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die Fahrt
Leberecht Gottlieb (51)

das 51. Kapitel führt uns  vor Augen, wie  das Wort ANDERE LÄNDER ANDERE SITTEN tatsächlich nicht nur ein Spruch, sondern dazu auch die Wahrheit zu sein scheint ...

Als der chinesische Seidenfabrikant Mister Luan Wang Li Zhang in seinem Mercedes entschwunden war, nahten sich Leberecht Gottlieben innerhalb weniger Sekunden zahlreiche Leute und boten ihm alle möglichen Dienste an. Man hatte in dem alten Pfarrer sehr schnell den hilflosen Touristen erkannt und wollte sich nun die Gelegenheit nicht entgehen lassen, durch Hilfeleistungen ein paar Dollar zu verdienen.

Leberecht war wirklich absolut hilflos. Wieder einmal zeigte sich, dass die Vertreter des Klerus aus Dimensionen heraus ihr Leben führen (lassen), welche nicht sehr viel mit der Alltagsrealität zu schaffen haben. Leberecht hatte fast nichts für die Reise vorbereitet. Er führte zwar ein paar T-Shirts mit sich - denn er dachte, in Ägypten sei es zumeist warm. was auch stimmt. Zwar steckte die Zahnbürste mit einer Tube Zahn- und einer Tube Sonnencreme im Kulturbeutel und ein paar Ersatzsocken daneben. Aber viel mehr auch nicht. Doch - für seine Medikamente hatte der Ruheständler in ausreichender Menge gesorgt. Man wäre 14 Tage unterwegs, also von jedem Ding vierzehnmal. Vom 28. August bis zum 10. September.

Aha - Leberecht würde also am 1. September an der heimatlichen Wahl im schönen Sachsenlande gar nicht teilnehmen können? Und zur Briefwahl war es zu spät - der Geistliche hatte es nicht mehr geschafft, die entsprechenden Unterlagen in irgendeiner Stadtteilamtsstube sich besorgen zu lassen - auf telefonische Nachfrage stellte sich heraus, dass das Heim dieselben bereits zugeschickt bekommen habe. Die Zettel waren aber unauffindbar. Egal - es würden genug Leute zur Wahl gehen. Sonnenbrille noch und den kurzärmeligen Schlafanzug. Das waren die Dinge, die Leberecht einpackte. Und das Ladekabel für sein Smartphone natürlich. Die Ladekabel sind heute das, was früher Zahnbürsten waren. Damit war das Köfferchen auch schon fast gefüllt.

Aber nun - wie sollte es nun weitergehen? Leberecht las sich zum ersten Mal die Vertragsunterlagen seiner Reise genauer durch. Er war bisher noch gar nicht dazu gekommen, denn die Mühe um jene Schriften von Johann Nepomuk Dankreither „Der Edelstein Lapis Aquamarinus Knossius” und Giordano Bruno „Die Kabbala des Pegasus” in Sonderheit ihres umständlichen Ausdrucks auf dem Multifunktionsdrucker der Universitäts- und Staatsbibliothek verschlangen mehr Zeit, als Leberecht anfänglich veranschlagen zu müssen gedachte. Nun saß er also auf einem bunten Betonpapierkorb am Rande des Flugplatzparkplatzes und zog den Umschlag mit dem darauf gedruckten Logo der Spenderorganisation aus dem Köfferchen. Da Leberechten alle Parteien gleich gut bzw. gleich nichtgut galten, kümmerte es ihn nicht besonders, wie auf dem blauen Umschlag weiße und rote Schrift ersichtlich wurden und ein sich mühsam aufwärtsquälender roter Pfeil, der tatsächlich etwas zu phallisch daher kam - so zumindest würde der Wiener Nervenarzt Sigismud Schlomo Freud dieses Signet unweigerlich interpretiert haben müssen. Wichtig war nicht, w e r ihm die Reise gesponsert habe, sondern dass er jetzt selber handeln müsse. Dachte Leberecht - und hatte Recht damit.

Wo überhaupt war seine Reisegruppe? Im Flugzeug hatte sich Leberecht mit Herr Luan Wang Li Zhang unterhalten. Manchmal auch über die Köpfe der Aeroplaninsassen hinweg gerätselt. Da müssten sie alle irgendwo sitzen - seine Mitreisenden. Aber jetzt war man allein. Mutterseelenallein. Und nun las Leberecht im Kleingeruckten (wovon es eine Menge gab), dass jeder Reisende sich unmittelbar nach der Landung am Hangar B4 einzufinden hätte. Das Losungswort laute „Isis&Osiris.” Dieses Codewort müsse man sich unbedingt fest einprägen. Am Hangar B4 würde ein Shuttle bereit stehen, dass die Reisegruppe alsbald zu einer Bootsanlegestelle am Gestade des Nilstroms bringen würde, von wo aus man dann zu den Königsgräbern in Luxor als nächster Station der Reise eingeschifft werden würde. Da war es wieder, dieses zweideutIge Wort EINGESCHIFFT. Leberecht erinnerte sich an die unangenehme Katheterprozedur und den Urinbeutelwechselpfleger Uwe Trumpe. Das war ja nun aber - Gott sei Dank - absolviert und vorbei.

Wir wollen den Leser nicht quälen. Leberecht fand nach 2,5 Stunden den Hangar B4 und da war niemand mehr anwesend nur einige Flughafenhilfarbeiter in ihren öligen Schwarzkombis. Die Reisegruppe war offenbar bereits ohne Leberecht fortgeshuttelt worden. Da war nun guter Rat teuer. Leberecht memorierte des 23. Palm und dann noch den 91. Das half immer. Anschließend stellte der Emeritus sich wiederum auf den Parkplatz und winkte dem erstbesten Taxi, um zur Bootsanlegestelle zu gelangen. Aber zu welcher? „Please drive me to the boat dock from where the ships leave for Luxor” formulierte er. Der Taxidriver war irgendeiner der zigtausend nichtregistrierten Fahrer, die die Millionenstadt Tag und Nacht bereisten. Der Mann merkte sehr bald, dass Allah den alte Pfarrer aus Europa in seine Hand gegeben hatte. Man kam in einem deutlich weniger geschliffenen Englisch miteinander ins Gespräch. Abdul Ibn Abdullah - so hieß der Wagenlenker - erfuhr von Leberecht nach eindringlicher Intervention Sinn und Zweck der Reise. Nämlich, dass dieselbe gar keinen Sinn und auch keinen Zweck habe, sondern sich am Ende des Lebens eines alten Ungläubigen einfach so ergeben hätte. Diesen Umstand galt es klug auszunutzen. Abdul Ibn Abdullah war ein Sohn der großen Wüste - und sein Familienclan war über das ganze Nildelta bis weit in Richtung Westen seit Jahrhunderten verteilt. Abdul Ibn Abdullah fuhr eine Stunde kreuz und quer durch das hupend schwitzende Kairo und zeigte Leberecht die Stadt mit ihren Museen und Moscheen - die Scheibe war herunter gekurbelt und Leberecht - immerhin 85 Jahre alt - war bald eingeschlafen.
Da lenkte Abdul Ibn Abdullah auf einen Wink seines Gottes und dessen Engel, kein anderer als Raphael, der auch bei den Moslems einen höheren Rang bekleidet, in Richtung Westen. Und als Leberecht mitten in der Nacht etwa gegen 3 Uhr erwachte, sah er im Morgengrauen hohe Palmen sich vor einer großen Wasserfläche anmutig im Morgenwind wiegen. Abdul Ibn Abdullah hatte den alten Emeritus bis zur Oase Siwa kutschiert. Hier wohnt seine Nichte Badiya Badavi. Es waren 700 Kilometer von Kairo aus bis Siwa. Der Preis betrug 35 Dollar, die Leberecht schlaftrunken bereitwillig zahlte. Abdul Ibn Abdullah führte den erschöpften alten Mann in die Hütte seiner Nichte und beredete mit ihr das Weitere. Danach setzte er sich wieder in seinen Wagen - übrigens ebenfalls die Marke Mercedes. Wenn auch nur ein 190er Diesel aus den achtziger Jahren schaukelte das Fahrzeug aus Stuttgart seinen Fahrer gemütlich bis in die Nilmetropole zurück. Der alte Beduinenclan der Siwa-Berber hier draußen in der Libyschen Wüste hatte in Leberecht ein „Opfer” gefunden, das nun unweigerlich Abenteuer erleben würde, wie sie denen von Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawuhd al Gossarah ebenbürtig sein werden. Und der Leser darf sich bereits darauf freuen dabei sein zu dürfen.
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Autor:

Matthias Schollmeyer

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