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der Arzt und die 85
Leberecht Gottlieb (48)

Kapitel, in welchem Leberecht Gottlieb und sein Oberarzt im Blick auf politische Parteien allerlei Spekulationen anstellen - Leberecht endlich das Hospital verlassen darf und der Zufall den Emeritus an einen Wahlkampfstand führt ...

Leberecht ist seit gestern aus dem Krankenhaus entlassen worden, wir schreiben den 21. August 2024. Die Platzwunde am Kopf hat der Pfarrer i.R. mit einem Pflaster überklebt, in der Linken hält er sein gewonnenes Flugticket nach Kairo, mit der anderen Hand das gepackte Reiseköfferchen. Unmittelbar nach dem Verlassen des Hospitals fiel Leberecht gegenüber ein Wahlkampfstand (mit Losbude!) ins Auge. Der Stand gehörte einer jener Parteien, die sich ab dem 1. September dieses Jahres  beim Volk um die Herrschaft im sächsischen Lande bewarben. Und - unser Held gewinnt den Hauptpreis! Eine vierzehntägige Reise nach Ägypten. Vorab nur soviel: Leberecht wird hinten im Lande der Pharaonen leider seiner Reisegruppe verloren gehen, aber dann dank glücklicher Zufälle noch zum uralten Orakelheiligtum des Ammun in Siwa finden. Er besucht den Tempel dieses wahrsagenden Gottes und gewinnt daselbst interessante Einblicke unter anderem in die Geheimnisse der Unterwelt - vor allem aber darüber, wie vom Reiche der Finsternis aus Landtags- und andere Wahlen durch statistisch-magische Rochaden und quantenmechanische Verschränkungen manipuliert werden können. Leberecht wird also sozusagen jenes Türchen geöffnet, hinter dem Schrödingers Katze seit Ewigkeiten auf ihr zeitliches Schicksal lauert. Aber alles hübsch der Reihe nach …

Es stellte sich heraus, dass der syrische Oberarzt gar kein Syrer war, sondern ein Ägypter. Derselbe betrat manchmal nach Dienstschluss einfach das Zimmerchen, in welchem Leberecht jene Unbilden auskurierte, die der Zusammenprall mit der Straßenbahnwagenfrontscheibe am Kopfe des alten Herrn Pastor hinterlassen hatte. Der Arzt hieß Anwar Ibn Rehem kam ursprünglich aus Kairo und war sehr nett und gebildet. Über die Odyssee seiner Eltern und der gesamten Familie soll hier nicht extra berichtet werden - nur ein seperates Buch könnte das leisten.

Jedenfalls - Dr. Anwar Ibn Rehem hatte damals in Frankfurt am Main Unfallmedizin studiert und hier in Dresden schließlich endgültige Heimat gefunden. Die Liebe in Form und Gestalt einer wunderschönen blonden Laborantin hatte ihn eines Tages überwältigt, an dieselbe Person für alle Zeiten gefesselt und auf diese Weise den Arzt mit unlösbaren Ketten im ehemaligen Königreich August des Starken mit seinen Waldungen samt den bis nach Jessen hinauf reichende Weinbergen verkettet, wie er sich ausdrückte.
Dieser alte Pfarrer aber mit seinen fast tödlichen Kopfverletzung interessierte den Unfallspezialisten nun besonders. Der Arzt Anwar Ibn Rehem fragte sich, was für ein interessanter Priestermann das sein müsse, der in seinem hohen Alter ganz allein mit der elektrischen Trambahn zur Bibliothek zu reisen vorgehabt habe. Und zudem Leberecht im Zustand seiner langanhaltenden Ohnmacht immerzu wieder von diesen beiden sonderbaren Büchern der Staatsbibliothek faselte, war die Neugier des Ägypters natürlich geweckt.

In den Abendstunden unterredeten sich die beiden über metaphysische Themen und esoterische Topoi, über Geheimwissenschaften und Dinge, die dem Normalsterblichen zumeist verborgen bleiben müssen - weil alles andere gefährlich wäre. Der Arzt und sein Patient - der Patient und sein Arzt. Alle Fenster war dabei weit geöffnet, denn es war August (Klimawandel!) und von draußen herein drangen süße Amsellieder und der Gesang eines bereits früh zum Wohlklang erwachten Sprossers, dessen Melodien der Unkundig leicht mit denen der Nachtigall verwechselt.

Während wir die Theologie Leberecht Gottliebs bisher als durchschnittlich lutherisch geprägt kennen gelernt haben, begründeten die religiösen Auffassungen des fremdländischen Arztes sich in einem reflektierten Agnostizismus, in welchem aber Reste des altägyptischen Zauberglaubens hatten haften bleiben wollen und mit buddhistischen Denkfiguren angereichert ein interessantes Gemisch abgaben.

"Sie müssen unbedingt einmal, Herr Pfarrer Gottlieb, das Land meiner Vorfahren bereisen und dort die Oase Siwa besuchen. Dort gibt es immer noch die alte Orakelstätte des Gottes Ammun. Daselbst verschaffte sich auch schon Alexander der Große Rat und Weisung. Und hat erst danach sein großes Weltreich erobern dürfen - welches ihm allerdings leider sehr schnell wieder zerfiel. Bis Indien hinaus hat den Eroberer nur ein einziger Satz aus dem Munde der Orakelpriesterin zu Siwa stürmen lassen. Aber als Alexander an der Kraft des priesterlichen Wortes zweifelte und sich selber alle Erfolge zuzurechnen begann, starb er nach unmäßigem Trunke am Fieber in Babylon. Sie, Herr Pfarrer, haben vor, sich in die Geheimnisse der Buchstaben und Zahlen zu begeben, wie Sie auf meinem Operationstisch durchblicken ließen. Johann Nepomuk Dankreithers „Der Edelstein Lapis Aquamarinus Knossius” und Giordano Brunos „Die Kabbala des Pegasus” haben es Ihnen offenbar angetan? Seien Sie vorsichtig!"

Leberecht Gottlieb hatte tief ein - und dann tief wieder ausgeatmet und den vom Arzt vermuteten Sachverhalt im Großen und Ganzen  bestätigt. Dann war der Arzt mit seinen Überlegungen fortgefahren. „Ich habe mich lange Zeit mit den Zahlensystemen der Juden befasst und dabei bestätigt gefunden, dass die Anzahl der Knochen und Muskeln im Aufbau des menschlichen Körpers jenen Proportionen entlehnt sind, welche wir auch innerhalb der Keplerschen Planetenharmonie und mit den arithmetischen Grundverhältnissen des Buches Sefer Jetzira aufgezeigt bekommen. Über all diese wunderbaren Feinheiten kann man sich aber leider hier in Sachsen nicht mit vielen Menschen austauschen. Entweder man wird verlacht oder als Sonderling bald gemieden. Auch in Ihren den Kirchen wurde man früher vor solcher Weisheit gewarnt - als ob das alles eitel Teufelszeug sei. Und heute kennt keiner mehr bei euch Christen diese wunderbare Welt der zahlen und Laute, die alles ordnen auch das Unordentlichste. Die Kirche hat - Pardon - keine Ahnung mehr von diesen wichtigen Dingen. Aber Sie, Herr Pfarrer - interessieren sich noch dafür?”

Leberecht hatte dem Ägypter gern Rede und Antwort gestanden - und so waren sie zwei während der fünf Tage Hospitalaufenthalts über Vieles - und eben auch über die Zahl 85 ins Gespräch gekommen. Genauso alt ist Leberecht vor einigen Tagen geworden. Wie waren sie auf diese sonderbare Zahl 85 gestoßen? Nun - zuerst hatten sich die beiden das gesamte hebräische Alphabet hinauf und herunter vergegenwärtigt und angeschaut. Dabei hatten sie nebenbei gemerkt, dass es zumeist drei Kürzel sind, hinter denen sich die alten politischen Parteien versteck hielten. Die Abbreviaturen dieser Parteien und ihrer Programme glichen damit den Wurzeln hebräischer Worte, die alle auch zumeist aus drei Radikalen zusammengesetzt sind. Und so hätten die Parteien, wahrscheinlich ohne es zu wissen, schon immer Anleihen bei der Kraft der Zahlen und Buchstaben genommen.

Etwa die alte BRD ... Mit den zwei noch einzusetzenden Vokalen A und A wird daraus BaRaD. Und das bedeutet soviel wie Hagel. Gleichzeitig auch Trennen, - wahrscheinlich deshalb, weil der Hagel das Korn schneidet und das Feld verwüstet. Die Deutsche Demokratische Republik dagegen schrieb und sprach sich DaDaR. Ein solches Verbum gibt es im Hebräischen aber gar nicht. Höchstens von Hinten nach vorn gelesen im sogenannten Atbasch. Da wird RaDaD daraus. Und RaDaD heißt soviel wie kräftig niederschlagen bzw. glätten. BRD hätte den divinatorischen Zahlenwert 206 - letztlich also 8. DDR dagegen 208 - in der letzten Quersumme also nur 1.
 
Freilich - für "Die Grünen",  "Die Linke" und das ominöse "Bündnis Sarah Wagenknecht", auch für die "Freien Wähler" und die sogenannte "Werteunion" ließen sich keine sinnbildenden Worte aus der Hebräersprache finden. Auch FDP, CDU und SPD ergaben keine Begriffe, deren Glyphen eine gangbare Brücke über das Alphabet der Alphabete von hier nach dort schlügen. Was allerdings zu denken gab, - das war die AfD. Da ergäbe sich schon etwas ... Immerhin war das Ephod der alttestamentlichen Hohenpriester - das Wort Ephod wird mit Alef, Phe und Dalet geschrieben, also AFD - bei Leibe kein x-beliebiger Gegenstand. Der Zahlenwert dieses geheimen Orakelschildes, auf dem die Edelstein-Lose Urim und Tummin zum Tanzen gebracht wurden, wenn gar nichts anderes mehr geholfen hat - betrug 85. Dieser Zahlenwert sei tatsächlich gleich dem Lebensalter Leberecht Gottliebs. Nämlich 85.

Als sie solcherart "Elementa spekuliert" und deren Zusammenhänge festgestellt hatten, lachten sie ein wenig gequält - und schauten aneinander vorbei in die sich sachte bewegenden Kastanienblätter, die sich im Abendwind sachte vor den Fenstern bewegten. Und schwiegen eine gewisse Zeit. Der Ägypter meinte schließlich: "85 lässt sich auf zwei verschiedene Arten als Summe zweier Quadratzahlen darstellen: 92  + 2= 85.  Oder 72 + 6= 85." Warum sagte er das? Wahrscheinlich um die peinliche Stille mit mathematischen Überlegungen in eine neutrale Distanz zu überführen ... 

Jetzt aber meldete sich sehr vernehmlich der Pieper am Gürtel des Oberarztes und der Herr Doktor Anwar Ibn Rehem aus Ägypten musste schnell zu irgendeiner Operation hinaus eilen. Er dankte Leberecht jedenfalls noch einmal rasch und herzlich für die fünf netten Abendgespräche über Zahlen und Götter. Und meinte, schon im Gehen, dass Zahlen und Gottheiten fast dasselbe bedeuteten, nämlich jene Richtung auf das Unerkennbare in seinen unzähligen Modifikationen, welcher kein Mensch je auszuweichen vermag. Dann - mit einem eher ins Bayrische passenden "Grüß Gott" war der Mann verschwunden.

Eine knappe halbe Stunde darauf betrat die nette Schwester mit der gefönten Mireillefrisur die Krankenstube und brachte Leberechts Entlassungsschein mit Röntgenaufnahme des pfarrherrlichen Schädels. Und schon stand der Besitzer des Kopfes zwar auf noch etwas wackligen Beinen an der Bordsteinkante, von wo aus ihm eben dann sofort jener Wahlkampfkiosk ins Auge fiel, der unweigerlich an die große Aufgabe erinnerte - das Vaterland zu retten. Leberecht begab sich in Richtung des Standes, aus dem heraus zwei beleibte Männer und eine Frau unbestimmbaren Alters kleine Bluetooth-Boxen Musik spielen ließen, die an fröhliches Jahrmarkttreiben längst vergangener Jahrzehnte erinnerte. "Hallo, hallo. Junger Mann!"  riefen die drei Leberecht zu. "Wieder draußen?"

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Autor:

Matthias Schollmeyer

Webseite von Matthias Schollmeyer
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