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Gedanken zu Hass & Hetze
Struktur eines Problems

Gefühlt bereits seit Jahren schon - doch eigentlich erst kurze Zeit - begleiten uns Sprüche wie „Herz statt Hetze”, „Vielfalt statt Einfalt” und „Bunt statt Grau." Irgendjemand hat sich diese Parolen ausgedacht. War es am verregneten Wochenende während eines Seminars zur Demokratieentwicklung oder eines heißen Sommertags? Auf der Jagd nach solchen und ähnlichen Schwarz-Weiß-Kurzformeln woker Haltungsattitüde, mit denen sich die Erfinder dieser und ähnlicher Worthülsen zuerst selbst emotionalisierten und dann - nach Einwerbung entsprechender Finanzmittel - vermittels Plakaten, Bannern, Flyern und Demonstrationen auch die Massen zu mobilisieren versuchen, sind nebenbei sogar mehr oder weniger lustige Spruchderivate entstanden. So konnte man hier und da die Freudsche Fehlleistung „Herz statt Herze” lesen bzw. von „einfältiger Vielfalt” bzw. „Hass statt Hetze” hören.

Die Vokabel „Hetzen” selbst ist als Wort im Deutschen mit all dem verwandt, was höherer Erregungstemperatur bzw. der "Hitze" als solcher nahe kommt. Mit „to rush” im Englischen bedeutet der Begriff soviel wie „etwas anzutreiben und schnell zu machen.” Stammt es wohl gar auch aus dem weitläufigen Gebiet der Jagd und meint, dass irgendein kundiger Waidmann seinen Hund oder gar die Hundemeute auf ein Wild ansetzt und seine Tiere mit den Worten „Fass!” ermutigt, dem flüchtigem Hirsch nachzusetzen bzw. den wilden Eber zu bezwingen und unterlegen zu machen? Vor allem aber geht es darum, die noch feigen Hunde mutig zu machen, anzufeuern und zu trainieren. Eindrückliches Beispiel ist Gerhard Polts bekannter Titel DER HUNDEBESITZER. „Fass” als Kommandobefehl reimt sich auf Hass. Und "Hasso" ist nicht der unbekannteste Name für den Schäferhund. Bis in Schillers Ballade DER KAMPF MIT DEM DRACHEN führt uns das Wort "Hetze", wo ein Ritter des Johannesordens seine Hunde auf den Drachen trainiert (ab Minute 06:00 hier in der unvergleichlichen Art Klaus Kinskis vorgetragen).

Peter Sloterdijks Buch „Zorn und Zeit” (unbedingt lesen) stellt in unüberbietbarer Genauigkeit zusammen, wie kluge Leute es schon immer verstanden haben, Wut und Zorn aus den Waben der einzelnen Hirne, Herzen und Thymosdrüsen derer, die sich zur Masse haben machen lassen, abzuschöpfen - ganz ähnlich wie die Zeidler den Honig gewinnen. Ist die Extraktion der negativ-psychischen Energien erst einmal gelungen, geht es danach hauptsächlich noch darum, die durch den Verlust des Eigenen gewonnene Wut listig auf speziell dafür geschaffene "geistige Bankinstitute" zu transferieren, um den dort institutionell gesammelten Zorn längere Zeit für sich arbeiten zu lassen - mit Zins und Zinseszins. Eines Tages dann nämlich würde die bis ans scheinbar Unendliche gewachsene Wutenergie in enge Kanäle geleitet und ihre Kraft dazu eingesetzt werden können, politische Arbeit zu verrichten.

Frage: Wer hasst und hetzt - muss das nicht ein Linker sein? Nun - das ist fast ausnahmslos der Fall! Wobei - das sei dem edlen Linken zur Beruhigung konzediert - gleichzeitig ebenfalls gilt: Alle die hassen, sind zwar links - aber längst nicht alle, die sich Links nennen, hassen. Das macht die Sache zusätzlich schwieriger, als sie eigentlich zu sein scheint - insgesamt aber auch interessant.

Der Rechte dagegen, oder sollen wir ihn "den Konservativen" nennen? lehnt sich - im Blick auf die Welt mit ihr grundsätzlich zufrieden - in jenen alten Lehnstuhl zurück, welchen er von seinem seligen Großvater ererbt hat. Gibt es also gar keine rechte bzw. konservative Hetze? Nein - denn wer hetzt, macht sich automatisch zum Linken. Begründung: Wer nichts Geistiges ererbt hat, schließt sich zwangsweise meistens irgendeiner Masse an und mit ihr zusammen - er wird zum Linken und in der linken Masse haltlos und wütend. Darin ist er zu bedauern. Den Herrschenden lag es deshalb immer am Herzen, Menschen zuerst zu atomisieren, sie aus ihren Werte- und Kulturzusammenhängen zu drängen, zu isolieren und werte- bzw. geistig heimatlos zu machen. Ist das erst einmal geschehen, dann sind alle diese Einzelnen leichter zu beherrschen und zu steuern. Die Soziologie gibt es als Wissenschaft vom Funktionieren der Massen fraglos erst seit einer Zeit, als die Einzelnen zu Funktions-Massen zusammen geschlossen worden waren. Der Hass des Einzelnen auf sich selbst als auf den Sich-Selbst-Verlorengegangenen ist das Geländer, an dem die zukunftslos gemachten Seelen im Sinne der Herrschenden geleitet werden. Das ist nun keine Kritik an den Linken, sondern Analyse eines beklagenswerten Zustands. Dass Neonazis Linke sind ist dabei hoffentlich jedem klar, der einigermaßen bei Verstand ist. Die Demonstrationen und Rufe der Antifa und der echten Faschisten ähneln einander wie ein Ei dem anderen. Wie aber könnte man sich dagegen wehren, dass man zum Linken gemacht wird?  Also zu einem Menschen, der meint hassen zu müssen - und noch stolz darauf ist, das auch tatsächlich zu tun? 

In der DDR verboten verantwortliche christliche Elternhäuser ihren Kindern, Mitglied in der "Pionierorganisation Ernst Thälmann" zu werden. Ich kann mich noch an ein entsprechendes Gespräch meines Vaters mit dem Grundschuldirektor erinnern, der meiner Nichttäterschaft bei den Jungen Pionieren wegen einen Hausbesuch bei uns im Schildauer Pfarrhaus wagte. (Heute will ich nachträglich den Mut dieses Mannes anerkennen, der in meinem Vater ja auf einen ungleich stärkeren Gesprächspartner traf - und sich trotzdem zu uns getraute.) Dem Abgesandten des Arbeiter- und Bauernstaates von Mar-Gott wurde in Gegenwart der über dem Flügel hängenden Gemälde unserer Pastorenvorfahren erklärt, dass "die Kinder überall dort nicht mitmachen würden, wo zu Hass auf den Klassenfeind aufgehetzt werden würde, wie es in den Pionierstatuten abgedruckt" zu lesen sei. Als das Gespräch sich mit der Zeit mehr und ,mehr belebte, wurde ich aus dem Zimmer geschickt und konnte die theoretische Niederlage des Direktors leider nicht miterleben.

Den Zorn dieses Mannes bekam ich aber praktisch jahrelang zu spüren. Ich musste - oder durfte? - im Klassenraum allein an den Sprelacartbänken sitzen. Um dass zu gewährleisten, wies meine Klasse immer eine ungerade Schüleranzahl auf, was zum Schuljahresanfang hin und wieder Umschichtungen in den insgesamt drei Zügen zur Folge hatte, bzw. manchen Schulkameraden dann doch nicht sitzenbleiben ließ, damit eine ungerade Zahl garantiert war. Hass ... Hass ist fehlgeleiteter Zorn - ungesteuerte Wut und definitiv ein linkes Phänomen! Die Hassenden sind immer links - egal, ob ihre Partei oder Gruppe scheinbar Anleihen bei konservativem Gedankengut nahm oder ob nicht. Noch einmal: Alle die hassen, sind links. Aber längst nicht alle, die sich Links nennen, hassen. Das macht das Ganze schwierig - aber insgesamt auch interessant.

Wie aber kommt der Hass überhaupt zustande? Ist Hass das Gegenteil von Liebe, bzw. missglückte oder ungeschehene Liebe? Das könnte schon so sein. Die, die hassen, sind wenig oder gar nicht geliebt worden. Am deutlichsten wird dieser Zusammenhang dort, wo man sieht, wie einer sich selbst hasst - also sich selbst nicht lieben kann und sich ablehnt. Wie aber ist es möglich, dass man sich selbst ablehnen will oder das sogar tun muss? Ein solcher zwanghafter Mechanismus wird praktisch dadurch möglich, dass der Betroffene alle jene "Anderen" ablehnt, welche sich selber nicht ablehnen, sondern sich (mehr oder weniger unauffällig) lieb haben und sagen können - ich bin okay. Der Hassende bekämpft dann die eigene (freilich zumeist nur) unbewusste „Erinnerung” an die ihm selbst ausgeblieben und versagte Liebe - nunmehr aber eben im und am Anderen - und kommt über den Fremd-Hass sich selbst näher und dadurch mit sich selbst - der man nicht geliebt wird - einigermaßen doch in Harmonie.

Über dieses scheinbar paradoxe Phänomen des Selbsthasses bei Einzelnen und innerhalb historischer Kulturzusammenhänge ist viel gemutmaßt und viel Kluges geschrieben worden. Über die Selbstverstümmelung moderner Kulturen mit Hilfe dieses Mechanismus' ebenfalls. Der normale Konservative hasst sich nicht. Er ist letztlich vielleicht nicht dankbar aber doch versöhnt mit allem, was er aus dem Chaos des Schicksals empfangen hat - und will dafür arbeiten, dass das, was als das Gute darin erscheinen mag, auch bewahrt bleibt. Und deshalb setzt der Konservative das Ererbte nicht sinnlos zerstörerischen Experimenten aus. Niemals. Das macht ihn politisch langweilig - aber eben verlässlicher als den Linken, der sich von Revolutionsphantasien und Weltverbesserungswahn herumpeitschen lässt.

Der "linke Fortschrittliche" reißt sich nur allzu gern los von dem, was er selber nie gehabt hat, weil er davon ausgeschlossen worden ist. Der LInke hasst das Überkommene und zerrt in seine zerstörerischen Abenteuer, alles verändern und verbessern zu wollen, alles - aber auch wirklich alles - hinein. Er denkt, dass ist der einzige Weg. Zu diesem Zwecke verfasst er meterweise Bücher und stellt theoretische Untersuchungen an, an deren Ende immer genau das herauskommt, was er am Anfang als Axiom hineingeworfen hatte. Der hassende Linke hat die Tuchfühlung mit sich selbst verloren und er stürzt die Welt in Unfrieden, Krieg und Hass auf sich selbst. Er baut Lager und errichtet Vorschriften, in und mit denen diejenigen ausgemerzt werden sollen, die sich seinen Weltverbesserungsfabeln widersetzen. Dass er nicht anders kann, um die Reste des Eigenen sich nicht ganz aus der Hand reißen zu lassen, macht die Tragik des Linken und seiner großen Zeit mit all ihren Revolutionen, Barrikaden, Demonstrationen und Parteibildungen aus. Insofern hat der wirkliche Konservative bei aller berechtigten Kritik auch Mitleid - mit den Linken. Hasst er den Linken, dann ist er selber einer der Ihrigen geworden ...

Dass es in praxi  offenbar anders oft nicht zuhaben war, lehrt uns die Geschichte mit ihrer offenbar fast allmächtigen Dialektik. Wer es ändern wollte, wurde fast regelmäßig zum allerschlimmsten Bösewicht. Der wirklich Konservative baut gegen eherne Weltgesetze deshalb keine Barrikaden. Er nimmt das ganze Dilemma bestürzt und bedauernd zur Kenntnis. Und schaut es sich mit den Augen des Laplaceschen Daimons gleichsam von außen her trauernd aber seelenruhig an und versucht die, die mit ihm sind, über die Zusammenhänge aufzuklären. Meist gelingt das jedoch nicht ... Denn der aufgehetzte Linke schießt sehr leicht und gerne die tot, welche die Wahrheit über ihn und sein Drama wissen.

Der Konservative schweigt gelassen und wissend zum tagespolitischem Gedröhn der Massen und ihrer Parteien. Er zieht sich vornehm zurück - er schämt sich, mit ihnen zu schaffen. Denn heute noch mögen die Linken sich zwar erregen und gemeinsam aufeinander einschlagen. Das aber nur deshalb, um sich bereits schon morgen miteinander hochheilig in Koalitionen gegen den Konservativen verschwören zu können...

Autor:

Matthias Schollmeyer

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