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das Wiedersehen
Leberecht Gottlieb (69)

69. Kapitel, das uns fast schon erfahren lässt, wie Leberecht Gottlieb das Kloster der Rambertianer in Jerusalem findet - und wie man dort seit Jahrzehnten auf ihn bereits gewartet hat … Vorher aber gibt es noch eine Mischung aus Glück und Widerstand. Die Flughafenbehörde macht Leberecht zu schaffen.

Leberecht Gottlieb hatte seine sieben Sachen zusammengepackt. Er umarmt zum Abschied noch einmal Andruschka Cohn, die eine späte Nachfahrin derer von Cohen ist - was sie auch weiß. Die Cohanim, das sind die Priester der Juden. Und alle die Cohns, Köhns, Kauns oder Kiens und die so ähnlich heißen, dürfen davon ausgehen, dass altes levitisches Blut in ihren Adern rollt. Der Name jedoch ist alles - das Blut fast nichts. „Freut euch darüber, dass eure Namen im Himmel geschrieben sind" sagt Jesus in Lukas 10,20 - und hat das ganz ernst gemeint. Nie hat er gesagt: „Wir sind von einem Blute!” Das haben später andere behauptet.
Mit den Namen ist es eine besondere Angelegenheit. Hier berühren sich die Worte des jüdischen Wanderpredigers Jesus mit den Gedanken des Athener Sokratesschülers Platon, welcher dreihundertundachtzig Jahre vor dem Mann am Kreuz gestorben war. Seinen famosen Ideenhimmel hat der griechische Erzphilosoph aus der Synonymizität jener einen jüdischen Vokabel entlehnt, die gleichermaßen für die Sphären oder Himmel gilt, wie auch für das Meer der Namen auf der anderen Seite. Wir sind - sofern wir uns als Platoniker verstehen - eigentlich alle Schüler der mosaischen Religion mit ihren zauberhaften Buchstabenzahlenrätseln.

Aber - Leberecht hatte das der Andruschka Cohn nicht erklären müssen, die mit Tränen in den Augen dem Taxi Abdullahs jetzt hinterher winkt, denn sie wusste es selber schon lange. Intuitiv nach Art der Frauen sowieso - und zusätzlich auch aus den Geheimbüchern des Wilnaer Rabbinats. Denn die alte Bibliothek der im Kriege dort zerstörten Hauptsynagoge hatte man vorher retten und nach Kairo verbringen können. In welchen Büchern die Frau Cohn nun gerne las, wenn sie Zeit hatte, die sie sich - wenn sie keine hatte - einfach nahm. Tag und Nacht.

Leberecht wird von Abdullah mit dem arabischen Segenswort "Gott ist groß" am Flughafen abgesetzt. Und dort besorgt er sich einen Flug nach Jerusalem. Für ein paar Dollar mit Aegypt-Airlines will er abheben. Er hat aber noch ein paar Stunden zu warten. Es ist neun Uhr und der Flug geht Punkt zwölf ab. Da setzt er sich in der Lounge des Flughafens und schaut zu, wie die Maschinen aufsteigen und wieder niederfahren. Er hört die unterschiedlichen Sprachen aus den Lautsprechern und sieht die Menschen aller Hautfarben. Plötzlich tippt ihm jemand auf die Schulter. Leberecht dreht sich um - und da steht er vor ihm: Mister Luan Wang Li Zhang, der Chinese mit der Seiden-Manufaktur aus Qingzhou. Luan Wang Li Zhang sagt: „Mein Herr, würden Sie Einwände dagegen erheben wollen, wenn ich es wagte, mich Ihnen mit der Bitte und Frage zu nahen, ob Sie mir wohl das Vergnügen bereiten möchten, mit mir heute zu Mittag zu speisen? Sicher können Sie sich an mich noch gut erinnern. Ich handele mit allen möglichen Textilstoffen. Und gestern gründeten mein Bruder und ich hier in Kairo eine Zweigstelle für unsere Seiden-Manufaktur. Wenn Sie sich an meinen Namen nicht erinnern sollten - was ich bezweifle - er lautet Luan Wang Li Zhang.” Leberecht konnte sich natürlich auf den Namen des freundlichen Chinesen besinnen und erhob sich höflich, wobei er sich auf seinen Herroldsstab stützte, den er sich in Andruschkas Küche gebaut hatte - genauestens nach den Anweisungen Dankreithers aus dem „Lapis Rubinorum-Buch.”

Lebercht dankte für die freundliche Einladung zum Mittagsmahl und bald sehen wir die beiden Männer - den alten deutschen Greis und den noch nicht ganz so alten chinesischen Geschäftsmann - selbander die Flughafenrestauration aufsuchen. Bevor sie den Speisesaal betretzen, in dem emsig die Kellner hin und her huschen, wirft der Chinese einen zweifelnden Blick auf das Outfit Leberechts. Und sagt dann ganz offen, dass die Anzugsordnung dieses Restaurants ein Underdressing nicht dulde. Er wisse aber Rat, denn von der Messe, die sie hier in Kairo im Zuge ihrer Filialgründung ausgerichtet hatten, wären noch einige Sachen übrig, die der Konfektionsgröße Leberechts entsprechen müssten. Und ehe der Geistliche Einspruch erheben konnte, war durch Luan Wang Li Zhang ein telefonischer Kontakt zu seinem Chauffeur hergestellt worden, welcher mit ein oder zweieinhalb Koffern sogleich herbeigeeilt kam und mit Leberecht in dem Herrenboudoir der Longue verschwand - und nach fünf Minuten wieder zum Vorschein kam.

Die Kleidung Leberechts hatte in den Tagen seines Wüstenaufenthalts tatsächlich gelitten. Sie war fleckig und unansehnlich geworden. Und nun - trug der Pfarrer in Ruhe einen chinesischen Bussinessanzug bestehend aus einer raffinierten Mischung von Wildseide und Leinen. Genau das Richtige für die Breitengrade Kairos und des Heiligen Landes. Unter dem tiefdunkelblauen Jackett schimmerte ein beiges Hemd mit Stehkragen, das vom Schnitt eher ins Japanische zielte. Nur die alten ausgetretenen Schuhe von REWE schauten trostlos unter den Hosenbeinen hervor - da aber wusste der Chauffeur ebenfalls Rat und zog ein Paar feine WingTips - bei Leberecht als Budapester bekannt - aus dem Halbköfferchen hervor. Farbe Braun - das passte sehr gut. Leberecht dankte und sprach den Satz des Meisters aus Matthaeus 6,25 aus: „Darum sage ich euch: Sorget nicht für euer Leben, was ihr essen und trinken werdet, auch nicht für euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr denn Speise? und der Leib mehr denn die Kleidung?”  Luan Wang Li Zhang lächelte auf eine stille und unergründliche Art, wie die Asiaten es gerne tun, um von außen nicht gelesen werden zu können. Dann betraten sie das Etablissment und speisten vorzüglich - wobei sich Luan Wang Li Zhang vorher ausbedungen hatte, Gastgeber des Herrn Leberecht Gottliebs sein zu dürfen.

Wenn wir nun die drei Stunden in der Restauration des Flughafens hier nacherzählen würden, müssten wir dem Gespräch der beiden Herren ein eigenes Buch widmen. Deshalb also nur soviel - der Chinese erfuhr von Leberecht die Geheimnisse des Heroldsstabes und wie man ihn herstellen müsse. Es ging in dieser Konversation also auch um Sterne, Planeten und Zahlenverhältnisse - um die esoterischen Basics der Geheimwissenschaft als solcher im Einzelnen und ganz Besonderen. Über Schriftzeichen, Orakel und hochgeistliche Dinge. Um die Psalmen und die Kabbala des Isak von Luria. Und - entweder tat Luan Wang Li Zhang nur so, als ob er sich mit der materia bereits bestens auskenne - oder er kannte sich darin wirklich mindestens so gut aus wie Leberecht. Leberecht hatte beim Genuss der exotischen Speisen allerdings die Warnung Dankreithers an Uschmann vergessen, die besagte, man solle vorsichtig sein mit dem, was man über den Heroldsstab anderen offenbare ...

Am Ende des üppigen Mittagsmahls wurde dann der Flug nach Jerusalem aufgerufen. Da stand man auf und strebte danach, den Flieger zu erreichen. Jedoch zeigte sich sehr bald, dass man Leberecht mit seinem Einmeterachzigstab nicht in das Flugzeug lassen wollte. Da führte kein Weg daran vorbei, der Tab wurde als Waffe identifiziert - die er ja auch durchaus war, wie wir später noch zur Genüge sehen werden. So mussten sich die Herren Leberecht und Luan Wang Li Zhang kurzerhand voneinander trennen. Der Chinese flog Bussinesclass nach Jerusalem und Leberecht strebte auf den Vorplatz des Flughafens zurück. Bereit zu neuen Abenteuern im edlen Seidenanzug und gerüstet mit dem Stabe aus dem Johannisbrotwäldchen Andruschka Cohns. Man hatte noch in letzter Minute verabreden können, dass man sich unbedingt wiedertreffen wolle. Am 14. September, dem Tag der Kreuzerhöhung, an der Klagemauer. Die DC10 mit Luan Wang Li Zhang hob nun geräuschvoll ab. Und Leberecht Gottlieb summte dabei das „Über den Wolken” von Reinhard May leise vor sich hin. Ihr kennt die Hymne aller Freiheitskenner? In den Pfützen des Parkplatzes schimmerte Benzin, denn in der Wirklichkeit ist es tatsächlich so wie im Liede besungen.

Jetzt schaute der sächsische Emeritus sich nach einem Omnibus um. Der Bus sollte ihn und seinen heiligen Stab ins Gelobte Land transferieren, wenn die Aeroplane sich weigerten. Swing low, sweet chariot!

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mehr von Leberecht Gottlieb hier

Autor:

Matthias Schollmeyer

Webseite von Matthias Schollmeyer
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