ERINNERUNG AN DIE WAHL IN BRANDENBURG
Leberecht Gottlieb (Kapitel 107)

207. Kapitel, in dem wir erfahren, dass Leberecht Gottlieb einen Albtraum gehabt und sich an die Landtagswahl im Brandenburgischen erinnert. Wie er die Hymne der Mark pfeift und sich auf den Wege zu Pinchas macht, welcher ein Maulbeerbaum- und Rosenzüchter ist ...

Albträume ... Aber schließlich erwacht Leberecht Gottlieb doch, wenn auch schweißgebadet. Ja - eben träumte ihm von einer Landtagswahl. Und das erinnert daran, warum er eigentlich hier im Kloster der Rambertianer gelandet ist. Eigentlich. Nun - „eigentlich" ist ein sonderbares Wort. Nicht, dass sich hinter EIGENTLICH eigentlich Welten - oder sogar kosmische Zusammenhänge verbergen? „Vergiss das Eigentliche nicht!”  Solchen Rat raunt die Blaue Blume im 19. Jahrhundert aus den Romanen der Romantiker uns geheimnisvoll zu. Und wie Recht die Blume damit hat ...

Leberecht erwacht also langsam aus seinem schlimmen Traum, von dem hier nicht weiter die Rede sein soll. Es reicht, dass es um die Brandenburgwahl ging. Er erinnert sich noch genau an jenen fatalen Tag, welcher seinem heutigen Traum offenbar zu Grunde liegt. Der 23. September ist's gewesen. Da war er in der Frühe informiert worden. Ein alter Brandenburger Amtsbruder sandte die Nachricht, wie die Sozialdemokraten mit einem gewaltigen Klimmzug die Landtagswahl dann doch noch als Sieger bewältigten. Auf 1,7 Prozent Mehrstimmen war man an den Schwefelbrüdern knapp vorbei geglitten. Die Brandenburger sollten nämlich taktisch abstimmen: Um die medial allerorten als Neu-Faschisten apostrophierten Blauen im Hintertreffen zu lassen, hatten viele der Verführung nachgegeben, die Sozialdemokraten auf dem Stimmzettel anzukreuzen - und nicht wie in Vorjahren die ehrbaren Christdemokraten oder gar die DDR-treuen Linken bzw. die vom Bündnis 90 mit den Grünen. „Wer hat uns verraten?” mögen die Verlierer angestimmt haben? Denn ihre Antwort bekamen sie prompt. Verlust eigener Präsenz im Potsdamer Parlament.

Potsdam ist eine schöne Stadt. Wie oft war Leberecht dort im Schlosse Sanssouci und seinem sorglos machenden Garten beim alten Preußenkönig Fritz und seinen Grabhunden lustgewandelt. Gemeinsam mit dem Freunde Friedrich Diethold Plan - von dem wir weiter oben schon berichtet haben. Nun sandte der alte Kommilitone - freilich jetzt aus einem Altersheim an der Spree - jene elektronische Nachricht auf das Smartphone des Ägyptenfahrers. Die SPD-Kämpfer konnten also einen knappen Sieg einfahren - und die Links-Grünen waren abgestraft worden.

Freilich, das Bündnis um die schöne Frau - aus Johann Gottlieb Fichtes Universitätsstadt Jena und dem fernen Iran Zoroasters zumal stammend - war wie der Stern von Bethlehem aufgedrungen, so dass viele vor diesem Bildnis niederfielen, wie seinerzeit die Könige aus Morgenland anbeteten und jenem von den Plakaten herab lächelnden Weibe ihre Kreuzchen in den Kreis zeichneten. So waren die Wagenknechte wacker in den Landtag eingezogen und satzten sich auf die verwaisten Plätze der Linken, Grünen und Liberalen. Dreizehn satte Prozent konnten die Jünger des Schönweibes immerhin erringen.

Leberecht selbst war am 23. September noch in der Oase Siwa gewesen - der treue Leser erinnert sich. Dort studierte er seinerzeit die mystischen Aufzeichnungen Dankreithers über den sogenannten Heroldsstab. Aber - trotz aller Intellektualität: Das wollte er sich dann doch gönnen: Bis zur Erschöpfung des in seinem Smartphon verbauten Akkumulators lauschte Leberecht der Brandenburger Hymne, die mit einer fröhlichen Melodei daherkommt und nur bei notorisch dauervergrämten Haltungsmenschen als verfemt gilt. "Fliege hoch - du roter Adler". Der greise Geistliche aus Sachsen hatte mit der uralten Orakelpriesterin ein wenig über den mystischen Text der Brandenburghymne sich ausgetauscht - bzw. ihrem Vortrag gelauscht. Und diese sonderbare Frau bedeutete dem Emeritus kraft ihrer damals in Dresden bei Sascha Schneider geschulten Weisheit und überaus klugen Gabe, geheime Symbole von Texten zu durchschauen und einem entsprechenden Interpretament zu unterziehen, Folgendes: Sie sagte, dass der rote Adler natürlich nichts anderes als der Phoinix des Landes sein könne. Und während im Hintergrund der schneidige Marsch der Brandenburger Hymne immer wieder erklang, oder, wie der Brandenburger sagen würde: - "will ma sagen, sich abspielen tat" - gab die gebildete Halb-Orientalin eine wunderbare Analyse des bekannten und in der märkischen Heide beliebten Volksliedes:

„Märkische Heide, märkischer Sand, / Sind des Märkers Freude, sind sein Heimatland.”

Das sei nichts anderes als eine persönliche Anrede in Richtung des Landes, ein Wort an die Scholle, die Ackerkrume, den Boden - wenn auch zumeist nur aus Sand bestehend. Wer aber mit dem Lande allso redet, von dessen Staube dem biblischem Zeugnis gemäß man selber genommen und gebildet sei; - das muss wohl ein frommer Menschenschlag sein. Die Brandenburger oder Preußen mit ihren vielen Friedrichs und Wilhelms bzw. Friedrich Wilhelms, Könige in Preußen oder dann auch von Preußen. Kenne sich wer will da jemals genau aus ... Direkt fabelhaft! Dann aber die bezwingenden Wort des Refrains: 

„Steige hoch, du roter Adler, über Sumpf und Sand / Über dunkle Kiefernwälder, heil dir mein Brandenburger Land!”

Ja - hier käme ganz klar zum Ausdruck, dass ein besonderer Geistbezug des Brandenburgers nicht zu unterschätzen sei. Denn der Vogel - schlechthinniges Sinnbild des Geistlich/Geistigen überhaupt - werde hier in direkter Verehrung angesungen. Und den Schwingen des gefiederten Totemtieres würde durch den menschlichen Gesang Kraft gegeben und direkt auch zuteil. Warum dieses alles? Um sich über den Sumpf zu erheben, über jenen bösen Sumpf, in dem alles zu versinken drohe, wenn der Geist sich nicht immer, immer wieder mutig aufmachte - aufschwänge. Hatte die Orakelpriesterin orakelt. Dann fährt der Text weiter fort: 

„Uralte Eichen, dunkler Buchenhain, / Grünende Birken umrahmen den Wiesenhain.”

Die Eiche Donars ist natürlich gemeint, in der die Dryade hausen muss und um Erlösung fleht. Wo Genovefa wohnt und unter welchem Baume die Schwester den sieben verwunschenen Märchenschwänen der Gebrüder Grimm siebenHemden aus Brennnesseln wob und noch webt. Unter einer Eiche - saß da in der Bibel nicht auch die Richterin Deborah, ehe sie Barak den Tip gab, gegen Sisera in einen Kampf zu ziehen, den er gewinnen würde - was dann auch geschah? Denn das Weib war ebenfalls wahrhaftige Prophetin. Der Wald, der deutsche Wald. Das ist es . That's the Point! In dieser Weise hatte die Priesterin mit sächsischer Waldorf-Bildung immer weiter geraunt. „Steige hoch, du roter Adler, über Sumpf und Sand!” Schließlich wende sich der Text dann auch noch an die Bauern und Bürger des märk'schen Geschlechts. 

„Hielten stets zur Heimat in märk'scher Treue fest!”

So sänge der Text. Und war es nicht genauso? Man war zu den Wahlurnen geeilt. Ein jeder stracks vor sich hin. Zu fast 73 % war dies geschehen - wenn auch das amtliche Ergebnis nicht alle zufrieden stimmen konnte. Nun saß der rote Adler aufmerksam auf einer dieser vom Blitz getroffenen Eichen oder von Klima-Dürre beschädigten Föhren und blickte herab, wie die Sitze im Potsdamer Schloss sich wohl verteilen und wer welchen Sessel besetzen würde. Ja - und dann war das schneidige Lied zu Ende - und der Akku komplett ausgesogen. Genau an der Stelle: „Fliege hoch du roter Adler!” war es geschehen. Und Leberecht hatte nicht schlecht gestaunt, wie eine Wüstenprophetin das schnell hingeworfene Lied des brandenburger Gustav Büchsenschütz aus Neu-Vehlefanz zu extemporieren wusste.

Das Ergebnis fiel in Brandenburg ähnlich aus wie in Thüringen und seinem geliebten Sachsen. Unregierbarkeit drohte, Spaltung des Landvolkes - und es waren wohl einige Kunstgriffe nötig, die unvereinbarlichen Parteiungen, welche sich da im märkischen Sand, der Gegend um Elbflorenz und am Fuße der sterbenden Thüringer Forsten hatten bilden müssen, künstlich und gewieft irgendwie wieder miteinander zu verbandeln.

Und genau das wollte ja Leberecht mit Hilfe magischer Prozeduren und Operationen sehr gern erreichen helfen. Darin bestand doch sein Plan - den er tatsächlich auf der Reise fast vergessen hatte. „Oh - ich Säumiger!”  rief er  sich selbst zu und schlug dabei an die Brust. „Mea maxima Culpa!” ergänzte er noch, denn heimlich war Leberecht immer noch Katholik. Er beschloss, endlich aufzustehen - und beschloss weiterhin, diesen sonderbaren Pinchas, der es doch tatsächlich geschafft hatte, einen Maulbeerbaum mit einem Rosenstock zu ein und demselben Gewächs zu verbinden, ins Vertrauen zu ziehen. Leberecht warf die Bettdecke ab und trat in den Kreuzgang der ehemaligen Klosteranlage jener längst vergessenen Rambertimönche, von denen heutigentags fast keiner mehr irgendetwas weiß noch vermutet … Während er die langen Gänge durchwandelte, pfiff er die Brandenburghymne vor sich in. Fliege hoch, du roter Adler. Auch der getreue Leser sollte es sich spätestens an dieser Stelle angelegen sein lassen, dem verwunschenen Liede gern einmal zuzuhören
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Mehr von Leberecht Gottlieb hier

Autor:

Matthias Schollmeyer

Webseite von Matthias Schollmeyer
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