das Ding
Karfreitagsgeschichten
Als er den Essig zu sich genommen hatte, konnte der Gekreuzigte mit einem Mal die Stimmen der Dinge verstehen. Zu hören vermochte er seit Kindertagen sowieso schon immer mehr als die anderen. So kannte der zum Tode Verurteilte sich mit den Liedern der Vögel aus, mit den Gesängen der Kinder und dem Lachen der Frauen. Mit ihrem Weinen und mit dem Schweigen der Männer. Neu war, daß die Dinge sprechen konnten. „Ein Gott“ dachte der am Kreuz Verhöhnte mit letzter Kraft „lernt immer noch etwas, wenn er Mensch werden musste!“
Den er da mit metallener Stimme hatte reden hören, war ein Hammer. Jener Hammer, mit dem man die drei Nägel vor einigen Stunden eingeschlagen hatte. Das Werkzeug lag am Fuße des Kreuzesstammes in einer Holzkiste. Gemeinsam mit Nägeln und der großen Kneifzange. Abseits hockten Soldaten mit ihrem Würfelspiel. „Wenn Würfel reden können“ schoss es dem Gekreuzigten durch den Kopf. Dann war wieder der Hammer zu hören. „Ich hoffe, dass ich endlich einen neuen Stiel bekomme. Meiner ist noch aus den Zeiten des Eurystes.“ Einer der jüngeren Nägel meinte daraufhin, dass Eurystes ein sehr guter Schmied gewesen sein müsse. Er habe ältere Nägel von diesem Werkzeugmacher berichten hören, wie der eine gewisse Spannung jedem der Brüder einprägte, die sich dann prompt löste, wenn man in´s Holz eingeschlagen wurde. Dort konnte man dann ohne Krampf lange aushalten und verharren. Nicht so wie heute, wo man zwar kurze Zeit ohne Spannung in der Kiste läge, aber dann ging es los, wenn man eingeschlagen wurde und es hörte nicht auf. Schmerzen ohne Ende.
„Die drei dort oben sind noch alte, ich selber nicht” sagte der Nagel. „Deshalb bin ich froh, das ich nicht ans Kreuz musste.“ Die anderen Werkzeuge hörten schweigend zu, und der am Kreuz Sterbende konnte ihr Schweigen buchstäblich hören.
„Gebt Ruhe!“ meldete sich die Zange zu Wort. Ich ziehe euch am Ende alle wieder vom Holz. Damit ist es gut.“ Nun hob ein besonders alter Nagel an: „Ich habe viele Kreuzigungen mitgemacht und lande immer wieder in dieser Kiste. Wenn das Blut sich mit dem Eisen verbindet in der Mittagsglut, das ist ein gutes Gefühl. Wie ein erweitertes Leben. Ich wünschte, ich wäre heute hochgekommen. Denn das Blut von dem Mittelsten da, das jetzt in unseren Kreis tropft, ist kein Verbrecherblut. Seht doch, wie die Blumen erglänzen, dort am Fuß des Stammes. So was …“ Die Werkzeuge blickten alle hin, blinkten hin. Sie haben ja keine Augen, ihr ganzer Leib ist Blicken und Blinken.
Indes machte sich der Hammer weiter Sorgen um seinen Leib. „Wenn ich nicht bald einen neuen Stiel bekomme, ist es aus mit mir. Der Kopf ist mir vorhin beim dritten Nagel fast vom Stiel geflogen. Ich fürchte, sie werden mich dann wegwerfen wie Martellus voriges Jahr. Der ist jetzt Eisenband an einem Fass. Welche Schande!“
Die Zange, die klüger war als alle anderen Werkzeuge in der Kiste, meinte begütigend: „Kommt darauf an, was in dem Fass ist, dem man die Dauben zusammenhält. Kreuzigungsnägel einzuschlagen ist, bei Licht besehen, auch nicht das Allererstrebenswerteste.“ In diesem Augenblick begann die Sonne ihren Schein zu verfinstern und ein kalter Luftzug machte sich auf. Die Krähenvögel, die auf den waagerechten Armen der Kreuze gesessen hatten, schwangen sich krächzend ein paar Meter in die Luft, umkreisten den Schädel-Berg und ließen sich dann aber wieder bei den Abgeurteilten nieder.
Und nun? Ein Nagel, der bisher noch nichts gesagt hatte, sagte jetzt doch etwas. Und der sterbende Gott hörte jedes Wort, sah jedes Wort und das Wort war der metallene Glanz des Nagels, der ihn nicht durchbohrt hatte, sondern dort in der Kiste schimmerte. „Ich wünschte“, sagte er „dass ich nie in irgendein Mordholz geschlagen würde. Könnte ich doch makellos und frei von Schuld bleiben an all diesem …“ Er suchte nach einem Wort, fand aber keines. „An diesem Opferdrama?” sagte die Zange. Denn sie war eine alte und erfahrene unter den Zangen.
Jetzt fing der alte Kreuzigungsnagel wieder an: „Nach jeder Kreuzigung werden wir ausgeglüht, das Blut wird uns in dem Schmiedefeuer weggebrannt. Das Eisen im Blut verbindet sich nämlich auf Dauer sonst mit dem Eisen des Nagelkörpers. Einer von uns, Stachius Octavius, lag mal ein par Monate mit dem Blute. Den hatte man einfach zu glühen vergessen. Und der war so was von fertig. Das ist nie mehr weggegangen. Was hat der für komisches Zeug erzählt! Jetzt ist er im Tempel. Da war was an einem Pfeiler, wo der Vorhang hängt. Da haben sie ihn eingeschlagen. Nun hält er - sozusagen alles.”
„Um Gottes Willen! Ein Eisennagel mit dem Blut der Verdammten im Heiligtum der Weltformel. Das geht gar nicht! Die Balken dort im Hause Gottes sind alle ohne ein einziges eisernes Werkzeug gefertigt!“ rief der lädierte Hammer. Aber die Zange, die klüger war als alle anderen Werkzeuge in der Kiste, sagte lakonisch: „Auch das hat nachgelassen, Freunde. Wir leben in der Endzeit.“ Auch das Tropfen des Blutes hatte inzwischen deutlich nachgelassen. Die beiden Verurteilten zur Linken und Rechten keuchten in Todesnot, aber der Mittlere war ganz still geworden. Es war nun fast dunkel, obwohl doch eigentlich helllichter Nachmittag. Auch die Gerichtsvögelraben machten bedenkliche Gesichter.
Ein Soldat mit höherem Dienstgrad kam auf die Kiste zu und nahm den blanken Nagel an sich. „Sacer es!“ sagte er - und das ist lateinisch und bedeutet etwa: „Du bist verflucht." Aber es heißt zugleich auch: "Du bist heilig." Der Mann steckte den Nagel ein, - diesen Nagel der Christus nicht verletzen musste - vielleicht, weil es es auch nicht wollte, obwohl er doch nur ein Ding aus Eisen war.
Was soll ich noch berichten von den Dingen, deren Sprache Jesus wenige Minuten vor seinem Weggang aus dieser uns bekannten und verständlichen Welt zu verstehen begonnen hatte, wie er auch alle unsere Gebete nicht nur hört, sondern auch versteht? Der blanke heilige Nagel wanderte mit dem unbekannten Centurio Tag für Tag zur Kaserne hinaus und kam auch wieder herein und zog von Ort zu Ort. Als Jerusalem im Jahre 70 zerstört wurde, ist die Truppe abgezogen worden und der Hauptmann kam, fast schon ein Veteran, nach Rom. Der Nagel befand sich bis zum Schluss in seinem Besitz. Aber was heißt eigentlich Schluss? Der Nagel rostete nicht, er schmeckte kein Blut, er lag immer dicht am Herzen des Hauptmanns. Und deshalb wurde er bei dessen Tode, welcher sich in einer heruntergekommene Arena vollzog, denn der Hauptmann war Christ geworden und als solcher eines Tages ad leonem getan (zu den Bestien) - wurde er heimlich weitervererbt.
Es gibt Menschen, die die Dinge reden hören. Sie gelten als wunderlich, aber wunderlich sind die, die nicht hören, wie die Dinge darum bitten, den Meister nicht verletzen zu müssen. Zum Beispiel einer der Nägel, welcher deswegen heilig ist, auch wenn er als verflucht gilt. Die Zange, die klüger ist als alle Werkzeuge auf dem Erdenrund, bezeugt es bis in heutige Ewigkeiten ...
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