form von Thesen hier vermerkt:
1. Wichtige Frage: "Was verliere ich eigentlich, wenn ich in meinem Denken die Hölle streiche?"
2. … Urteil einer Tagungsteilnehmerin, die von Beruf Richterin gewesen ist: „Die ewigen Strafen der Hölle sind unverhältnismäßig …”
3. Alles hat seinen Wert. Auch das Wertloseste. Was ist dann der „Wert” der Hölle?
4. … Das ist der Wert der Hölle: Jene todernste Last des definitiven „ZU SPÄT” wird in den Gedanken um die Hölle aufbewahrt und aufgehoben. Der Gedanke des ZU SPÄT ist sehr wichtig, wenn es um letzte Gerechtigkeit geht …
5. … die drei "Höllen-Texte Jesu" aus dem Matthäusevangelium (Weltgericht, zehn Jungfrauen, Talente) haben absichtlich ihre verstörend pädagogisch verunsichernde Funktion …
6. … das Ziel dieser "Höllen-Gleichnisse Jesu" ist der Zwang zur Selbstanfrage, der durch die Unerbittlichkeit der drei Schilderungen ausgelöst wird: „Wo stehe ich, wer bin ich.” Es geht also bei den Höllenaussagen Jesu nicht! um eine neutral-sachliche Information darüber, wie der Aufbau der unsichtbaren Welt an ihren logischen Grenzen zu denken wäre (Raumvorstellung), sondern es geht um den Zwang der Hörer zur Selbstreflexion.
7. … der Mensch soll durch die "Höllengleichnisse" in die Reflexion gestoßen werden …
8. Erst in den historisch viel späteren dogmatischen und Bekenntnisschriften wird diese Selbstreflexion angesichts eines drohenden "Höllentores" zur sachlichen „Information, die geglaubt werden soll oder muss.” Damit sie geglaubt werden kann, werden der Aufbau der Hölle samt den dort geltenden Eintrittsbedingungen systematisiert. Dadurch entsteht der (sicher auch hier und da gewollte) Eindruck, dass es die Hölle in Wirklichkeit so gibt, wie den Keller im eigenen Haus. Dieses wird dann aber auch angezweifelt, weil es sich nicht beweisen lässt - und weil man die Hölle eigentlich eher nicht will. Den Himmel kann man zwar auch nicht beweisen, aber den will man ja ... Deshalb ist man auch geneigt, das Sein einer himmlischen Welt für möglicher zu halten als das Sein einer höllischen.
9. Die Rede von der Hölle macht Angst, beschämt und verunsichert den Menschen. Besonders Angst, Scham und Verunsicherung gelten als wichtige Triebkräfte, die den, der sie verspürt, auf das Wesentliche hinzulenken fähig sind. Zugleich aber werden Angst, Scham und Verunsicherung in der Nähe dieses Wesentlichen dann auch transformiert. Furchtlosigkeit, Stolz und Heilsgewissheit.
10. Die Vorstellung vom ultimativ letzten Gericht, das zur Erwählung oder Verdammung führt, ist eine Trostvorstellung besonders für marginalisierte Personen und Opfergruppen. In apokalyptischen Vorstellungen kann man dann Zuflucht finden, wenn sonst gar nichts mehr geht.
Exkurs: Im Zusammenhang mit der Erarbeitung vorliegender Zeilen erhielt ich von einem dem erwecklich-bibeltreuen Spektrum unserer Kirche zugetanen Amtsbruder folgende Anfrage: "Wie würden wohl apokalyptische Sendschreiben an die EKD und ihre Gemeinden von heute aussehen? Vielleicht sollten wir uns das lieber nicht vorstellen." Ich habe mich nicht um die Antwort drücken wollen - und entwarf den im folgenden zitierten Text - sozusagen als pseudapostolischer Relotius. Der stehe hier nur mit dem ausdrücklich formulierten Disclaimer, dass man den Text zwar ernst nehmen kann - aber eben nicht muss und so sei er sozusagen als fiktives achtes Sendschreiben mit einem Augenzwinkern eingefügt:
Dem Engel zu Ekadenía schreibe, das sagt, der da kennt Fürsten und Länder und sieht auch durch Türen und Fenster ins Herz, durchschaut Paragraphen samt heimlichen Plänen - und herrscht über Erdteil und fernste Planeten:
Ich kenne wahrhaftig Synoden und Gremien, die ihr mir ausrichtet und auch jede Tagung mit bunten Projekten. Sehe die Fahnen, Banner, Wimpel und artig geschlungene Tüchlein am Halse.
Aber ich klage gegen euch an, denn einige habt ihr versteckt in der Schar, die sind aus der Synagoge des Grauens. Ihr gabt euren Hirtenstab denen zu Händen, den Weg meiner Kirche lenkend zu leiten. Sie aber legten beim Tempelberg ab das Kreuz von der Brust und lösten den Ring von der silbernen Kette. So schaden sie wahrlich dem einzigen Glauben und hudeln arabischen Sprüchen und Lehren. Taumeln um falsche Altäre und werfen beim Singsang islamischer Priester zum Klange dröhnender Trommeln aufs Angesicht nieder sich willig. Das ist mir ein Greuel. Sie segnen das Lager von Männern mit Kerlen, der Frauen mit Weibern und ringen tagtäglich nach Unsinn, Wahntum, bewaffneter Torheit, nach Impfung, Leuchtfeuern und albernem Krampfe.
Tröste Dich aber, mein Tag wird einst kommen, da werd’ ich ausfegen das Amt zu Hannover mit eisernem Stabe und treibe die Hudler und Clowns in die Ferne mitsamt ihren Handreichungen, Heftchen und Druckwerk. Dann wird aus der Asche der Leuchtfeuer dein Phoinix aufsteigen. Wer Ohren zu hören hat, höre. Und wer noch ein Hirn hat, begreif es.
Es ist klar, dass mit solch einem Sendschreiben bestimmte Gemüter nicht nur erfreut, sondern sogar in gewisser Weise getröstet werden können. Als Homage für alle, die Trost nötig haben, soll der kleineText hier noch eine gewisse Zeit stehen bleiben…
11. Weiterhin gilt auch noch Folgendes: Die Betrachter von apokalyptischen Bildern (z.B. Hans Memlings Weltgericht) und Hörer apokalyptischer Reden sollen vermittels des Topos' vom "Jüngsten (also letzten) Gericht" durch Gemälde bzw. Predigt in eine gewisse Unentschiedenheit geführt werden. Hier begegnen sie dann unweigerlich sich selbst in Form ihrer eigenen Gewissen.
12. Was ist das Gewissen? Gewissen ist das Zerbrechen der unreflektierten Selbstidentität.
13. Die Inaussichtstellung eines Jüngsten Gerichts ist das Evangelium der Marginalisierten.
14. Insofern ist der Protestantismus auch zu großen Teilen auf Dauer gestellte Reflexionskultur.
15. Das Jüngste Gericht ist das endgültige Urteil über mich. Es ist das letzte und damit endlich wahre Urteil darüber, dass ich in Wirklichkeit anders bin, als ich eben „nur” tatsächlich gewesen zu sein schien und wirklich war.
16. Gott bringt mich in den harten Gleichnissen Jesu angemessen zur Realität - und das Jüngste Gericht ist die Verleihung meines wahrhaftigen Namens.
17. Bereits in der sonntäglichen Predigt beginnt sich der Vorschein des Jüngsten Gerichts zu vollziehen. Und zwar dadurch, dass den Hörern ihre wahre Identität gezeigt und ihnen dabei zugleich eine neue verliehen wird (Luthers fröhlicher Wechsel und Streit).
18. … Durch die Predigt der Kirche soll das vertrackte Leben-Müssen in der ständigen Differenzerfahrung zur eigenen Ungenügsamkeit erleichtert, dadurch ermöglicht und durch das Evangelium in Richtung Heilsgewissheit transformierbar werden. Die Idee vom Jüngsten Gericht sollte dazu verhelfen, sich selbst vom Richterthron zurücktreten lassen zu können - und auch im Blick auf das Urteil anderen gegenüber den Richterstuhl zu räumen.
19. Die Lehre vom Jüngsten Gericht ist somit die auf eine dogmatische Kurzformel gebrachte Bewältigungsstrategie für den ethischen Alltag sensibler Menschen.
20. … wir glauben und wissen, dass ein Jüngstes Gericht kommen muss und wird - das hilft uns dazu, die eigenen Urteile und noch mehr alle Fehlurteile der ersten Instanzen sich aufheben zu lassen …
21. Mit dem Schwinden des Parusiegedankens fiel und fällt auch der Gerichtsgedanke immer weniger ins Gewicht. Parusie und Gericht standen einst zueinander immer in einem Trostverhältnis. Ihre aufeinander bezogenen theoretischen Kernaussagen sind besonders heute in ihrer Plausibilität nicht mehr verbindlich. Das transzendentale Problem, das hinter beidem steckte, hat sich in’s rein Innerweltliche verschoben und wird deshalb nicht mehr verstanden.
22. … eine der Sünden des Menschen besteht darin, dass er sich über sich selbst täuscht und sich von anderen ausdrücklich täuschen lassen will …
23. … in der Moderne ist an die Stelle des Jüngsten Gerichts in der evangelischen Predigt die öffentliche Meinung getreten …
24. Was ist Vergebung? Vergebung ist die Ent-Identifizierung des Täters mit seiner Tat.
25. … dem Täter (Sünder) wird (nur! im Falle der eigenen Contritio - Zerknirschung) eine neue Existenz zugesprochen …
26. … In der Vergebung durch Gott vollzieht sich der schwer zu begreifende Identitätstausch, nach dessen Geschehen das alte Ich an Christus abgegeben wurde und Christus zu meinem neuen Ich wurde. Das lutherische „Simul Justus et Peccator” lässt sich in der vulgären Formel: „Du bist nun Christus und zugleich immer noch der Schweinehund” besser verstehen. Es ist nötig, diese archaische Fähigkeit zum binär entkoppelten Denken zurückzugewinnen - und eine hybride Sichtweise im Blick auf anthropologische Zusammenhänge vermittels des ständigen! Predigthörens zu entwickeln (nicht einfach - aber notwendig, um Luther zu verstehen)
27. die Korintherbriefe des Paulus sind Zeugnisse für dieses von ihrem Autor ständig erneut angeschlagene identitäre Konfliktthema.
28. … ein solches neues Selbstverständnis (simul iustus et peccator) ist im Glauben möglich - aber in der Erfahrung nicht wirklich …
29. Hölle bleibt verstehbar als ewiges Verharren-Müssen im Bewusstsein der eigenen Schuld, die auch durch Reue nicht mehr getilgt werden kann.
30. … Himmel - über sich selbst lachen zu können - das ist das Zeichen der neuen Existenz.
31. Die Moderne hat den Gedankenkomplex „Hölle/Jüngstes Gericht/Himmel” der Verwahrlosung überlassen. Und es gibt für religiös verwahrloste Zeitgenossen keine Möglichkeit eines erlösenden „ego te absolvo” mehr …
32. … in den öffentlich medial ausgestrahlten Anklage- und Exkommunikationsverfahren (Barbara Salesch) gibt es auch keine Möglichkeit der Contritio mehr - und ein die Vergebung zusprechender Priester fehlt und ist auch überhaupt nicht mehr gewollt …
33. … die alten kirchlichen Strafverfahren sind absichtlich nie „demokratisiert” worden. Der Priester entschied über Lösung bzw. Bindung auf der Basis der Contritio (Zerknirschung) des Delinquenten. Und in erster Linie entschied er nie, um zu strafen - sondern um zurückzugewinnen. Deshalb auch ist es unabdingbar gewesen, dass die Kirchen ihre Missbrauchsfälle aus der brüderlichen Gerichtsbarkeit an die säkulare Staatsanwaltschaft abgeben haben. Um der Opfer willen ...
34. Kirchen sollten nur dazu etwas sagen, was sie beurteilen können. Das ist u.a. der Umgang mit Schuld. Der öffentliche Umgang der Medien mit diesem Thema ist deswegen unprofessionell und heillos geworden, weil die öffentliche Meinung zur letzten Entscheidungsinstanz gemacht und an die Stelle des Weltenrichters gesetzt worden ist.
35. … Neben dem Hören des richtenden und aufrichtenden Wortes Jesu gibt es noch eine zweite Instanz, die den Weg in die Hölle zum Himmel umlenkt. Das Sakrament des Altars. Das Abendmahl ist das ANNEHMEN CHRISTI als MICH SELBST in Form einer NEUEN KREATUR - alles Vergangene ist dann getragen in und durch Christus („Daher, wenn jemand in Christus ist, so ist er eine neue Schöpfung; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden” 2.Kor 5,17)
36. Frage: Wie ließe sich eine tatsächlich realiter vollzogene göttliche Vergebung denken? Antwort: Der, dem vergeben worden ist, hat die Vergebung „kraft des vergebenden Wortes, das ihm zugesagt wird (imputatives Verständnis der Rechtfertigungslehre) und das er glauben will. Der so Glauben-Wollende wird durch die leibliche Aufnahme der Elemente Brot und Wein im Altarsakrament die neue Kreatur.
37. … und die Lehre von der Apokatastasis Panton (die Lehre, dass - nach erfolgter Contritio - alle in den Himmel kommen) ist deshalb keine Lehre im dogmatischen Sinne, sondern sie gehört in den Bereich der Fürbitte und Seelsorge. Es "gibt" die Hölle. Und zugleich die Möglichkeit, dass sie am Ende leer da steht.
38. Die Lehre vom Purgatorium ist einer der genialsten Kunstgriffe der vorreformatorischen Theologie. Sie hält den Blick frei auf die alten Lehren des Irenäus von Lyon und Origenes, welche beide von Gottes Wiedereinholung der gefallenen Weltgeschichte überzeugt waren.
38. Wir haben uns daran gewöhnt, dass Himmel und Hölle schon lange und besonders in unserer Zeit eher als existenzielle Zustände verstanden werden müssen, und nicht mehr als real-konkrete Orte innerhalb einer räumlichen Sphärenordnung denkbar sind.
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Soweit - so gut. An einem Nachmittag haben wir auch die Hermannshöhle besucht. Stalagmiten und Stalagtiten. Ihr kennt sie. Dort war es stockdunkel. Mit Martin Luthers Tischreden formuliert: "Finster war's darinnen wie im Arsche des Teufels." Alle Tage haben wir begonnen und beschlossen in der Drübecker Kirche, jenem romanischen Heiltumsort mit dem spätgotischen Altar, von dem herab uns die Heiligen grüßen, ganz unaufgeregt und seit ewigen Zeiten. Das Essen war großartig. Danke den Köchen und Damen, die das ganze Christenhotel dort super am Laufen halten. So stelle ich mir den Vorraum zum Himmel vor. Man konnte auch gut ruhen und schlafen, wie in Abrahams Schoß. Der Gedanke, dass die Hölle leer sein wird, hat wieder ein Stück mehr an Kraft gewonnen.
Aber Contritio ist nötig! Gedenke der acht Sendschreiben …
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