die Wachteln
Leberecht Gottlieb (80)
80. Kapitel, in welchem wir davon unterrichtet werden, wie der sonderbare Stab Leberecht Gottliebs die Bewohner der Wüste vor dem Hungertode errettet hätte ...
In der endlosen Wüstenweite, wo die Sonne erbarmungslos vom Himmel brennt, wandern Amanar und Tafouk. Die Sonne im Rücken fallen ihre Schatten stets im Winkel von 60 Grad zur Linken in den Sand. Diese Schatten sind zugleich die Kompassnadeln, von denen die Abgesandten derer, welche den Gebieter der Sterne und Wesen verehren, geführt werden und sich ihren Weg weisen lassen.
Was ist bisher geschehen? Unsere treuen Leser erinnern sich ganz gewiss: Der allesverwaltende Zufall wollte bewirken, dass der emeritierte Landgeistliche Leberecht Gottlieb sich bei den Jildim Hakochabim verirrte - oder sollen wir sagen, das eigentliche Ziel seiner Reise gefunden hatte? Um die dazu nötigen Schicksalsverflechtungen zu bewerkstelligen, ist der alte Mann aus Sachsen zuerst in einer Straßenbahn gerammt worden, die einer Katze wegen hatte heftig bremsen müssen. Dann war der so Betroffene auch in einem Dresdener Krankenheus kurze Zeit interniert gewesen und fachsimpelte daselbst mit einem aus dem fernen Griechenland stammenden Assistenzarzt über kabbalistische Buchstabenkombinationen als Nanotechnik des absoluten Weltgeistes. Es ging dabei natürlich auch um das Thema von „Schrödingers Katze” - also um den Einfluss unseres genauen Beobachtens, und ob dasselbe auf das Verhalten der beobachteten nicht nur quantenmechanische sondern auch (mit solchen Mikrosystemen verschränkten) mikroskopische Systeme prägend zurückwirkt. Was tatsächlich der Fall zu sein scheint. Leberecht Gottlieb las mit Vorliebe zu dieser Thematik bereits in frühester Studentenzeit alle möglichen auffindbaren Schriften und kannte sich in der Fachliteratur bestens aus. Als er nun aus dem Krankenhaus entlassen wird, gewinnt er an einem dem Hospital gegenüber liegenden Wahlkampfstand der AfD eine billige Pauschalreise nach Ägypten. Er trifft im Flieger nach Kairo auf den Mister Zwang Li Kang, einen chinesischen Seidenfabrikanten, verliert jedoch dann den Anschluss zu seiner Reisegruppe, landet dafür aber weit draußen in der Oase Siwa. Daselbst gerät er unter den Einfluss einer späteren Nachfahrin der Totenbeschwörerin von Endor, erlebt deren Bestattungsfeier und erfährt vorher auch noch von dem katastrophalen Wahlergebnis daheim im lieblichen Sachsenlande, wo der Wählerwille des erbosten Volkes sowohl der AfD als auch der CDU gleiche Stimmenanteile von je 34 Prozent zukommen ließ. Alsbald will Leberecht das albertinische Regierungsruder durch magische Manipulationen noch einmal mit letzter Kraft herumreißen, wird aber durch ständige Zwischenfälle an Planung und der Ausführung eines entsprechenden Opus Magnum bisher immer wieder gehindert. Zudem gerät er in den Strudel geheimdienstlicher Aktivitäten seitens der CIA, welche zwei sehr, sehr schöne deutsche Theologiestudentinnen auf die Suche nach Gral, Heiliger Lanze und Bundeslade angesetzt haben wollte. Fast befreundet man sich miteinander … aber dann, bei der Wiederbeschaffung des vergessenen Heroldsstabes, gerät Leberecht in die Gefangenschaft der oben erwähnten kleinen Sektenkirche, deren erste Führer (bzw. Führerinnen) am Beginn des 20. Jahrhunderts Kontakt zu dem bekannten Radebeuler Abenteuerschriftsteller Karl May gepflegt hatten, was thematisch innerhalb der Dogmenbildung der kleinen Sonderkirche zwangsläufig Eingang nahm. Nach interessantem Gottesurteil und einem unbeabsichtigten Schlangenbiss rekonvalesziert Leberecht nun draußen in der Wüste, nutzte den Heroldsstab, um eine Hungersnot bei der christlichen Sekte, die ihm seit Tagen Obdach gewährt, abzuwenden und nimmt sich nunmehr ganz fest vor, die seit zwei Wochen in Dresden zu nichts führenden Koalitionsverhandlungen zwischen den alten Christdemokraten und dem Bündnis Sarah Wagenknechts wirksam und nachhaltig zu beeinflussen. Davon in der nächsten Folge gleich mehr. Inzwischen schreiben wir den 28. September des Jahres 2024. Nun nur noch der Ordnung halber hier der Kurzbericht vom guten Ausgang der Kundschafteraktion, welche - basierend auf der Matrix der bekannten Erzählung aus dem sechzehnten Kapitel des Buches Exodus - das Volk der Jildim Hakochabim Gott und seines Dieners Leberecht kluger Intervention sei Dank vor dem Verhungern bewahrte:
Eines Tages nun, gerade als die Hitze unerträglich geworden ist, erblickten Amanar und Tafouk etwas Ungewöhnliches. Sie sehen ein riesiges Feld ermüdeter Wachteln. Die Menge der erschöpften Tiere breitet sich vor ihnen so zahlreich aus, wie zahlreich auch die Sterne am Nachthimmel zur Nacht erscheinen. Die kleinen Vögel sind zu ermattet, um nur noch einen einzigen Flügel zu heben.
"Sieh nur, Tafouk," ruftAmanar aus, "die Sonne hat diesen armen Geschöpfen alle Kraft geraubt!" Tafouk nickt: "Die Wüste ist eine harte Herrscherin über Mensch und Tier. Heute nun wird sie uns beschenken."
Mit geschickten Händen sammeln die beiden Tuaregs die Wachteln ein und füllten ihre Taschen mit den zuckenden Federbündeln. Sie wissen, dass die unerwartete Gabe zugleich Geschenk als auch Zeichen des Schicksals ist.
Als sie in ihr Zeltlager zurückkehren, werden sie von ihren Stammesgenossen mit offenen Armen empfangen. Die Nachricht von ihrem reichen Fang verbreitet sich wie ein Lauffeuer, und bald versammeln sich alle um das Lagerfeuer - jeder will Zeuge des Berichts ihrer wundersamen Errettung werden.
Die Wachteln wurden gegessen - einige jedoch sorgfältig gepflegt und wieder zu Kräften gebracht. Dank der Weisheit und des Mutes von Amanar und Tafouk ward die Hungersnot abgewandt - und die symbolische Bedeutung der Wachtel wird wieder einmal durch ein exakt historisches Ereignis in ihrer Funktion als rettende Wahrheit und Hoffnung auf das möglich Überlebens in unerbittlichen Wüsten bestätigt. Und man erzählt sich noch bis auf den heutigen Tag in den Nächten, wenn der Wüstenwind durch die Dünen geht, die sonderbare Geschichte von zwei christlichen Tuaregs inmitten des Feldes ermüdeter Vögel, welche durch ihr Lebensopfer die Gemeinschaft derer, welche den Gebieter der Sterne und Wesen verehren, vor dem Verhungern bewahrt haben ...
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