gute Freunde, gute Freunde ...
Geburtstagsgabe (8)
Luthers Geburtstag wurde im Jahr2023 von Tieren honoriert. Sie schreiben - wir lesen. Heute vom Maulwurf:
Maulwürfe entdeckt man selten. Wir sind sehr scheu. Aber unsere Hügel sieht man auf den Wiesen prangen. Und außerdem – wer kennt noch Martin Luther? Na also … Der verbirgt sich nämlich auch. Tief in der Weltgeschichte. Aber Ihr könnt sicher sein, überall sieht man die Berge, die er versetzt hat. Deshalb – ich bin Luther. Je sui Martin. Solche sichtbaren und noch mehr unsichtbaren, aber desto mehr gefühlten Hügel zeugen davon, dass hier unten jemand am Leben war, ist und geatmet hat. Merkt Euch das.
Martin Luther kam auch von unter Tage, so wie ich. Sein Vater war ein Kupferminenbesitzer. Wir Maulwürfe sind zwar nicht so tief unten wie die Bergmänner, aber wir kennen uns sehr wohl aus. Wir wissen, was es heißt, wenn die Luft knapp wird. Wir wissen, was es bedeutet, wenn der Rauch kommt, wenn das Wasser einbricht und die Zugänge verstellt sind. Wir wissen um die Tücken des Berges.
Neulich fing mich in Thüringen ein Bauer. Er hatte gewartet, bis ich wieder stoßen musste. Alle sechs Stunden stoßen wir nach oben. „Da bläst er, da bläst er!“ rief er seinem Buben zu, der mit ihm auf der Lauer lag. Und ich war nur einen Moment unvorsichtig. Ich wollte eben mein Veto einlegen und sagen, dass das aus dem falschen Buch ist. Kapitän Ahab ruft das in Moby Dick. Ich aber blase nicht, ich werfe! Aber da war es schon zu spät. Ich flog nun in hohem Bogen durch die Lüfte, selber zum Geworfenen geworden.
Die Erde ist mein Element. Nicht die Luft. Dort habe ich nichts zu suchen. Der Spaten des Mannes hatte mich aber soeben ausgegraben. Schon sah ich das eherne Blatt des scheußlichen Werkzeugs auf mich hernieder sausen, und wähnte mein letztes Stündlein gekommen, da hielt der Mann inne, weil sein Kind wie nebenbei gesagt hatte: „Du sollst nicht töten. Was ist das? Wir sollen Gott über alle Dinge fürchten, lieben und vertrauen.“ Es ging irgendwie noch weiter. Den Rest habe ich nicht mehr parat. Der Knabe hieß Johannes und besuchte seit einiger Zeit den Konfirmandenunterricht eines Pfarrers, das ist so eine Sorte Priester, wie bei den Katholiken. Dort bei dem Pfarrer haben sie nun irgendwelche Regeln aus dem Menschenpark durchgenommen. Eine davon heißt: „Du sollst nicht töten.“
Es scheint also eine fromme lutherische Familie gewesen zu sein, in deren Garten ich unterwegs war. Der Mann packte mich mit einem dicken Lederhandschuh fest hinter den Ohren und betrachtete mich. Dabei hielt er mich so ungünstig, dass mir die Mittagssonne genau in den Rest meiner Äuglein fiel. Heute noch leide ich unter dem Nachbild. Hellgrün die Mitte des Sichtfeldes. Dann schleuderte er mich weit, weit von sich. Ich flog und flog. Und landete auf dem Komposthaufen. Seines Nachbarn? Vielleicht … Sofort grub ich mich tief in die bergende Heimaterde.
Seitdem bin ich sehr, sehr vorsichtig geworden. Und ich weiß jetzt, was Gnade bedeutet. Gnade ist, wenn man nicht erschlagen wird. Und derjenige, der seinen Feind nicht erschlägt, sondern ihn ohne Grund begnadigt – obwohl er damit rechnen muss, dass der Feind es ihm nicht dankt – der vollbringt eine echte moralische Leistung.
Wieder unter Tage angekommen, fragte ich Molterich, den weisen Altvater, nach der Bedeutung jenes: „Was ist das? Wir sollen Gott über alle Dinge fürchten, lieben und vertrauen!“ Er beteuerte, diese Formel hätte der Mensch Martin Luther vor langer Zeit erfunden. Und hätte sie auf alle sogenannten Heiligen Dinge angewandt. Man könne mit dieser Formel jedem Sachverhalt einen anderen Drall geben. Es entstünden auf diese Weise neue Gänge in der Finsternis des Unsichtbaren.
O.K. - Ich finde das gut, obwohl ich durch die Luft geschleudert worden bin. Martin Luther ist seitdem mein Freund, obwohl er davon sicher nichts weiß. Ist mir egal. Ich weiß es ja. Und das genügt. Wenn man unter Tage ist, braucht man oben gute Freunde.
Peltai Pe - Maulwurf
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