100 Jahre Duineser Elegien
Hingabe ...
Reichlich zehn Jahre hat er daran gesessen, daran gearbeitet, darüber gelitten und ist zugleich glücklich gewesen. Denn er fand - bzw. zu ihm fanden - Sprachbilder, in deren Schimmer wir heute immer noch gern niederknien. Rainer Maria Rilke, der Dichter. Zehn Elegien sind es geworden - unterbrochen wurde das Werk bei der vierten durch den Krieg. Der Dichter Rilke im Krieg. Begonnen hatte er jene unübertroffenen Texte, welche von Engeln und dem Platz des Menschen in der Welt handeln, auf dem Schloss der Fürstin Marie Elisabeth Karoline zu Hohenlohe-Waldenburg-Schillingsfürst. Auf dem Schloss Duino an der Adriaküste beherbergt die vermögende Frau einen armen Dichter. Und der widmete ihr dafür die wunderbaren Elegien. Später macht die Fürstin ein Buch aus ihren Erinnerungen und den Briefen Rilkes. Hier sind ein paar besonders schöne Stellen aus den ersten beiden Gesängen:
Denn das Schöne ist nichts als des Schrecklichen Anfang, den wir noch grade ertragen, und wir bewundern es so, weil es gelassen verschmäht, uns zu zerstören.
… und die findigen Tiere merken es schon, daß wir nicht sehr verläßlich zu Haus sind in der gedeuteten Welt
O, und die Nacht, die Nacht, wenn der Wind voller Weltraum uns am Angesicht zerrt …
Wirf aus den Armen die Leere zu den Räumen hinzu, die wir atmen; vielleicht daß die Vögel die erweiterte Luft fühlen mit innigerm Flug.
… man entwöhnt sich des Irdischen sanft, wie man den Brüsten milde der Mutter entwächst.
Träte der Erzengel jetzt, der gefährliche, hinter den Sternen eines Schrittes nur nieder und herwärts: Hochaufschlagend erschlüg uns das eigene Herz.
Wer seid ihr? Frühe Geglückte, ihr Verwöhnten der Schöpfung, Höhenzüge, morgenrötliche Grate aller Erschaffung, – Pollen der blühenden Gottheit, Gelenke des Lichtes, Gänge, Treppen, Throne, Räume aus Wesen, Schilde aus Wonne, Tumulte stürmisch entzückten Gefühls und plötzlich, einzeln, Spiegel, die die entströmte eigene Schönheit wiederschöpfen zurück in das eigene Antlitz.
Schmeckt denn der Weltraum, in den wir uns lösen, nach uns? Fangen die Engel wirklich nur Ihriges auf, ihnen Entströmtes, oder ist manchmal, wie aus Versehen, ein wenig unseres Wesens dabei? Sind wir in ihre Züge soviel nur gemischt wie das Vage in die Gesichter schwangerer Frauen?
Es wird berichtet, wie Rilke am adriatischen Meer entlang geht und es ist Sturm und starkes Wetter. Da ist ihm, als ob von jenseits der Klippen es riefe: „Wer, wenn ich schrie, hörte mich denn aus der Engel Ordnungen?“ Mit dieser Frage heben die Duineser Elegien an. Die Texte fordern Hingabe beim Lesen.
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