im Turmalinzimmer der Pythia
Leberecht Gottlieb (55)
55. Kapitel - inzwischen schreiben wir den 31. August 2024. Berichtet wird hier, wie Leberecht die Pythia im Blick auf das sächsische Wahlergebnis des morgigen Tag konsultieren will - und wir fragen uns mit brennender Sorge, wie die sonderbare Frau Aischa Endorita Auskunft geben wird ...
Es bleibt zu hoffen, dass der Leser vorliegender Seiten nie hat ganz vergessen wollen, dass der Zeitreisende Leberecht Gottlieb in den bisher geschilderten 54. Kapiteln Rückschau und zugleich Vorschau auf sein eigenes Leben nimmt, nahm und nehmen wird. Auf sein eigenes Leben und natürlich das der Kirche, welcher er seit Generationen mit bescheidener Kraft treu dient und sich ihr von Herzen verpflichtet fühlt. Einer der ehemaligen Konfirmanden - wir erinnern uns an Sven - erfand den Prototyp der Zeitmaschine und friemelte ein entsprechendes Gerät auch zusammen. Er war mit dem Ding kurzerhand in die Zukunft geflogen und muss dort wohl Unglaubliches erlebt haben.
Wieder zurückgekehrt hat dem Erfinder nur deswegen keiner geglaubt - weil Sven ein verantwortlicher Zeitreisender gewesen war und das Ganze niemandem offenbarte. Sven wollte nicht, dass auch die Zeitmaschine in die Hand der NATO, der Russen oder globalisierender Kommunistennazis fiele. Das verstehen wir. Als aber die Last der großartigen Erinnerungen an die Reise samt der Erfinderei zu schwer auf Svens Seele zu wiegen begannen, hatte der junge Garageningenier sich entschlossen, bei einem zum Schweigen verpflichteten Seelsorger die unendlich groß gewordene Last abzulegen. Kein anderer als Leberecht Gottlieb war der zur Verschwiegenheit verpflichtete heilige Mann geworden. Er hatte zeitlebens das Beichtgeheimnis immer sehr ernst genommen. So auch dieses Mal. Für alle Zeit zum Schweigen verdammt, bat Leberecht den Konfirmanden Sven nach abgelegter Contritio darum, selber auch einmal eine so schöne Reise hinaus in die Äonen tun zu dürfen. Da hatte Sven mit den Achseln gezuckt und dem Mann Gottes der Pfarre Plötnitz mit den Filialaorten Mumplitz und Prätschwitz tatsächlich eine kurze Reise in die Zukunft arrangiert. Wir erinnern uns, Leberecht reiste im Advent 2020 an die Ecken und Enden des Seins und observierte vom 27. Jahrhundert aus die Details um Kreuzigung und Auferstehung des Herrn, ohne je recht verstanden zu haben, was er da alles - noch dazu im Auftrag seines Kirchenamtes in Dresden - erlebt hatte. Eine Woche nur war das - im 27. Jahrhundert - dann ging es schon wieder zurück. Leberecht war damals tatsächlich körperlich gereist und da draußen in der sogenannten Zukunft sehr klug und nicht untätig gewesen, sondern hatte in sehr geschickter Weise diese Zukunft derart beeinflusst, dass in der Vergangenheit (also der jetzigen Gegenwart) das Zeitreisen zwar nicht körperlich, aber dafür in einer viel ungefährlicheren Art und Weise für alle, die sich darauf verstehen wollten, möglich geworden war. Wie gesagt, nicht so, wie es sich die Science-Fiktion- bzw. Phantasieliebhaber vorstellen. Nicht so, dass man mit seinem Körper irgendwohin fliegen musste, um sich dort dann an irgendeiner Straßenecke als Greis selber zu begegnen. Auch nicht derart, dass man in die Vergangenheit reiste, um dafür zu sorgen, dass irgendeiner den eigene Großvater ermorden würde, damit man selber nicht mehr auf die Welt kommen müsse. Nein, nein - Leberecht hatte dafür gesorgt, dass ähnlich wie Welle und Teilchen nur verschiedene Entsprechungen doch eigentlich ein und derselben mysteriösen Sache darstellen, bzw. die unerkennbare Gottheit sich am besten in Schöpfer, Sohn und Heiligem Geist erkennbar repräsentiert - nunmehr Ort, Zeitpunkt und thematischer Inhalt unumkehrbar ineinander konvertierbar geworden waren.
Wir schreiben das alles an dieser Stelle noch einmal nieder, damit der fröhliche Leser nicht gleich das Buch aus der Hand legt, bzw. die Flinte des erweiterten Verständnisses im nächsten Kapitel ins Korn wirft. Leberecht hatte also in der Zukunft des (für uns heute) siebenundzwanzigsten Jahrhunderts die Vergangenheit des einundzwanzigsten dahingehend modifiziert, dass er in der für ihn (im siebenundzwanzigsten Jahrhundert) Gegenwart gewordenen Zeit, welche für die Nichtreisenden tatsächlich einmal Zukunft werden würde, etwas Exorbitantes ins Werk setzte. Dieses Werk hatte schwere und generelle Auswirkungen auf die Vergangenheiten aller Äonen gezeitigt. Das war Leberechts Absicht gewesen! Der ihm von Sven geschenkten Zeitreise folgten weitere Zeitreisen, um die sich unser Leberechtbericht alle vierundfünfzig Kapitel über bereits dreht. Sie sind von Leberechts eigener Hand aufgezeichnet - aber geschehen jetzt nicht mehr "nur körperlich", sondern vornehmlich in der Sphäre des Geistes. Sie geschehen so, dass der geschilderte Vorgang der Reise den Leser vermittels bestimmter Themen, welche inhaltlich in bestimmter Tonart anklingen und hier verhandelt werden, diesen Leser also tatsächlich an Orte und in Zeiten versetzt, die der lesend Reisende als zumeist „unglaublichen thematischen Inhalt” wahrnimmt und von diesem geleitet wird, ohne dass er (der Leser) das bei jedem gelesenen Satz und Buchstaben bewusst merkt. Er reist lesend, ohne dass Haus und Hof mehrere Wochen lang leer stehen müssen, wie es sonst der Fall ist, wenn man als Person etwa nach Acapulco oder auf die Aleuten gebucht hat. Und ohne, dass der auf diese Weise reisende Mensch irgendwelcher Zeitdilatationen wegen im Vergleich zu seinem nicht mitgereister Zwillingsbruder jünger oder älter zurückkehrt.
Ja nun - wir könnten es noch tausendmal wiederholen: Verstehen werden es trotzdem nur diejenigen, welche als Menschen des Geistes betrachtet werden können. Warum? Weil es Leberecht gefiel, das genauso einzurichten. Wenn wir hier also weiterhin davon erzählen wollen - und das werden wir, dann geraten wir zwangsläufig in einigermaßen große Schwierigkeiten. Es sieht nämlich für den noch unschuldig unkundigen Leser so aus, als ob es in den einzelnen Kapiteln um ein dauerndes Hin- und Her zwischen verschiedenen Zeiten ginge oder gar um ein willkürliches Herumspringen von Ort zu Ort. Jedoch erscheint es nur für diejenigen so, die den inhaltlichen Konnex nicht nachvollziehen können, weil sie sich vom Sinn von vornherein ausgeschlossen haben. Unser Held Leberecht Gottlieb richtete es so ein, dass die Törichten mit Hilfe der Weisheit dieser Welt partout nichts von der ganzen Zeitreisesache auch nur das Mindeste verstehen können. Ja - noch nicht einmal bemerken werden, dass es hier etwas zu verstehen gäbe! Und das geschieht alles nur zum Schutze der Zukunft, aus der heraus sich die Gegenwart immer wieder sinnvoll erneuern will und auf diese Weise sogar die Vergangenheit heilen kann.
Vielleicht hat der eine oder andere Leser schon einmal bemerkt, dass, wenn man sich mit einem ganz bestimmten Thema beschäftigt, das einen wirklich von Herzen interessiert, auf seltsamste Weise Bücher, andere Literaturen und Bekanntschaften mit ähnlichen Menschen wie durch Zufall zur Kenntnis geraten oder alle eigentlich unmöglichen Dinge geschehen, die höchstens „zufällig” zu dieser Zeit an diesem bestimmten Ort sich haben ereignen können. Diese Phänomene mögen uns als besondere Fingerzeige dafür gelten, dass eben gerade an solchen Zufallspunkten die Reise durch das universale Kontinuum und den Sinnäther einen ihrer Stationspunkte mit relativ erhöhter Ereignisdichte stattfinden lässt. Man ist beispielsweise noch in seiner alten Universitätsstadt in dem bekannten Gegenwartsjahrhundert - und das, was man hier und jetzt gerade erlebt, nimmt man "nur" Vorwärtskommen innerhalb eines bestimmten Themas wahr. Aber eigentlich sind wir an einem anderen Ort oder in einer anderen Zeit - bzw. es mag sogar beides zutreffen. Der Körper ist noch da - aber der "Geistleib" (nennen wir das Rätsel einmal mit diesem inzwischen missverständlich gewordenen Begriff) befindet sich ganz woanders. Diesen Zusammenhang werden natürlich wieder nur diejenigen begreifen, welche Geist haben bzw. selber sind. "Ihr anderen alle - mühet Euch nicht. Widmet Euch anderen schönen Sachen und seid Leberechten nicht Gram." (Pseudokonfuzius: Das Rätsel des Rätsels, Band X,1-3)
Ach ja - diese elende Kröte, welche Leberecht - und damit auch wir - haben schlucken müssen. Der von dem genialen Erfinderknaben Sven in Kenntnis gesetzte Seelsorger Gottlieb durfte den Konstruktionsplan jener Maschine, die damals noch ein körperliches Zeit-Reisen ermöglichen konnte, nicht verraten (sigillum confessionis). Aber Leberecht durfte etwas anderes. Er durfte aus der Zukunft heraus für die Vergangenheit - also auch für unsre jeweilige Gegenwart - eine eigene Maschine konstruieren. Eine, welche für die wirklich Verständigen würde nutzbar sein können. Eine rein geistige Maschine für alle Weisen und Kundigen seit Adams Fall. Auf dieser „Maschine ohne Maschine” reisten und reisen seither vornehmlich alle Gnostiker verschiedener Coleur und die ganz frommen Leute. Auch wirkliche Philosophen, Kinder von Fatima und die Seherinnen aller Kulturen und Geschichten. Auch jene Pilgerschaft, welche Leberecht Gottlieb mit einem Glückslos aus der Tombolatrommel der Frau Rosetta Krüger hierher nach Ägypten gewann, ist so zu Stande gekommen.
Erbarmen, lieber Leser, denn das war eben sehr viel Theorie - und es kommt noch mehr Theorie. Aber erst einmal ist Entspannung angesagt. Leberecht wird jetzt die Tür zum Käfig des Schrödingertigers öffnen. Der Plan des Ruheständlers ist, dass durch die Öffnung der Pforte im Kasten Schrödingers in Dresden dieser Tiger aus seinem Käfige verschwindet. Das Ergebnis der ganzen Aktion soll etwa sein, dass am morgigen ersten September eine sächsische Regierung an die Hebelchen der verbliebenen Macht gelangen möge, die das liebe Vaterland durch die immer höher anbrandenden Wogen der Zeit würde steuern können. Oh ja - hier merkt auch der Allerletzte, wie auch Leberecht Gottlieb ein Kind seiner Zeit geblieben ist, wie wir alle übrigens. Er kennt sich zwar in Vielem aus, aber kann sich nicht vorstellen, dass innerhalb der damals noch existierenden schwach atmenden Parteiendemokratie auch andere Parteien die Sache der Politik würden gänzlich in den Sand setzen können. Er meint es sehr ehrlich, unser Pfarrer i.R. Und das rührt uns in nicht unbeträchtlichem Maße.
Ganz von ferne sehen wir, wie der alte Kirchenmann langsam die neunundneunzig Stufen zum Heiligtum des Ammun emporstrebt, um an der Spitze der nach oben führenden imposanten Rampe die Ordination der Aischa Endorita zu betreten. In das grüne Wahrsagezimmer jenes Doubles der ururalten Erfindung, die Karl May sich und uns erschaffen hat. Hier draußen in der Wüste Siwa führt der Weg nämlich zu Mara Durimeh. Gleich morgen werden wir uns hinter einen der vielen ganz aus Turmalingestein gearbeiteten grünen Pfeiler des phantastischen Gewölbes schleichen - und beobachten, was dann geschehen wird …
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