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der Geburtstag des Bischofs
vor 200 Jahren

Als der Bischof Daniel Amadeus Neander am Morgen seines 60. Geburtstages um sieben Uhr erwachte, hatten die Räder des olympischen Sonnenwagens unsere Himmelsbahn noch nicht berührt. Zwar standen die Rösser Pyrois, Aeos, Aethon und Phlegon im Stalle oben auf dem Parnass bereits einmütig nebeneinander und scharrten ungeduldig mit den eisenbeschlagenen Hufen. Vorerst aber sollten die Mähren nur weiter ihren ambrosischen Hafer malmen, der in den Jutesäcken, welche ihnen ums Maul baumelten, knisterte. Und die vier Gäule fraßen. Und sie warteten aufmerksam mit gespitzten Ohren darauf, dass man sie am goldenen Wagen des Lichtbringers endlich anschirren wollte. Gleich darauf nämlich würden sie gleich und sofort zu frohem Trabe hinaus auf Aions Bahn sprengen, kundig gelenkt und lustig liebkost von der Peitsche des Sohnes Hyperions, vom Gotte Helios. Dessen entzückende Schwester Eos gähnte herzlich und schickte sich an, mit nachlässiger Geste und noch schläfrig die dunkelgrauen Gardinen vom Horizont fortzuziehen. Und als sie das getan, erfüllte ihr aus den Werken Homers bekannte rosenfingrige Glanz die gesamte Breite des östlichen Horizontes in phantastisch leuchtender Pracht. Wie es sich für einen Geburtstag gehört!

Daniel Amadeus Neander, Generalsuperintendent der Evangelischen Landeskirche in Preußen, hatte vom Könige Friedrich Wilhelm III. vor einiger Zeit den Bischofstitel erhalten. Diese Titelverleihung war ein feiner Zug des Hohenzollernherrschers gewesen, der ja eigentlich selber den summus episcopus jener nicht gerade kleinen preußischen Kirche zu geben hatte, deren Gebiet durch Luthers Hammerschläge sich einst vom jenseits der Alpen gelegenen Rom als großer Happen für immer los riss.

Heute aber war dieser Daniel Amadeus Neander genau sechzig Jahre alt geworden - denn die Menschen schrieben den 30. Oktober des Jahres 1824 in ihre Kalender. Und bereits morgen sollte des dreihundertundsiebenten Reformationstages gedacht werden. Martin Luther hatte seiner Zeit ein paar Thesen an der Pforte der Wittenberger Schlosskirche befestigt und damit für erdrutschartige Veränderungen innerhalb der Weltverhältnisse gesorgt, obwohl das eigentlich seine Absicht eher nicht gewesen sein soll. Ja - liebe Leute, oft geschehen Dinge, die wir so nicht planten ...

Das bischöfliche Palais in der Parkstraße gleich neben der Schlossallee befand sich tadelloser Ordnung - wie immer. Die Fensterscheiben waren blank geputzt und spiegelten die Morgensonne, welche aufzusteigen jetzt bereits voll im Begriffe war. Mehrere Gärtner hatten in Erwartung des zu erwartenden hohen Besuches den Kiesweg, der, sobald ihn jemand betreten wollte, vornehm unter den Schritten würde zu knirschen beginnen, durch präzises Harken und Rechen mit allerlei Mustern versehen, hatten die Hecken verschnitten und schmucke Blumenbuketts anmutig auf den Sandsteinkordillieren des Zugangs zur Wohnung des Bischofs platziert. Daniel Amadeus Neander (wir wollen ihn der Einfachheit halber im Folgenden „Dan” nennen), verrichtete vor seinem Bette kniend das lutherische Morgengebet (Das walte Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist), ordnete in dem lichtdurchdrungenen Boudoir seine Toiletten und betrat mit altväterischem Gehrock angetan den Frühstücksraum des Palais’, in welchem, auf die Gesundheit des vorzüglichen Jubilars ästhetisch wohlgefällig und unter Beteiligung ärztlicher Ratschläge gesund abgestimmte, Menüs seiner bereits harrten. Der Tee dampfte verheißungsvoll aus jener geblümten Porcellankanne, die der Geistliche aus der im Sächsischen gelegenen Heimat bisher überall mit hingebracht hatte. Zur Studienzeit auch in der Stadt Leipzig, ebenfalls auf die ersten Pfarre im Flecken Flemmingen bei Naumburg. Und von jener Zeit ab, als Dan schließlich Superintendent in Merseburg geworden, hatte die Kanne weiterhin treu ihre wertvollen Dienste geleistet. Mit ihr begann der Tag - und mit ihr endete er. Nun aber ist die alte Kanne vor Kurzem sogar Bischofskanne geworden. Sie war zwar immer noch die alte geblieben und hatte auch immer noch den Haarriss im Deckel - aber der Tee war mit der Zeit besser und besser  geworden: Feinster Ostfriesentee, Darjeeling und nach Bergamottöl duftender Earl Grey. Letzteren sandte in verlässlichen Abständen mit dem Schiff von der Insel Britanniens der Erzbischof einer fernen Stadt namens Canterburry, wo ehedem jener großartige Gelehrte Anselm gelebt, der die Gottesbeweise erfunden, für deren Verbreitung und intelligente Beherrschung sich Dan Zeit seines Lebens vehement eingesetzt hatte.

Das Frühstück bestand aus frisch prasselnden Semmeln und guter Butter. Konfitüren von Brombeeren und Pfirsichen waren aufgetragen worden, goldener Honig aus der Mark quoll behäbig vom Silberlöffel und Sahnebizets einer kleinen Bäckerei aus ... nun, die Herkunft dieser Leckerei wollen wir dann doch lieber verschweigen, denn wir könnten sonst unfreiwillig Werbung für eine außerordentlich kompetente brandenburgische Süßwarenmanufaktur leisten, was uns von all jenen Confiserien, die noch nicht zum Lieferantenkreis des bischöflichen Palais gezählt zu werden Verdienst und Ehre errungen haben, vielleicht negativ zugerechnet werden würde.

Unmittellbar nach dem Frühstück würden um etwa 9.30 Uhr die ersten Gäste eintreffen. Das waren gemäß dem von Herrn Haushofmeister Josef Kasallineck vorbildlich aufgestellten Tagesprotokoll in erster Linie der Jungfrauenbund der Stadt. Gefolgt recht bald vom Jünglingskreis der Gesangesbruderschaft "Liederfreunde". Dann wollten besonders die Herren Rudolf von Uechtritz und Karl vom Stein zum Altenstein mit den Ihrigen ausgiebig Besuch abstatten und um Mittag herum waren die Kuratoren der hiesigen Kinderbewahranstalt und irgendein Wohltätigkeitsverein zu erwarten. Sehr lang war die Liste der Gratulierenden; wir wollen es dem Leser ersparen, all die wichtigen und weniger wichtigen Namen buchstabieren zu müssen, welche sich heute bei Dan ein Stelldichein geben würden. Schön, wenn sie alle kämen. Schön, wenn dann auch morgen endlich der Reformationstag anbräche. Denn Dan würde hier einmal nicht predigen müssen und hatte geplant, mit der Kutsche hinaus ins Offene zu fahren, um dort nahe einer mit Blumen umwucherten Naturgrotte das gleichnamige Gedicht des großen Hölderlin aus dem Munde einiger begabter Rhapsoden des städtischen Theaters lauschen zu können.

"Komm! ins Offene, Freund! zwar glänzt ein Weniges heute
Nur herunter und eng schließet der Himmel uns ein.
Dennoch gelinget der Wunsch, Rechtglaubige zweifeln an Einer
Stunde nicht und der Lust bleibe geweihet der Tag."

 Solches natürlich erst nach dem Gottesdienste im Dom, zu welchem er diesmal aber nur als einfaches Gemeindeglied - und gerade deshalb unentbehrlich, wenn auch ohne größere Sonderaufgabe - wallen würde. Am Schluss der Gratulantenliste standen verzeichnet der Militär-Begräbnisverein und die Stadtbauhütte. Und dann ganz zum Ende hatte sich auch noch der Erzoberlenker eines in der Stadt kürzlich ansässig gewordenen "Ordens von Gold- und Rosenkreuzern strikter Observanz" anmelden lassen. Dieser ganz besondere Mann Erzoberlenker würde sich aber wichtiger Geschäfte wegen mit Besuchern von jenseits des Ozeans erst am frühen Abend um 17 Uhr von denselben losmachen und dem Jubilar die nötige Ehrerweisung anlässlich des runden Geburtstages erweisen können, wie auf einem dem Palais vorab zugestellten Billett zu lesen war . Nun - da konnte man nichts machen. Ein Bischof kommt mit den sonderbarsten Menschen in Kontakt und muss auch das aushalten, wie anderes ebenso ...

Im Vestibül des Hauses stellten dienstfertige Damen in schlichten hochgeschlossenen Kleidern aus raschelnder Seide blinkende Sektkelche auf. Die unzähligen und dicht zusammen geschobenen Gläser klingelten jedesmal leicht, wenn man auf dem Eichenparkett mit festem Auftritt an den Tischen vorbei schritt, auf denen sie standen. Das klang wie Musik von Zwergenorchestern und erinnerte an ein erst viel später zu schreibendes Buch mit dem Titel Alice-Im-Wunderland, wo ja die Tassen und Teller, Löffel und Messerchen ebenfalls alle reden können und sich über den Weltlauf Gedanken machen. Solches nur nebenbei ...

Der erste, der zu Besuch kam, war ein Abgesandter aus dem entfernteren Machtbereich des preußisch königlichen Hofs. Es handelte sich um den Kammerdiener des Präses der Ober-Militär-Examinationskommission von Berlin August Neidhardt von Gneisenau. Der gute Mann ließ seinen Leibdiener einen großen Blumenstrauß und eine schwere Bonboniere bringen, weil er als Generalfeldmarschall, der seinerzeit mit dazu geholfen hatte, den Korsen Napoleon zum Teufel zu jagen, wusste, wie der Bischof ein Verehrer leckerer Schokoladen und Marzipane gewesen ist und - wie man wusste auch geblieben war. Die überaus herzliche Beziehung des nun schon fast greisen und bewährten Soldaten zu dem Geistlichen, der heute Geburtstag feierte, rührte daher, dass dieser dem Militär vor etwa zehn Jahren einige wichtige Bibelstellen in ein festeingebundenes Büchlein aufgeschrieben hatte. Als es nun ins Feld hinaus gegen die Franzosen ging, las Gneisenau oft in den Aufzeichnungen seines Pfarrherrn und jetzigen Bischofs  und blätterte darinnen während des Kugelhagels - und empfand dabei tatsächlich notwendigen Trost. Schließlich hatte das metallen eingebundene Büchlein in seiner linken Brusttasche gesteckt und dadurch den ungestümen Flug einer französischen Musketenkugel von schwerem Kaliber am Vordringen in den Herzbereich des Offiziers verhindern helfen. So etwas vergisst man nicht. Und die Dankbarkeit bleibt ...

Gerade jetzt aber sehen wir, wie die Kinder der Bewahranstalt und die in weißen Kleidern erschienenen Jungfrauen schon zahlreich heran nahen! Ach, mit kleinen Geschenken naht sich die Schar. Selbstgbastelt an den grauen Tischen der löblich errichteten Anstalt - selbstgepflückt mit zarter Hand auf den spärliche Herbstblumen tragenden Wiesen nahe der Spree. Und jetzt! Hören wir da nicht einen passablen Posaunenchor unseren mächtigen Choral „Nun danket alle Gott” schmettern? Und - dort hinten ist ja auch unser Bekannter, der Herr Kammerdiener Nicola Tamanti, der wohl gerade eben ein Gratulationsschreiben des preußischen Königs hergebracht haben mag und sich nun vornehm wieder durch das Getümmel der massenhaft andringenden Gäste einen Weg zurück ins Schloss zu bahnen versucht. Im Gewühl der winkenden Blumenkränze und „Hoch, hoch, hoch” rufenden Menschen kommt er uns jedoch schnell aus den Augen.

Bevor nun der Ansturm auf die klingenden Sektkelche und das reichlich aufgetragene Kuchenbuffett auch uns in Mitleidenschaft ziehen wird, soll der Brief des dankbaren Generalfeldmarschalls August Neidhardt von Gneisenau die Leser erfreuen:

Hochwürdigst verehrter Herr Bischof,
mit tiefster Ehrfurcht und innigster Hochachtung erlaube ich mir, Eurer Exzellenz zu Eurem sechzigsten Geburtstage meine herzlichsten Glückwünsche darzubringen. Es ist mir eine große Ehre, an diesem bedeutungsvollen Tage, der das sechste Jahrzehnt Eures segensreichen Lebens markiert, meine Dankbarkeit auszudrücken. Eure Weisheit, Güte und unermüdlicher Einsatz für das Wohl der christenlichen Schar sind uns allen ein leuchtendes Vorbild und ein Quell der Inspiration. Möge der Allmächtige Euch weiterhin mit Gesundheit, Kraft und Weisheit segnen, auf dass Ihr noch viele Jahre in Eurem heiligen Amte wirken und die Herzen der Gläubigen erleuchten möget. Eure Exzellenz’ unermüdlicher Dienst und Euer tiefes Verständnis für die geistlichen Bedürfnisse Eurer Heerde sind von unschätzbarem Werthe und verdienen höchste Anerkennung. In tiefster Verbundenheit und mit den besten Wünschen für Euer weiteres Wirken verbleibe ich,

Euer ergebenster Diener und Freund
Generalfeldmarschall A. N. v. Gneisenau

Und siehe - der Bischof legt das Schreiben seines Freundes gerührt auf jenes kleine ebenholzfarbene Tablett, auf welches vielleicht auch Dein Brief - lieber Leser - im Laufe des heutigen Tages wird gelegt werden können? Nun aber - gebt fein acht - schreitet unser Mann würdig die Treppe des bunt bewimpelten Palais' hinab und nimmt, unten angelangt, die herzlichen Glückwünsche der Gratulanten entgegen, dankt jedem verbindlich und befindet sich den gesamten Tag über in angeregter und herzlicher Unterhaltung mit allen Menschen, die zu seinem Geburtstage hergereist sind. Gar manches Lied wird man heute wohl anstimmen? Und man verlebt den ersten Tag  des bischöflich neuen Lebensjahres in dankbar gemeinsamer Freude und guter Laune ...

Autor:

Matthias Schollmeyer

Webseite von Matthias Schollmeyer
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