Broschüre: Die Landeskirche Anhalts in der NS-Zeit
Ein dunkles Kapitel
Ein unscharfes Schwarz-Weiß-Foto zeigt: Als am 6. August 1933 der Gemeindekirchenrat der Dessauer Auferstehungsgemeinde eingeführt wurde, wehte vor der Kirche auch eine Hakenkreuzfahne. Viele der vor der Tür versammelten Menschen zeigten den Hitlergruß. Auch die NSDAP hatte eingeladen, gehörten doch fünf Kirchenälteste dieser Partei an. Diesem Tag vorausgegangen war eine Anordnung der Reichsregierung, dass am 23. Juli 1933 deutschlandweit Wahlen zu den Gemeindekirchenräten und Landeskirchentagen stattzufinden hätten. Im Gemeindeboten vom August 1933 schrieb der damalige Gemeindepfarrer etwas über den "großen Reinigungsprozess", der begonnen habe. Die Gemeinde, hieß es anderer Stelle, solle sich als Teil der deutschen Volksgemeinschaft darauf einstellen, dass wahres Christentum nur bei den Deutschen Christen zu finden sei.
Fast 86 Jahre danach können historisch Interessierte mehr über die Vorgänge in Dessau und anderen Orten nachlesen. Mit einer Mitte Juni erschienenen Publikation erinnert die Landeskirche Anhalts an ihre Geschichte in der Zeit des Nationalsozialismus von 1933 bis 1945. Herausgegeben hat sie die Kirchengeschichtliche Kammer der Landeskirche. In ihr wird deutlich herausgearbeitet, wie viele Pfarrer und andere Vertreter der Landeskirche die NS-Ideologie nicht nur tolerierten, sondern sie sich zu eigen machten. Kirchenstrukturen wurden gleichgeschaltet, Widerstand und Kritik gegen das NS-Regime hart verfolgt. Nationalsozialistisches Denken wurde mit theologischem Denken auf menschenverachtende Weise verbunden.
Aber auch der Widerstand war organisiert. Bereits 1933 gründete sich unter Vorsitz von Martin Müller auch in Anhalt der Pfarrernotbund, der in den zwölf Jahren der NS-Diktatur als "Bekennende Kirche" Widerstand gegen die Gleichschaltung leistete. Als sich im Juli 1945 die Anhaltische Landeskirche neu gründete, waren es diese Kräfte, die Verantwortung für die Erneuerung übernahmen.
Seit Jahren schon befasst sich die Kirchengeschichtliche Kammer der Landeskirche Anhalts auch mit der Geschichte der Landeskirche während der NS-Zeit. 2015 gab es dazu einen Studientag in Bernburg. Der Hallenser Kirchenhistoriker Professor Arno Sames hatte es übernommen, die dort gehaltenen Vorträge für die Publikation einzurichten. Nach seinem überraschenden Tod im Januar dieses Jahres setzten Pfarrer i. R. Dietrich Bungeroth und Pressesprecher Johannes Killyen die Arbeit fort. Im Mittelpunkt stehen Schicksale anhaltischer Pfarrer in der NS-Zeit, die Gleichschaltung der Evangelischen Kirche in Deutschland und das kirchenleitende Handeln vor und nach 1945.
Für Kirchenpräsident Jo-achim Liebig stellt die Veröffentlichung einen Akt der Selbstidentifikation dar, der in Gegenwart und Zukunft wirken soll. "Wir müssen uns dieser dunklen Vergangenheit stellen", so der Theologe. Pfarrer Bungeroth betonte, dass die Gleichschaltung der Kirchen nach 1933 "für unser heutiges Kirchenverständnis und die in der Demokratie garantierte verfassungsmäßige Eigenständigkeit der Kirchen ein schwer zu ertragendes Kapitel" sei. Heute werde oft gefragt, wie das alles möglich war. "Unsere Publikation bietet dazu Erklärungsansätze."
(red)
Autor:Online-Redaktion |
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