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Pfingstmontagstexte
vom Erwachen des Geistes in der Schrift

K.I. von BING (Aufgabe: Male im Stil von Frida Kahlo einen Adler und eine Taube, die gemeinsam Bibel lesen)
  • K.I. von BING (Aufgabe: Male im Stil von Frida Kahlo einen Adler und eine Taube, die gemeinsam Bibel lesen)
  • hochgeladen von Matthias Schollmeyer

Zwei schöne Worte bekommen wir zum heutigen Pfingstmontag geschenkt. Im Johannesevangelium (20,19-23) erstens, dass wir Jesus erkennen können und es möglich ist, mit dieser Erkenntnis Verfehlungen zu vergeben. Zweitens, dass es erlaubt ist, dass wir uns nicht mehr als unmündige Kinder auffassen  und nie mehr als Spiel der Wellen verstehen müssen, geschaukelt und getrieben vom tagtäglichen Widerstreit der Lehrmeinungen. Nicht mehr als ohnmächtige Würfel der Mächtigen und herum gerollt von deren Verschlagenheit, die immer in die Irre führt, wie der Epheserbrief 4,1-16 es recht plastisch beschreibt.

Zum Ersten: Jesus ist auch heute noch erkennbar. Und zwar an seinen Wunden. Ja - bis heute wird er an seinen Wunden erkannt. Der Gottessohn konnte am Schluss nicht mehr handeln, da seine Hände an den horizontalen Balken des Kreuzes angeheftet gewesen waren. Er konnte nicht mehr fortlaufen und fliehen, denn seine Füße waren an der Vertikalen fixiert. Er war dann zusätzlich mit der Lanze des Hauptmanns, der unter dem Kreuz stand, als toter Mann diagnostiziert worden. Der Hauptmann - die Legende kennt seinen Namen und nennt ihn Longinus - stellte sozusagen einen amtlichen Totenschein aus. Und nun ist es kein anderer, der dort auf einmal in der Mitte seiner ehemaligen Jünger steht, sondern es ist der Verletzte, der Beschädigte, der Verspottete, das Opfer eines Justizmordes. Auch heute wird in unserer Mitte kein anderer als dieser verehrt. Wir brauchen keine besonders adretten Campaigner und keine Influencerinnen - wir haben den verletzten Herrn zu verkünden. Der nun tritt mitten unter die elf Jünger und spricht zu ihnen: „Friede sei mit euch!” Und als er das gesagt hatte, zeigte er ihnen die Handwunden und die an der Seite. Da wurden die Jünger froh, dass sie den Herrn sahen.

Manche moderne Darstellung des Auferstandenen malt uns den Jesus ohne Wunden. Die Künstler haben versucht die Schwierigkeiten wegzudenken, weg zu retuschieren - haben das Leid weggelogen, wegharmonisiert. Nur eine Kirche, die sich der Wunden nicht schämt, die ihr andere beigebracht haben - nicht die sie sich selber beigebracht hat - wird eine überzeugende und damit wieder wachsende Kirche sein.

Nach der Wunden-Erkenntnis haucht Jesus seine Gefährten an - und sagt: „Nehmt hin den Heiligen Geist.” Natürlich erinnert uns diese Geste an die Schöpfungsgeschichte. Auch da haucht Gott seinen Atem in den noch leblosen Lehmklumpen, den er vom Ackerboden genommen und ihm die Proportionen des menschlichen Körpers verliehen hat - so dass der Mensch eine atmende Gurgel wurde, ein schnaufendes Etwas, ein Ebenbild des ewigen Gottes - fast wie Gott selbst wurde, nur eben unter den Bedingungen einer prinzipiell auch möglichen Sterblichkeit.

Wir sollten uns über solche und ähnliche Parallelitäten zwischen den Geschichten des Alten Testaments einerseits - besonders der Schöpfungsgeschichte da draußen im Garten Eden - und hier drinnen in dem angstvoll verschlossenen Zimmern andererseits freuen. Der Autor des Johannesevangeliums, dessen Symboltier der Adler ist, welches Tier von allen anderen Lebewesen allein in die Sonne schauen kann, hat hier rechte Worte und gute Vergleiche finden dürfen. Die Begegnung mit dem lebendigen Herrn, der seine Wunden nicht versteckt, nicht wegparfümiert und nicht künstlich überklebt, ist nicht nur w i e eine Neuschöpfung und Erweckung, sondern es i s t die Neuschöpfung und Auferweckung sowohl des Einzelnen, als auch der Kirche als Gemeinschaft der glaubenden Einzelnen.
Und nun kommt der große Satz, den die modernen Leute als Unverschämtheit brandmarken, weil sie meinen, es gäbe gar keine Sünden. So lautet der Satz: „Welchen ihr die Verfehlungen erlasst, denen sind sie erlassen; welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten.” Diese Vollmacht gilt nicht für alle, sondern wird nur denen zugesprochen, die den Auferstandenen an seinen Wunden erkennen wollen. Es ist kein Satz für elende Schwächlinge, die den Schwierigkeiten aus dem Weg gehen. Es ist ein Satz für Märtyrer und Verkünder des Wortes Gottes. Für keine anderen. Insofern ist dieses Wort an die Zugehörigkeit zur Kirche Jesu Christi gebunden, wie sie sich in ihrer Geschichte zurückverfolgen lässt bis auf die Schar der ersten Apostel und Glaubenszeugen.
Zugegeben - das klingt traditionell und in einer Sprache, die nicht cool ist und peinlich an Aussagen der Kirchenväterzeit erinnert. Die Kirche wird aber immer nur an den alten Wunden Christi erkannt - nicht an den neuen Wunden, die sie sich selber zufügt.

Damit keine Missverständniss aufkommen: Die Kirche hat auch nicht Parteien und NGOs zu vergeben. Sie vergibt immer nur dem je einzelnen Menschen, der zur Contritio bereit ist - das heißt, der in ehrlicher Zerknirschung bereut und Besserung ehrlich anstrebt und das auch zeigt. Das Sakrament der Beichte - oder der Schlüssel, wie es in den lutherischen Bekenntnisschriften heißt -, leitet sich auch besonders von dieser Schriftstelle her.

Die Schrift hat für die Kirche immer eine gravierende Rolle gespielt. Nicht aber allein die Schriftzeichen, die Adam - so erzählt es die Legende - bei der Entsendung aus dem Paradies von Gott mitgegeben worden sind, sondern die Heilige Schrift. Die vorliegende und auf Papier lesbare Heilige Schrift aus Zeichen ist sozusagen die Fixierung des immerdar wehenden ungreifbaren Heiligen Geistes. Der Heilige Geist wird in der Schrift der Bibel zum Heilenden Gast. Und indem die Schrift mit dem wollenden Bedürfnis gelesen wird, sie zu verstehen und sich von ihr beleben und aufwecken zu lassen, belebt sich die tot scheinende Schrift zum Heiligen Geist und heilenden Gast.
Zum Zweiten: Genaus das meint auch der Epheserbrief, wenn er in erst einmal rätselhafter Weise Folgendes schreibt: „Er stieg hinauf zur Höhe und erbeutete Gefangene, er gab den Menschen Geschenke. Er stieg hinauf, was bedeutet dies anderes, als dass er auch zur Erde herabstieg? Derselbe, der herabstieg, ist auch hinaufgestiegen über alle Himmel, um das All zu erfüllen.” Der Epheserbrief ist mit dem an die Kolosser ein allgemeines und recht spätes Schreiben, das versucht, das historische Christusereignis auf die Dimensionen einer allgemeinen Welt- und Kosmoslehre auszuspähen. Manche, die sich ernsthaft mit der Heilgen Schrift geistlich befassten, stiegen tatsächlich auf und wurden dort Gefangene Christi - wobei dieses Gefangensein einen zugleich als Beschenkten verwandelt. Und die ganz unten sind, tiefer als die Hölle weiß, die werden dort von Christus besucht, damit sie mit ihm aufsteigen …

Wer mit Christus ein wenig aufgestiegen ist, der merkt, dass wir uns nicht mehr als unmündige Kinder auffassen dürfen, nicht mehr als ein Spiel der Wellen, geschaukelt und getrieben von jedem Widerstreit der Lehrmeinungen, im Würfelspiel der Menschen, in Verschlagenheit, die in die Irre führt. Wir wollen, von Liebe geleitet, die Wahrheit bezeugen. Wir dürfen als Apostel Christi Menschen die Sünden vergeben - und sie ihnen vorhalten, damit sie sie erkennen und danach vergeben werden kann. Das ist - zugegeben - ein hochkomplexes und hochgefährliches Unterfangen. Denn mit jeder Erkenntnis einer fremden Verfehlung, erkennen wir natürlich auch die jeweils eigene. Und deshalb bekennen wir einander die Schuld - und bekommen sie vergeben. Je mehr wir solches erkennen und dessen gewahr werden, wie der Widerstreit der Lehrmeinungen, das Würfelspiel der Theorien, die Verschlagenheit derer, die mit neuen Ideen die Gemeinschaft der Menschen spalten und sie in die Irre führen wollen, um zu herrschen, desto weniger anfällig werden wir sein im Blick auf den Unsinn des Zeitgeistes, mit dem die Menschen schon immer haben leben müssen - und wir besonders in den letzten Jahren merken, welches Spiel mit uns getrieben wird. Die Kirche vergibt nicht den Parteien und Lobbyorganisationen. Sie vergibt ihnen nichts und vergisst auch nichts. Sie vergibt aber gern Menschen, die bereuen und um den Heiligen Geist Gottes bitten. Einer Kirche, die sich wissentlich oder nachlässig hinter’s Licht führen lässt, wird nicht vergeben werden können.

Das ist der ganze Ernst bei dieser großen Sache. Wenn es tatsächlich einen Heiligen Geist gibt, dann finden wir den mit Buchstaben gekreuzigt in der Schrift. Und wenn er dort auch auf ewig stillgelegt zu sein scheint - er ersteht immer wieder neu auf, wenn wir ihn durch unser Staunen, Lesen und Singen wach werden lassen.

Autor:

Matthias Schollmeyer

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