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Steinerne Zeugen der Auferstehung

Ostersonntag: Blick in die Stiftskirche in Gernrode vom Taufstein im Westen zum Altarraum. Am Ostermorgen um 
6 Uhr beginnt im Heiligen Grab im Kirchenschiff das Osterspiel zur Auferstehung Christi – nach einem 1979 wiederentdeckten Mysterienspiel aus dem Mittelalter. | Foto: Jürgen Meusel
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  • Ostersonntag: Blick in die Stiftskirche in Gernrode vom Taufstein im Westen zum Altarraum. Am Ostermorgen um
    6 Uhr beginnt im Heiligen Grab im Kirchenschiff das Osterspiel zur Auferstehung Christi – nach einem 1979 wiederentdeckten Mysterienspiel aus dem Mittelalter.
  • Foto: Jürgen Meusel
  • hochgeladen von Kirchenzeitungsredaktion Evangelische Landeskirche Anhalts

Heiliges Grab: In der Stifts­kirche Gernrode befindet sich eine der ältesten Nach-
bildungen des Grabes Jesu in Deutschland.

Von Doris Weilandt

Beim Eintritt in das mit romanischen Säulen geschmückte Kircheninnere fällt im rechten Seitenschiff ein ungewöhnlicher Einbau auf. Der aus hellem Kalkstein bestehende Quader erinnert an einen überdimensionalen Reliquienschrein, der einen kostbaren Schatz bewahrt. Das aus zwei Kammern bestehende Heilige Grab soll ein sichtbares Zeugnis der Auferstehung Christi geben und stellt mit seinen figürlichen Szenen
den wichtigsten Ort der Ostergeschichte dar. Entstanden ist das Monument während der Erweiterung zu einer Doppelchoranlage um 1050. Das Bildprogramm der Außenwände ist
äußerst komplex.
An der Längsseite (Westwand) steht eine weibliche Figur mit einem eindringlichen Hand-Gestus, deren Bedeutung bisher nicht eindeutig geklärt ist. Bekleidet ist sie wie eine Nonne, die im Frauenstift Gernrode gelebt hat. Doch die wertvolle Einfassung mit einem Relief aus Tier- und Pflanzenmotiven, die die leicht aus dem Stein tretende und auf einem Sockel stehende Gestalt einrahmt, lassen auf eine Bedeutung schließen, die unmittelbar mit der Ostergeschichte zu tun hat: Maria Magdalena oder die Äbtissin des Klosters, die von einer Pilgerreise aus Jerusalem kam und um die Bedeutung des Grabes wusste. Alle Aufmerksamkeit richtet sich auf diese zentrale Figur, die aus einer Nische hervortritt, von zwei Säulen gerahmt. Sie hat Kenntnis von den Vorgängen im Innern der Kammer, die sie mit den Händen an ihre Betrachter weiter vermittelt. Über ihr befindet sich im Figurenfries das Lamm Gottes mit Nimbus und Kreuzstab, das von weiteren Christussymbolen umschlossen wird. Links weist Johannes der Täufer mit seltsam verschlungenen Armen auf die von Pflanzen umrankten Medaillons. Auf der anderen Seite zeigt Moses auf den bedeutungsvollen Teil der Darstellung.
Auch an der Nordwand sind die Hauptfiguren von Ranken oder Wülsten gerahmt. Rechts neben der Tür findet sich eine oft dargestellte Szene aus dem Johannes-Evangelium, in der Maria Magdalena Christus begegnet. Sie hält ihn zunächst für den Gärtner. Doch als er sie mit ihrem Namen anspricht, erkennt sie ihn. Maria Magdalena ist die erste Zeugin der Auferstehung und wird zur Botin des Geschehens.
Christus erhebt die Hand zum Segensgestus, den sie mit ihrer Hand empfängt. Ihre Kleidung entspricht der der weiblichen Figur auf der Westwand, doch der Kopf ist von einem Nimbus umgeben. Bewegt, doch ohne die Zeichen der Kreuzigung, schreitet ihr Christus entgegen. Das Gewand umweht seinen schlanken Körper, der bereits einer anderen Sphäre zugeordnet ist. Im oberen Feld zwischen den beiden Figuren ist Christus mit segnender Hand und dem Buch des Lebens als Weltenrichter zu sehen. An ihm ist gut zu erkennen, dass die Steinbilder ursprünglich eine farbige Fassung besaßen.
Auf der anderen Seite der Tür lassen sich zwei Figuren erahnen, die abgeschlagen worden sind. Offenbar handelt es sich um Jünger, die sich nach der Schilderung von Maria Magdalena selbst am Grab von der Abwesenheit des Leichnams überzeugen wollten und nur die Leinentücher finden.
Das Geschehen um die Auferstehung bestimmt auch das plastische Programm im Innern des Heiligen Grabes. Das Spruchband, das der Verkündigungsengel hält, trägt die Aufschrift: »Er ist auferstanden, er ist nicht hier«. Beeindruckend ist eine aus drei Frauen bestehende Gruppe, die dem Markus­evangelium entstammt: »Und sie gingen hinein in das Grab und sahen einen Jüngling zur rechten Hand sitzen, der hatte ein langes weißes Gewand an, und sie entsetzten sich«. Der Engel, auf den sie trafen, trägt die Botschaft: »Fürchtet euch nicht«. Rätsel gibt die männliche Gestalt im bischöflichen Ornat auf, die ursprünglich für Christus gehalten wurde. Sie steht in enger Verbindung mit der weiblichen Figur an der Westwand.
Bereits im Mittelalter stand das Heilige Grab bei Osterspielen im Mittelpunkt des Geschehens. Das hat sich über die Jahrhunderte nicht geändert. Auch heute noch dringt am Ostersonntag um 6 Uhr morgens ein Lichtstrahl aus der Kammer in die dunkle Stiftskirche, der verkündet: Jesus Christus ist auferstanden.

Die Autorin ist Kunsthistorikerin und beschäftigt sich mit der Kunst des Mittelalters.

Ostersonntag: Blick in die Stiftskirche in Gernrode vom Taufstein im Westen zum Altarraum. Am Ostermorgen um 
6 Uhr beginnt im Heiligen Grab im Kirchenschiff das Osterspiel zur Auferstehung Christi – nach einem 1979 wiederentdeckten Mysterienspiel aus dem Mittelalter. | Foto: Jürgen Meusel
An der Westwand richtet sich die Aufmerksamkeit auf diese zentrale Figur, die Kenntnis von den Vorgängen im Innern der Kammer zu haben scheint. Ist es Maria Magdalena oder eine Äbtissin? | Foto: Corinna Grimm-Remus
Autor:

Kirchenzeitungsredaktion Evangelische Landeskirche Anhalts

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