Betrachtung
Tochter Zion und ihre christliche Filiale
»Ich bin Feminist«, sagt der Jenaer Universitätsprofessor Manuel Vogel von sich und macht sich Gedanken über »Gott als Vater«
Die Kirche hat in einer Zeit, in der das Patriarchat längst (und mit Recht) in die Kritik geraten ist, ein Problem. Dieses Problem besteht darin, dass die Sprache und Gedankenwelt der Bibel auf weite Strecken genauso patriarchalisch ist wie das (oder besser: die) Zeitalter ihrer Entstehung. Die Kirche kann, so meine bündige Auffassung, dieses Problem nicht lösen, jedenfalls nicht konsequent, denn konsequent ist nur der Teufel; sie kann aber damit leben, und zwar gut damit leben. Nämlich dann, wenn sie ihre Sprache und (was nicht ganz dasselbe ist) ihre Sprachgewohnheiten ständig reflektiert und –
wie man heute so schön sagt – immer wieder neu »aushandelt«.
Im Vergleich mit der Rede von Gott als »Vater« ist freilich die Diskussion, ob denn die Revision der Kirchenverfassung der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland eine Gelegenheit wäre, die Mitgemeinten zur Abwechslung auch mal mitzunennen – was hätte eigentlich dagegen gesprochen?! –
ein Kinderspiel. Denn das Wort »Vater« (griechisch pater) steckt ausgerechnet im ungeliebten Begriff des »Patri-archats«, der »Vater-Herrschaft«. Also, was tun? Grob gesagt gibt es, um die Sache in Angriff zu nehmen, zwei Methoden, nämlich die »narrative«, vom lateinischen narratio, »Erzählung«, und die begriffliche. Während Begriffe »definiert« werden, werden Erzählungen, nun ja, einfach »erzählt«.
Ich wähle den zweiten Weg, denn die Bibel definiert nicht (das ist das Geschäft der Dogmatik und der Rechtswissenschaft), sondern sie erzählt. Also nicht: »Was ist ein Vater«, sondern »Was tut er«, nämlich Gott als himmlischer Vater in der großen Erzählung der jüdisch-christlichen Bibel, der wir unzählige kleine und kleinste Erzählungen verdanken.
Hinzu kommt das Nachzeichnen von Sprachbildern, denn diese Bilder sind oft selbst kleine Erzählungen, z. B. das Wort aus Jesaja 66,13: »Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.« Gott ist hier ein Vater mit mütterlichen Zügen. Vergleichbare Aussagen sind in der Bibel nicht häufig (und selbst in Jes. 66, wo es überwiegend kriegerisch zugeht, eine Ausnahme), aber es gibt sie. Psalm 131 ist in der (sehr zu empfehlenden) Basisbibel überschrieben mit »Gebet einer Pilgerin«, und zwar wegen Vers 2: »Wie ein gestilltes Kind bei seiner Mutter / wie das gestillte Kind an meiner Brust / so ist meine Seele zur Ruhe gekommen«. Wenn man so übersetzt, muss diesen Psalm eine Frau geschrieben haben.
Ihre Empfehlung lautet: »So soll auch Israel auf den Herrn warten« (Vers 3). Das Kind bei seiner Mutter ist gleichnisfähig für das Verhältnis Israels zu Gott. Freilich: Gott kann als Mutter auch gefährlich werden »wie eine
Bärin, der die Jungen genommen sind« (Hos 13,8). Aber am Ende steht doch das Bild eines zärtlichen Vaters, der alle Tränen von den Augen seiner Kinder abwischen wird (Offb. 21,3).
Überhaupt tut Gott als Vater lauter komische Dinge, die ein Vater, der in einer patriarchalischen Gesellschaft etwas auf sich hält, keinesfalls tun würde. Im Gleichnis vom verlorenen Sohn läuft er dem heimkehrenden Ausreißer entgegen, was eine Selbsterniedrigung darstellt, denn der Höherrangige kommt dem Rangniederen keinesfalls buchstäblich entgegen. Wichtig ist auch: Die Rede von Gott als »Vater« ist Teil eines Bildgefüges, das die Geschlechterrollen gehörig durcheinander bringt, denn Israel ist dieses Vaters »Tochter«, die berühmte »Tochter Zion« mit ihrer christlichen Filiale, der Gemeinde als »Braut« Christi.
In dieses Sprachbild müssen sich wohl oder übel auch die Männer aus Israel und der Gemeinde einfügen. Vor allem aber: Dass Gott »Vater« ist, hat eine anti-patriarchalische Spitze, weil nämlich das Vatersein Gottes die irdische Vaterrolle nicht etwa aufwertet, sondern im Gegenteil ersetzt. An die Stelle der irdischen Väter tritt der himmlische. Das wird etwa in Markus 10,29 deutlich, wo die Jünger fragen, was sie dafür bekommen, dass sie »Haus, Brüder, Schwestern, Mutter, Vater, Kinder und Äcker« verlassen haben. Sie bekommen, so die Antwort Jesu, alles vielfach wieder, nur nicht den Vater. Der wird nicht genannt, weil der himmlische Vater seine Rolle übernimmt. Das ist ein Reflex dessen, dass das Christentum von Anfang an eine Bekehrungsreligion war: Die sich der Gemeinde anschlossen, erlitten vielfach den Verlust der hergebrachten Sozialbeziehungen des antiken »Hauses« mit dem pater familias (»Vater der Familie«) an der Spitze. So gesehen ist die Gemeinde eine alleinerziehende Mutter von lauter Brüdern und Schwestern, die von ihren irdischen Vätern des Hauses verwiesen wurden.
Klarer kommt der hier angedeutete Konflikt zwischen irdischer und himmlischer Vaterrolle in 1. Johannes 5,18 zur Sprache: Die Kinder Gottes werden nicht »aus dem Willen eines Mannes«, sondern »aus Gott« geboren. Gott und der Wille des Mannes, die männliche und die göttliche Logik, bilden hier einen scharfen Gegensatz.
Gerade als Feminist komme ich deshalb mit Gott als »Vater« ganz gut klar, ohne der biblischen Sprache zu Leibe rücken zu müssen. Manuel Vogel
Der Autor ist Professor für Neues Testament und Dekan der Theologischen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena.
Autor:Online-Redaktion |
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