Wenn Nathan im Rollstuhl sitzt
Schultheatergruppe interpretiert einen Literaturklassiker ganz eigenwillig
Von Danny Gitter
Da schwirren sie umher, sechs von acht Mitgliedern der Theatergruppe »Emily« des Dessauer Gymnasiums Philanthropinum und studieren direkt im Dachgeschoss ihrer Schule ein großes Werk der Literaturgeschichte ein. An keinen Geringeren als Gotthold Ephraim Lessing wagen sich die Neunt- bis Elftklässler. »Nathan der Weise« steht auf ihrer Agenda. So weit, so normal. Doch normal ist bei diesem Stück fast nichts. Da wird geflachst. Da werden Matrosenkostüme, Horror- und Pestmasken ausprobiert. Auf den ersten Blick lässt der Karneval grüßen. Wo da die Ernsthaftigkeit bleibe, fragt sich der interessierte Be-
obachter. Schließlich gilt es hier die Frage nach der wahren Religion zu beantworten. Schon im Original lässt Lessing seinen jüdischen Protagonisten Nathan sich bei dieser Frage winden und in Märchen sowie Parabeln dem muslimischen Sultan Saladin antworten.
Die Schultheatergruppe unter der Leitung der Gymnasiallehrerin Birgit Krüger treibt es auf die Spitze. Fragmente aus »Nathan der Weise« werden herausgepickt und mit so ziemlich allem, was die Gebrüder Grimm zu bieten haben, und frechen neuzeitlichen Dialogen verknüpft. Die Märchenstunde ist eröffnet unter dem Titel »Nathan im Rollstuhl«. Ob das am Ende einen Sinn ergibt? Der Zuschauer wird es herausfinden, rund um den »Kirchentag auf dem Weg« in Dessau-Roßlau. Am langen Himmelfahrtswochenende spielen sie am Rande des Anhalt-Mahls am Abend zu Christi Himmelfahrt. Einen Abend später präsentieren die Nachwuchsschauspieler im Alten Theater ihr Stück mit Filmsequenzen, die sie vor dem Kirchentag gedreht haben, sowie mit Lesungen. Der Offene Kanal Dessau lässt »Nathan im Rollstuhl« zur Zeit des Kirchentags über den Bildschirm flimmern.
Bis dahin heißt es üben, üben, üben und in einem Werkstattgespräch am Rand der Proben zumindest schon die ersten Fragen zu beantworten. Warum etwa aus »Nathan der Weise« ein »Nathan im Rollstuhl« wird, darauf könnte Thomas Altmann, der Kopf dahinter, mit Genuss in Märchen und Parabeln antworten. Er macht es dann auf die philosophische Art. »In diesen Zeiten stehen sich Menschen und ihre Religionen in Nähe oder in unversöhnlicher Ferne gegenüber«, sagt Altmann. »Diese Nähe und diese Ferne hinterfragt der vernünftige Nathan. Doch diese Vernunft ist brüchig. Deshalb braucht sie im Rollstuhl ein Vehikel«, führt er weiter aus.
Im Kirchenkreis Dessau ist der studierte Theologe, der Religion gerne kritisch hinterfragt, für seine besondere Auseinandersetzung mit Glaube und Christentum bekannt. Schon in der Vergangenheit wurden Krippenspiele der Jungen Gemeinde in Roßlau unter seiner Regie zu glaubens- und gesellschaftskritischen Theaterstücken. Auch mit »Nathan im Rollstuhl« will der Öffentlichkeitsarbeiter eines Dessauer Krankenhauses den Zuschauer aus der Komfortzone holen. »Ist Religion nur immer der Blick nach hinten und wenn wir nach vorne schauen, was können wir da erwarten?«, fragt Altmann. Mit »Nathan im Rollstuhl« will er zum Kirchentag auf dem Weg versuchen, Antworten darauf zu geben.
Autor:Online-Redaktion |
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