im Theater
Leberecht Gottlieb (97)
97. Kapitel, das uns bisher unbekannte Manuskripte des sächsischen Autors Karl May unter die Augen geraten lässt, auf ein anstehendes Fest hinweist und uns leider auch einmal auf die negativen Charaktereigenschaften Leberechts einen begrenzten Blick werfen lässt ...
Nachdem Leberecht Gottlieb seine Zuhörer draußen in der Wüste mehrere Tage mit seinen unglaublichen Geschichten erfreut hatte, luden die ihn jetzt - auch aus Dankbarkeit wohl - zu ihrem jährlichen Theaterfest ein, das am 7. Oktober 2024 stattfinden sollte. Dieses Fest ging auf den weiter oben schon erwähnten Besuch des sächsischen Autors Karl May zurück, den dieser einer Beduinenfamilie im Jahre 1898 abgestattet hatte und anlässlich dessen die Urmütter der später zur Sonderkirche avancierten "Jildim Hakochabim" für die kleine Radebeuler Reisegesellschaft als Dolmetscherinnen und Zugehfrauen sich hatten verpflichten wollen, woraus später eine herzliche Freundschaft mit anschließender Konversion der eher muselmanisch orientierten dortigen Wüstenbewohner zu einer orientalischen Kirche geworden war.
Der chinesische Seidenhändler Herr Luan Wang Li Zhang war ebenfalls immer noch am Ort und schlug Leberecht vor, sein Gefährte zu bleiben und gemeinsam nach Jerusalem zu reisen, wozu er seinen Maybach wieder herbestellen wollte, damit sie sicher aus der Wüste hinausgelangen würden. Leberecht bat um Bedenkzeit, zog sich zu diesem Zwecke in das große Zelt zurück, in welchem der Rezitationsknabe eben zum Gesang sich rüstete und sah auf dem Kartentisch einige Blätter mit Versen liegen. Es handelte sich dabei, wie sich bald herausstellte um ein Theaterstück, welches während des Theaterfestes aufgeführt werden sollte. Und Leberecht - neugierig, wie er schon immer gewesen war - setze sich nieder und las in dem Stück. Da aber kam Ibn Jesus herein und nahm ihm die Blätter sofort aus der Hand und sprach in ernstem Ton: Lieber Herr Gottlieb, Ihr solltet das Libretto nicht schon vor der Aufführung gelesen haben. Geduldet Euch doch bitte bis zum Tag des Festes!"
Aber Leberecht hatte schon einen Teil gelesen. Es handelte sich um einen Text von Karl May, der ihm selber noch nicht bekannt geworden war. Eine Sensation - die Karl May-Forschung würde also noch einmal mit neuen Quellen beschenkt werden. Das aber war es, was Leberecht schon vorwitzig ausgespäht hatte:
VON WAHRHEIT UND LÜGE - EIN THEATERSTÜCK VERFASST VON DEM WELTREISENDEN DR. CARL MAY
VERFASST IM JULI 1898 IN DEN WÜSTEN ÄGYPTENLANDS
S z e n e n:
1. Auf der Gasse,
2. Auf dem Markte
3. Im Steinbruch,
4. Hinter den Sternen
5. Im Heiligtum
P e r s o n e n:
1. Apollodor – gefangener Priester des Apollon
2. Theophilos. – ein zurückgekehrter Reisender und Freund des Apollodor
3. Mealethaios – ein Bekannter des Theophilos (auf das Amt Apollodors versessen)
4. Philochlos – Angehöriger des Volkes und Chorführer
5. der Ochlos – die Menschenmenge als Chor
6. Apollon – Gott und Musenführer
7. Nephele – eine Wolke
8. Lithostratos – der Felsbrocken
9. Panphagian – Krokodil aus der Kiste
1. Szene Auf der Gasse
Theophilos:
Ai, das ich dich hier antreffe –
auf unserm Markt und seinem Platz,
o, lieber Freund Mealethaios.
Mealethaios:
Gruß dir, o Freund Theophilos.
Von deiner Heimkehr hab ich grad vernommen!
Doch ist nicht Zeit jetzt für Gespräch und Plauderei.
Ich bin in Eile.
Theophilos:
In Eile bist du? Ja - das seh ich wohl.
Auf deiner Stirne glänzt der Schweiß.
Und du bist außer Atem.
Sonst - freilich ist es Jahre her -
kannt’ ich dich noch als Zeitgenossen,
der stets und auch an jeder Stelle
hier auf den Plätzen unserer Stadt
für ein Gespräch betreffs der Wahrheit
sehr zu begeistern war.
Wohin denn führt dich jetzt dein Weg?
Mealethaios:
Nun, grad heraus will ich es sagen:
So, wie ich dir auch sonst die Meinung
stets kundgab und freundlich erklärte,
will ich es heut genauso tun:
Theophilos:
Ich bin gespannt, nun sage mir’s an.
Rennst du zum Tempel des Gottes Apoll?
Willst du Orakel nehmen, wie immer?
Du warest der Frömmigkeit zugetan,
obwohl auch der Philosophie
gering nicht hast geachtet …
Mealethaios:
Gedulde dich ein wenig noch
mit meiner Antwort, –
denn eben seh’ ich da hinten
Philochlos kommen.
Auch er scheint’s eilig zu haben?
Theophilos:
Ja, sieh nur, wie die Sandalen
den Staub der Straße aufwirbeln.
Ist es nicht unwürdig für einen Greis
seines Alters, sich so zu erhitzen?
Wie alt ist er wohl …
Ich rechne es leicht uns zusammen:
Sechzig und einen Sommer wird er wohl zählen.
Mealethaios:
Nun, es wird sich genau so verhalten.
Wir wollen ihn deshalb gleich fragen,
was ihn derart zur Raserei antreibt.
(beiseite) Doch kann ich es mir bereits denken.
He, – Philochlos, was rennst du so schnell?
Und wo willst du hin?
Philochlos:
Zu dieser Hinrichtung draußen
vor dem Tor, dort am Steinbruch.
Zum Felssturz beeile ich mich.
Kommt, lauft mit mir. Es wird doch
ein Todesurteil nur selten Ereignis!
Theophilos:
Pfui, so etwas schaut man nicht an.
Jedoch, Philochlos, als Volxfreund
machst deinem Namen du wieder mal Ehre.
Wie wir wohl alle unserem Namen
Folge leisten zu müssen scheinen.
Ich aber sehe für mich keine Möglichkeit,
anzuschauen die Hinrichtung anderer.
Mealethaios:
Theophilos, - Gottesfreund wirst du genannt.
Doch merkt man, dass du der Stadt
lange schon fern bliebst.
Lange gewesen in anderen Ländern?
Weißt du denn gar nicht, wer heute dort draußen
die Schärfe des Richterspruchs hört -
um dann über den Abgrund hinaus
ins Leere gestoßen zu werden
auf diese Weise den Tod zu empfangen?
Theophilos:
Da hast du Recht, – ich war lange Zeit
im Lande der Mohren und der Chinesen.
Die Reise nahm mich drei Jahre in Anspruch.
Gestern kehr ich zurück in die Heimat.
Schiffe brachten mich her, viel hab ich erlebt
und bin mit großem Gewinn angelangt
wieder am Strande der Herkunft.
Mealethaios:
Hast du nicht aber grad in der Heimat
so viel versäumt, wie erlebt in der Fremde?
Rummel und Trubel um deinen Schulfreund Apollodor,
wie er nämlich die Ordnung der Götter
umzustoßen sich aufwarf,
die Jugend auf Abwege brachte
und mit der Kunst des Denkens
die Bilder der Tempel lächerlich machte?
Dafür empfängt er heut als Tribut
die Mildtat des Todes,
den ihm gleich zollt
die Gemeinschaft der Treuen.
Theophilos:
Apollodor zum Tode verurteilt?
Du scherzt wohl?
Das wird doch nicht wahr sein.
Nein, - wehe - solches darf nicht geschehen.
He, Mealethaios, –
er ist doch einer der Vornehmsten hier in der Stadt.
Seine Herkunft ist untadelig.
Das verrät schon der Name Apollodor.
Sollten wir beide nicht nichts unternehmen,
diesen Irrsinn zu hindern?
Ich jedenfalls will zu Hilfe ihm kommen.
Willst du dabei mich unterstützen?
Mealethaios:
So wahr ich Mealethaios heiße -
niemand kann und will ihm mehr helfen.
Er empfängt, was er bewirkte
mit seinen vorwitzigen Worten und Schriften
sich selber einbrockte.
Und helfen will ich dir sicher
wieder ein anderes Mal, – doch nicht heute.
Theophilos:
Dann trennen sich hier unsere Wege, -
wie oft schon in der Vergangenheit früher.
Ich jedenfalls werd’ ihm beisteh’n,
zumal ich ihm sehr viel verdanke.
Doch sage, – wo wolltest Du hin,
als wir uns eben wie zufällig trafen?
Obwohl ich mit vielen anderen meine,
dass es den Zufall auch gar nicht gibt.
Was war das Ziel deines eiligen Weges?
Mealethaios:
Ich habe den gleichen Weg, wie du ihn jetzt wählen wirst.
Auch ich wollte draußen vors Tor.
Theophilos:
So willst du mir also doch beisteh’n,
dem Freunde zu helfen?
Und hast deinen eigenen heimlichen Plan?
Mealethaios:
Mitnichten. Ich wollte die Hinrichtung
ebenso wenig versäumen wie Philochlos,
der nun schon weit da vorn vor uns humpelt.
Dorthin, zum Marktplatz, eilte ich eben
und eile jetzt weiter.
Aber nicht zu helfen will ich dem Spötter
sondern gerechten Urteils Vollstreckung
begehre ich nun zu betrachten
gemeinsam mit allen ehrbaren Bewohnern
von Ort und Stadt, die du wieder betreten.
Theophilos:
Ich kenne dich gar nicht wieder.
Wie sehr hat die Zeit dich verändert.
Doch will ich dir folgen, obschon ich nicht folge
dir, doch dem Wunsch zu befreien,
den Freund mir, Apollodor, den geliebten Gefährten..
Und deshalb ist unser Weg wohl derselbe,
das Ziel unsers Laufens aber wohl nicht.
Auch wenn es so aussieht, als ob ich
zu denen gehöre, die gierig nachtrachten
dem Ende des Menschen mit Jubelrufen
noch mehr der Schmerzen hinzuzufügen,
als sei es ohn’hin nicht schmerzlich genug,
am Grunde des steinigen Berges zu enden
zerschmettert zu liegen im Felsengeröll,
renn’ ich dir nach, wohl oder übel –
manchmal ergibt sich für Gegensätze
zugleich nur ein und dieselbe Straße …
Leberecht war begeistert. Auch wenn er den Text nicht bis zum Ende hatte lesen können. Er war auf die Aufführung gespannt und sagte dem Herrn Luan Wang Li Zhang zu, mit ihm nach dem Theaterfeste zur Stadt Jerusalem reisen zu wollen. Es waren nur noch zwei Tage bis zum 7. Oktober, also genug Zeit, das große Opus Magnum vorzubereiten, welches zum Zweck hatte, die bisher aussichtslos gewesenen Koalitionsverhandlungen im sächsischen Landtag vermittels mantischer Manipulationen zu lenken und zu beeinflussen.
Leberecht jedenfalls freute sich schon sehr auf das Stücklein Karl Mays und erzählte dem Chinesen Luan Wang Li Zhang natürlich den bisher bekannt gewordenen Inhalt. Luan Wang Li Zhang nickte beifällig und monierte nur, dass keine Frauenspersonen mitspielen sollten. Das allerdings gefiel nun Leberecht wieder. Und nun ist endlich einmal die Gelegenheit gekommen, zu unserem großen Bedauern den Lesern und vor allen Dingen den Leserinnen gegenüber an dieser Stelle jene wichtige Information einzuflechten, welche nichts anderes besagt, als dass Leberecht Gottlieb, so sehr er auch unsere Sympathie bisher hie und da genießen konnte und sicher später auch noch genießen können wird, gewisse misogyne Züge an sich trägt, die durchaus dazu geeignet sind, ihm zornig die Gefolgschaft aufzukündigen. Da ist zum ersten das angeblich geringe spielerische Interesse an den logischen Verknüpfungen der so überaus differenzierten alten Theologie der Kirchenväterzeit, welches der Pfarrer i.R. Leberecht Gottlieb seinen weiblichen Kolleginnen unterstellen möchte. Ohne Vorhandensein dieser besonderen Art von Phantasie und Humor aber wäre - meint Leberecht - das Theologietreiben gar nicht denkbar und nie zu leisten gewesen, wie angeblich alle wüssten. Zum anderen wirft Leberecht Frauen die Unfähigkeit vor, sich vorzustellen, wie die blutigen Szenarien der archaischen Urzeit wahrscheinlich schon ihren Sinn gehabt haben werden. Dann noch - dass die Abschaffung des fürchterlichen Chaos matriarchaler Gesellschaften und deren Ersetzung durch die Ordnung des Patriarchats von Seiten der Frauen überhaupt nicht verstanden und noch weniger historisch gewürdigt werden kann - weil sie sich selber betroffen fühlen, obwohl das gar nicht der Fall ist. Viel anderes wäre an dieser Stelle noch anzuführen, wir unterlassen es aber aus Respekt vor unserem Helden, ihn moralisch in Bausch und Bogen zu demontieren. Das wäre wirklich nicht fein - auch uns selber gegenüber nicht, die wir dieses Buch diktieren. Schlechte Informationen machen schlechte Gedanken. Und schlechte Gedanken lähmen die Kreativität - das ist allgemein bekannt. Nur noch dieses Eine zum Abschluss des notwendig gewesenen Einschubs: Tatsächlich ist es schon bedauerlich oder sogar schlimm - und hier können wir Leberecht Gottlieb unter Umständen verstehen - dass Frauen eine für die Verkündigung des Wortes Gottes eher ungeeignete Stimmlage verliehen bekommen haben. Der HERR hat es offenbar so und nicht anders gewollt. Er hat die Frauen schön und verführerisch gemacht, ihnen viel Zuwendungsempathie Säuglingen und ihren Kindlein gegenüber und auch andere hilfreiche Instinkte, die der Erhaltung der Art dienen, eingepflanzt - aber stimmgewaltig wollte er sie nicht machen. Ja doch - schreien und kreischen können sie schon, vor allem in Gefahr, wie uns Hollywoodfilme aus den Sechzigern verraten. Aber etwas geistig Anspruchsvolles in angenehmer Stimmlage vorzutragen - das hat er dem anderen Geschlecht überlassen wollen, meint Leberecht, dem wir - das sei hier ausdrücklich betont - nicht zustimmen, sondern nur referieren. Oft schon hatte Leberecht es mit Fernsehgottesdiensten aus ARD und ZDF versucht, aber meistens irritiert recht bald abgeschaltet. Es kommt keine Ruhe auf, wenn eine Frauenstimme antike Texte vorliest. Man gerät irgendwie fast immer in eine kribbelige Spannung und irgendwelchen Stress. Man denkt, hoffentlich ist es bald zu Ende. Und hat Angst, ob die da vorne den Satz gut zu Ende bringen wird und der Sinn der Aussage am Ende noch mit dabei ist oder wenigstens zu ahnen war. Das Allerschlimmste aber, was Leberecht seinen Kolleginnen vorwarf, war, dass die Kolleginnen, sobald es interessant im Gespräch erst wird und sich die Portale zu den weiten Feldern der Geistesgeschichte mit leisem Knarren auftun möchten - und es dann um etwas wirklich Interessantes gehen könnte, also um etwas, das man noch nicht aus der Christenlehre eigener Kinderzeiten oder irgendeiner woken Weiterbildung hatte zur Kenntnis nehmen dürfen, dass sie dann abschalten oder das Ganze ins Lächerliche ziehen. Natürlich gibt es Ausnahmen, die für Leberecht die Regel bestätigen. Hildegard von Bingen etwa, Hannah Arendt zum Beispiel, dann noch Madame Curie und Berta von Suttner nicht zu vergessen. Auch Margaret Thatcher gehört für Leberecht dazu. Das war es dann aber auch fast schon.
Natürlich müssen wir Leberecht Gottlieb hier im Kapitel 97 in Allem deutlich widersprechen und haben es hiermit hoffentlich auch ausreichend getan. Das soll uns aber nicht daran hindern, den Schleifen seines interessanten schicksalshaften Weges weiter zu folgen, um nämlich bereits schon im nächsten Kapitel ein Theaterfest in der Wüste mit zu erleben ...
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