de veritate picturarum moventium
Leberecht Gottlieb (Teil 111)

111. Kapitel  ...  VON DER WAHRHEIT DES FILMS (de veritate picturarum moventium). Ein Kapitel, in welchem wir drei älteren Herren beim Betrachten eines Westernfilmes Gesellschaft leisten und dabei tiefere Einblicke in die Denkungsart des Kabbalisten Pinchas erhalten.

Unsere drei Herren verfolgten am Abend des 14. Oktobris anno domini 2024 den Film McKenna’s Gold mit äußerster Aufmerksamkeit - obwohl alle drei den Streifen bereits zu mehreren Malen gesehen hatten. Nichts ist reizvoller, als jene Filme noch eimal zu betrachten, welche man vor langen Jahrzehnten kennen gelernt hatte. Denn die unterschiedlichen Sichtweisen auf das Filmerlebnis beschämen und beglücken uns mitunter zugleich. Das Mysterium der Selbsterkenntnis und der Erkenntnis überhaupt greift in solchen Fällen mit Macht nach den Betrachtern. Auch bei Büchern kann man diesen Effekt bemerken, - wenn er hier auch weniger zum Ausstoß hirnaktivierender Botenstoffe führt als bei den kinematographischen Belustigungen üblich. Das ist allgemein bekannt ... Mit solchen und ähnlichen Bemerkungen wurde der Ablauf von McKenna’s Gold  hin und wieder durch die drei alten Herren kommentiert, was sozusagen eine neue Schicht über bzw. unter den bereits 1969 gedrehten Streifen legte, dem Opus  also so etwas wie eine ironisch kritisch-sarkastische Ebene einzog, die die gesamte Handlung zusätzlich reizvoll und auch erträglich machte.

Den treuen Lesern und Begleitern Leberecht Gottliebs, die den Film noch nicht kennen, sei die Handlung hier kurz einmal dargestellt. Es geht also um Gold. Um jenes Gold, dass den Menschen schon immer verdorben und zu unsinnigsten Handlungen verführt hat. Wir erinnern uns natürlich sofort an die Geschichte vom goldenen Kalb aus dem Exodusbuche, als die Kinder Israels frevelten, weil ihnen der reine Gedanke des "Seins an sich" nicht mehr ausreichte. Nein, nein - man wollte um ein Stierkalb herum tanzen und sich nicht durch Denken frühzeitig scheintod machen, um mit Hilfe dieses Tricks das Nichts doch noch am Zipfel seines Negligees zu packen und damit gar glauben zu können, dass hinter den Schleiern des erkenntnistheoretischen Nirwanas etwas sei, was man vergleichen könnte mit den schwellenden Rundungen der archaischen Vegetationsgottheiten Vorderasiens. Verführung also allerorten.

Verführung auch auf der Ebene der Geschlechterbeziehung. Sie spielt filmisch genial und bis an das Grenzwertige umgesetzt ebenfalls eine Rolle - so dass also für jede(n) was dabei ist. Die böse Fee und die gute Fee kommen nämlich miteinander in Konflikt, denn - wie könnte es anders sein - beide sind irgendwie in den Helden der Geschichte verliebt. Eine - die Indianersquaw Hesh-Ke, gespielt von Julie Newmar, stellt dabei wohl den Sexy Hexi Typ dar. Die andere Frau gleicht eher der Blaupause aller zukünftig häuslichen Ehepartnerinnen. Camilla Sparv kam die dankenswerte Aufgabe zu, gemäß dieser Art und Weise eine gewisse Inga zu spielen - Tochter des Bürgermeisters Bergerman. Objekt des Interesses beider Frauenzimmer ist nun kein anderer als Gregory Peck selbst, welcher den guten und gewieften Marshal Samuel Mackenna in unvergleichlich verlässlicher Weise abgibt.

Da haben also alle von einem Cañon gehört, in dessen verborgenem Verstecke Unmengen von Gold angeblich herum liegen sollen. Und jede Menge Schurken hatten sich in der Vergangenheit bereits aufgemacht, das glänzende Metall in ihren Besitz zu bringen. Auch jetzt sind sie wieder welche unterwegs - und schon bald droht der absolute Show Down, der die Bösen zum Erfolg und die Guten zur Liquidation zu führen droht. Aber man weiß auch - alle, die sich um das Gold mühen, waren bisher entweder umgekommen bzw. geblendet worden. Wer blendete sie? Nicht nur das Gold, sondern auch die Indianer, denen dieses Gold gehört - in unserem Fall Apachen. Der Apachenhäuptling Prairie Dog, der tatsächlich so aussieht wie Leberecht Gottlieb, wird von Marshal McKenna erschossen, den jedoch deswegen keine Schuld trifft, denn er handelt in Notwehr. Wilder Westen eben … Bevor jetzt aber unser verwundeter Häuptling zu seinen Vätern in die Ewigen Jagdgründe versammelt wird, klärt der in den ihm noch verbleibenden letzten Lebensminuten Marshal McKenna und uns darüber auf, dass das nämliche Gold im Cañon de Oro nur solange das Glück der Apachen garantiert, solange keiner es eben an sich bringt. Wer es aber doch an sich bringen wolle, den träfe der Fluch der Geister, die das Gold seit Jahrhunderten verlässlich bewachen. Natürlich kommt dann alles genau so, wie der Häuptling es ankündigt. Zum Schluss stürzt der gesamte Coñon in sich zusammen und begräbt das Gold unter einer riesigen Menge tauben Gesteins. Wang Li Zhang meinte lakonisch zu diesem Sachverhalt, dass die Chinesen das verschüttete Edelmetall wohl recht leicht wieder hervorbringen könnten - und er entwarf gleich einen bis in die Einzelheiten untersetzten Masterplan für die Bergung des Schatzes inclusive Fließschema für den Einsatz eines entsprechenden Maschinenparks.

Leberecht seinerseits versuchte Einspruch dagegen zu erheben, dass der inzwischen tote Häuptling Prairy Dog so ausschaue wie er selbst - allein, er hatte damit keinen rechten Erfolg. Nein, nein - die Ähnlichkeit gehe sogar über alles das hinaus, worin sich alle alten Menschen sowieso ähnelten. Er - Leberecht Gottlieb als alter Protestantenpfarrherr - sei nun eben einmal diesem magisch fluchenden geheimnisvollen Zauberhäuptling wie aus dem Gesicht geschnitten, auch wenn dieser keinen Bart, er dagegen schon einen solchen im Gesicht trage.

Der sächsische Ruheständler gab sich geschlagen. Dann aber zog besonders Pinchas über die junge und von Mütterchen Natur recht üppig ausgestattete Indianersquaw Hesh-Ke her. An deren Beispiel, sagte er, sähe man wieder einmal ganz deutlich, worum es Frauen überhaupt immer nur ginge. Um nichts anderes, als darum, irgendwelche Männer von der wahren Aufgabe des geistigen Lebens abzuhalten und auf allerlei verderbliche Wege in elend kleine Liebesschicksale zu verstricken - nicht aber etwa zur geistigen Welt empor zu führen, wie Goethe zu Doctor Fausti am Letzten meinte es beschreiben zu können. Sondern Frauen nur zu vergänglichen Freuden gerade jener Sinne anzustacheln wünschen und wie von dämonischen Kräften genau dazu getrieben werden, dasjenige, was uns am meisten und am unwürdigsten noch mit dem Tierreiche verbandelt, immer und immer wieder zu entfesseln. Der amerikanischen Filmschauspielerin Julie Newmar, fuhr Pinchas fort, gelänge es sehr gut, diesen Frauentyp anschaubar zu machen; und die Rolle sei ja wahrscheinlich ihr persönlich auf den Leib geschrieben worden. Ja - geradezu übertrieben wären schauspielerische Affektation der feschen Indianerin, Mimik und theatralische Attitüde, wie man solches sonst nur aus den Filmen Sergej Eisensteins noch kannte. Es posiere das unmögliche Frauenzimmer zwar recht umständlich aber absolut durchschaubar herum, darin gliche sie der ersten Frau Adams als jener sattsam bekannten Lilith und stünde dieser in nichts nach, wo sie den armen Marshal McKenna herumkriegen wollte. Und wie sie sich dabei in ihrer - zugegeben - tadellosen Gestalt auf das Allerunschicklichste erst betrachten ließ, das sei ein wahrer Skandal.

Aber - dann? Dann stürzt man innerhalb eines filmisch wahrhaft epochal umgesetzten Walkürenritts, bei dem das fatale Weib die Konkurrentin in den Abgrund schleudern will, selbst in jenen Schlund des Verderbens - und ihr Sturz wird gefühlte Minuten lang in der Totale allen Zuschauern - und Zuschauerinnen (fügte Pinchas gendernd hinzu) samt blutigem Aufprall gezeigt.

Wie Luzifer einst fiel, so rast nun auch die Verführerin McKennas der am Felsengrund wartenden sicheren Totalzerschmetterung ihres fabelhaften Körpers unweigerlich entgegen. Was der Film uns von solcherart Verruchten noch vernehmen lässt - das ist deren gellender Verzweiflungsschrei, welcher jedoch nicht mehr auf Erbarmen hoffen kann.

Leberecht und der Chinese hörten mit angehaltenem Atem zu, wie Pinchas seine durchaus frauenfeindlich zu nennende Etüde noch ein wenig weiter fortführte. Dann aber war auch schon das Ende des Films gekommen und in die Musik des Abspanns hinein entwickelte sich jetzt ein theo-philosophisches Streitgespräch darüber, ob Flüche mehr bewirken könnten als Segenssprüche - und ob die sprachlich induzierten mantischen Verschränkungen geistiger mit materiellen Seinsebenen es erlauben würden, Gegenstände gegen Diebstahl zu bannen, ob Gold ein begehrenswertes Metall darstelle und wie man es aus Blei verfertigen könne - womit wieder einmal das Tor zu dem weiten Feld alchymischer Betätigungen aufgestoßen worden war.

Wie man sich denken kann, votierte Pinchas positiv in diese Richtung. Er war der klassische Alchemist und Magus, zu dem die Dinge sprachen und der mit ihnen sich auf geheime Weise zu unterreden verstand. Der chinesische Seidenhändler dagegen hielt sich als Ururenkel des nüchternen Konfuzius dezent zurück und gab zu bedenken, dass es in dieser ungerechten Welt doch eher darum gehen müsste, allen Menschen zu einer guten Garderobe, am besten bestehend aus tiefblauer Naturseide, zu verhelfen. Leberecht Gottlieb dagegen suchte fieberhaft im Gedächtnis nach entsprechenden Bekenntnisschriften - fand aber nur heraus, dass die Sprüche des Herrn Pinchas älter zählten als die der Lutheraner aus dem 16. und 17. Jahrhundert. Deshalb schwieg er und hörte gespannt zu, wie Pinchas eine allgemeine Theorie des Weltenaufbaus zu extemporieren begann - wovon wir morgen mehr hören werden …

mehr von Leberecht Gottlieb hier …

Autor:

Matthias Schollmeyer

Webseite von Matthias Schollmeyer
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