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»Es war eine unglaubliche Atmosphäre«

An der langen Tafel: Am Himmelfahrtstag bewirteten Dessauer in der Zerbster Straße im Zentrum der Stadt beim Anhalt-Mahl die Gäste an 220 Tischen. | Foto: Lutz Sebastian
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Vom Anhalt-Mahl bis zur »Nacht der Religionen«: Mit seinem Programm hatte der Kirchentag in Dessau offenbar den Nerv getroffen und zog mit rund 12.500 Menschen mehr Besucher an als erwartet.

Von Angela Stoye und Danny Gitter

Das gute Wetter, das haben sie natürlich extra für den Dessauer Kirchentag auf dem Weg so bestellt, scherzten diverse Vertreter der Landeskirche Anhalts. Zumindest war das ein guter Rahmen für den Auftakt am Donnerstagabend mit dem ökumenischen Gottesdienst auf dem Marktplatz und dem anschließenden Anhalt-Mahl in der Zerbster Straße. Ganz im Sinne der Ökumene zogen sich auf rund 500 Metern 220 Tische von der Marienkirche bis zur katholischen Kirche St. Peter und Paul. 130 Privatpersonen, Vereine, Gewerbetreibende und Kirchengemeinden wollten als Tischpaten gute Gastgeber sein. Bei Brot, Obst, Kuchen, Salaten und Trank kamen die Gastgeber mit zahlreichen Gästen aus ganz Deutschland im Lauf des Abends ins Gespräch, begleitet von Musik und Theater am Rande. Rund 2 000 Teilnehmer zählte die Polizei im Laufe des Abends. So viel gute Stimmung war selten im Dessauer Zentrum. »Nehmen wir diese positiven Eindrücke mit in den Alltag nach dem Kirchentag«, sagte Kirchenpräsident Joachim Liebig.
Auch für den Dessauer Oberbürgermeister Peter Kuras (FDP) war der Abend etwas Besonderes. »Es war eine unglaubliche Atmosphäre, und man hat die Liebe zwischen den Menschen gespürt«, schwärmte er noch am Sonnabend. Da nahm Kuras an einem Podiumsgespräch zu der Frage »Was bedeutet Religion in meinem Leben?« im Audimax der Hochschule Anhalt teil. Für den Kommunalpolitiker ist Religion ein guter Kompass für das Leben. Er schätzt im Buch Jeremia besonders die Stelle, wo es heißt: »Suchet der Stadt Bestes.« Zudem hat es ihm eine Abschrift von Luthers Römerbrief-Vorlesung angetan, die in der Anhaltischen Landesbücherei in Dessau-Roßlau aufbewahrt wird und die die Unesco als Welt-Dokumentenerbe anerkannt hat. Diese Vorlesung ist für Kuras sehr aktuell, weil Luther in ihr Gedanken artikuliert habe, die sich heute wie »Grundsätze für Führungskräfte« lesen würden. Luther mahne darin, auch sich immer wieder kritisch zu hinterfragen.
Für den EKD-Ratsvorsitzenden Heinrich Bedford-Strohm sind es Psalm 23 und die anderen, die »wunderbaren Bilder in der Bibel, ohne die ich nicht leben könnte, wie ›Siehe, ich mache alles neu‹ oder ›Er wird abwischen alle Tränen‹«. Die biblischen Bilder und Geschichten hätten immer stärker sein Leben geprägt. Der Theologe erinnerte an die 95 Thesen Martin Luthers und an die Begriffe Buße und Sühne, die heute wieder hochaktuell seien. Luther habe die Buße als positive Kraft verstanden, zu sich selbst in eine kritische Distanz zu gehen. Was könne das auch für das politische Leben bedeuten, wenn man Fehler eingestehen könnte, »ohne von den Medien geschlachtet zu werden«.
Die Dessauer Grünen-Bundestags­abgeordnete Steffi Lemke ist Atheistin, doch Spiritualität und Meditation spielen in ihrem Leben und in ihrer Arbeit als Politikerin eine große Rolle. »Wenn ich nicht daran glauben würde, die Welt verbessern zu können, könnte ich keine Politik machen«, sagte sie vor zahlreichen Zuhörern. Bei den vielen Brandherden in der Welt benötige man auch als Politiker eine Kraftquelle. Die Kirchen sieht Lemke als starke politische Kraft an und als Akteure im Zusammenhalt gegen Hass und Fremdenfeindlichkeit. »Ich habe kein Verständnis für Forderungen, dass Kirche sich aus der Politik zurückzuhalten habe, sagte sie. »Die Kirchen stehen für Werte ein, die für die gesamte Gesellschaft wichtig sind.«
Wichtig für die Gesellschaft seiner Zeit war Moses Mendelssohn (1729 bis 1786), in Dessau geborener Philosoph und Wegbereiter der jüdischen Aufklärung. An einen seiner Sätze lehnte sich das Motto des Kirchentages – »Forschen.Lieben.Wollen.Tun« – an: »Nach Wahrheit forschen, Schönes lieben, Gutes wollen, das Beste tun. Dies ist die Bestimmung des Menschen.« Zu einem der Angebote, die das Verhältnis der Religionen thematisierten, gehörte ein interreligiöses Gespräch am 26. Mai. Der Muslim Ahmed Abdelemam A. Ali vom Orientalischen Institut der Universität Leipzig, der Rabbiner Alexander Nachama aus Dresden und Kirchenpräsident Joachim Liebig nahmen daran teil. Dabei ging es unter anderem um die Frage, wie man beim Reden über den eigenen Glauben Verstehenshürden beim Gesprächspartner überwinden kann. Diese Gefahr bestünde auch bei der innerkirchlichen Ökumene, so Joachim Liebig. Es gelte, zuerst die Gemeinsamkeiten zu betonen, zuzuhören und immer wieder nachzufragen. »Das ist für unsere Gesellschaft in den nächsten Jahren von zentraler Bedeutung.« Auch Rabbiner Nachama findet es sehr wichtig, zuzuhören und nicht abzuschalten bei Punkten, die schwierig sind. Ahmed Ali sagte: »Für mich als Moslem ist die Vielfalt in der Religion verankert. Gott habe die Menschen verschieden gemacht und es gebe verschiedene Wege zu Gott: »Ich kann die Wahrheit haben, aber ein anderer kann sie auch haben.« Alexander Nachama sagte: »Ich habe bei einem Besuch der Dresdner Kreuzkirche viele Dinge nicht mitsprechen können, weil sie gegen meinen Glauben sind, aber sie haben mir beim Verstehen geholfen.«
In der schwierigen Wahrheitsfrage warnte Kirchenpräsident Liebig vor »Wohlfühltoleranz«. Jeder sollte wissen, was seine Wahrheit ist und diese auch begründen können. Es bleibe die Frage: »Wie schaffen wir es, mit den verschiedenen Wahrheitsansprüchen umzugehen, ohne intolerant zu werden?«

An der langen Tafel: Am Himmelfahrtstag bewirteten Dessauer in der Zerbster Straße im Zentrum der Stadt beim Anhalt-Mahl die Gäste an 220 Tischen. | Foto: Lutz Sebastian
210 Bläser aus Anhalt, der Pfalz, aus Norddeutschland und Hessen unter der Leitung von Landesposaunenwart Steffen Bischoff gestalteten den Eröffnungsgottesdienst musikalisch aus. Bei dem vollen Klang war hier wie auch beim großen Konzert trotz der Hitze Gänsehaut garantiert. | Foto: Johannes Killyen
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