Theologische Annährung an eine umstrittene biblische Gestalt
Judas – Eher ein Suchender
Wolfram Hädicke
Für alle, die Gelegenheit hatten, die bewegende, schauspielerisch glänzende Inszenierung des Anhaltischen Theaters in der Dessauer Auferstehungskirche zu erleben, versuche ich eine theologische Annäherung an die Gestalt des Judas, so wie sie mir begegnet ist:
Kein böser Finsterling ist uns da begegnet. Eher ein Suchender, ein Fragender. Einer, der zu seinen Zweifeln steht und sie als Triebkraft empfindet für die persönliche Suche nach Wahrheit. Nicht unsympathisch. Weil er das Geschehen durch Provokation und Zuspitzung auf die Entscheidung hin beschleunigt, gerät er schließlich in eine unmögliche Situation: Er überantwortet Jesus den Häschern und verrät so die Freundschaft.
Jemand musste es tun!? Mit diesem Satz rechtfertigt er sein Handeln. Als er sieht, welch verhängnisvollen Lauf die Dinge nehmen, verzweifelt er an sich selbst und nimmt sich das Leben. Voll Schaudern berichten die Evangelisten über dieses Ende. War es zwangsläufig? Reiner Kunze schreibt über den Selbstmord: »Die letzte aller Türen. Doch nie hat man an alle schon geklopft.« (Brief mit blauem Siegel, S. 45) Im Stück sagt Judas sinngemäß: Es ist nur Eins, was ich wissen will: Hat er mir vergeben?
Der historische Judas hatte keine Gelegenheit mehr, ihm diese Frage zu stellen, und so wählt er den Strick, obwohl doch schon der Ostermorgen graut. Was hätte Jesus ihm zu sagen, was hätte er ihm vielleicht geschrieben:
Mein Freund Judas! Ich habe dich gekannt mit deinen Stärken und Schwächen und habe dich ganz bewusst berufen als einen von den Zwölfen. Dem Petrus habe ich auf den Kopf zu gesagt, dass er mich dreimal verleugnen wird. Beim letzten Passahmahl habe ich erwähnt, dass einer von euch mich überantworten wird. Du hast gewusst, dass ich dich gemeint habe. Und doch habe ich auch für dich das Brot gebrochen und mit dir aus dem Becher getrunken. Im Garten habt ihr nicht mit mir gewacht, obwohl ich euch darum gebeten hatte, und nach der Verhaftung seid ihr abgetaucht, wart nur mehr ängstliche Schisser. So, wie ihr seid – nur graduell unterschieden in eurem Versagen – habe ich euch dennoch geliebt.
Doch vor der Welt bist du nun der Sündenbock. Alle Schuld bleibt an dir kleben, als wäre es dein Amt, alle Schuld auf dich zu nehmen. Ja tatsächlich, du bist zum Symbol geworden für Verrat: Judas, der charakterlose, opportunistische, geldgierige Verräter. Befleckt ist dein Name für alle Zeiten: Judaslohn, Judaskuss. Keiner will heißen wie du, obwohl sie dir doch alle gefährlich nahe und ähnlich sind. Doch du bist kein Sonderfall! Du stehst für alle Menschen, die Schuld auf sich laden, für ihrer aller Sünde.
Aber Sünde kann nicht durch Sünde aufgewogenen werden. Um euch das zu zeigen, habe ich am Kreuz gehangen. Für dich kam das Licht des Ostermorgens zu spät. Für die Elf und viele andere erscheinen die Geschehnisse nun in einem ganz neuen Licht. Was ich euch gesagt hatte: mein Leib und mein Blut für dich – war ihnen jetzt wie eine Brücke zu der Erkenntnis, dass ich das Opfer bin, das Versöhnung ermöglicht zwischen euch und dem Vater. Meine Liebe, die aus seiner Liebe ist, rechnet Sünde nicht an. Vor deinem Gewissen hast du dein Recht zu leben verspielt. »Ich bin dein neues Recht zum Leben« (Helmut Gollwitzer, Krummes Holz aufrechter Gang, S. 280), wie auch für die Vielen, die verzweifelt sind. Darum gilt: »Das Neue Testament ist das Buch der Sorge um Judas Iskariot, ist gute Botschaft für Judas Iskariot.« (Ebenda, S. 283)
Weitere Aufführungen:
3. Mai, Zerbst, St. Bartholomäi, 18 Uhr; 17. Mai, Köthen, St. Jakob, 19 Uhr, und 29. Mai, Dessau-Roßlau, Kreuzkirche, 11.30 Uhr
Autor:Online-Redaktion |
1 Kommentar
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.