Festgottesdienst in Jena
Liturgischer Singkreis feiert 40 Jahre
40-jähriges Bestehen des Liturgischen Singkreises Jena
Im sächsischen Grumbach trifft sich zu Christi Himmelfahrt eine kleine Gruppe von Sängern zu ihren regelmäßig einmal pro Jahr durchgeführten erweiterten Probentagen. Es sind die Mitglieder und Gäste des Liturgischen Singkreises Jena, der sich die Pflege und Bekanntmachung des Gregorianischen Chorals, einer besonders kunstvollen, stillen und eindringlichen Musik, zur Aufgabe gesetzt hat und dieses Jahr sein 40-jähriges Bestehen feiert.
Was ist das Besondere an der Arbeit einer Schola Cantorum? Beim GregorianischeN Choral handelt es sich um die älteste schriftlich überlieferte Musik des Abendlandes. Es sind einstimmige Gesänge ohne Instrumentalbegleitung. Die Texte - in der Sprache der alten Kirche: Latein - sind mit wenigen Ausnahmen der Heiligen Schrift entnommen. Die Mehrzahl der Stücke erhielt ihre überlieferte Gestalt zwischen dem 5. und 8. Jahrhundert. Seiner Bestimmung nach ist der Gregorianische Choral die ursprüngliche und eigentliche Musik des christlichen Gottesdienstes. Das Repertoire gliedert sich in Gesänge für die täglichen Stundengebete - Horen - und Gesänge für den Hauptgottesdienst - die Messe. Als Vertonungen der Heiligen Schrift, als gesungenes Gebet haben die gregorianischen Melodien eine sehr enge Entsprechung zum Wortlaut und zum Sinn der Texte. Je nach dem liturgischen Ort eines Gesanges kann er als schlichtes Rezitativ oder in weit ausschwingenden Melismen komponiert sein.
Der Liturgische Singkreis Jena ist 1982 von Liebhabern des gregorianischen Chorals in Jena gegründet worden, nicht als Verein, sondern als Arbeitskreis der evangelischen Kirchgemeinde in Jena. Dabei legt er besonderen Wert auf eine an neuen Forschungsergebnissen orientierte, historisch informierte Interpretation. Für die Probenarbeit wird eigenes Notenmaterial unter Berücksichtigung der ältesten zugänglichen handschriftlichen Quellen erarbeitet. Die Wahl des Namens der Gruppe soll auf die eigentliche Aufgabe des Gregorianischen Chorals und derer, die ihn singen, hinweisen: Gotteslob und Gebet. Der Liturgische Singkreis Jena wirkt in Gottesdiensten und geistlichen Abendmusiken. Bei den Zusammenkünften singen die Mitglieder das jeweils tageszeitgemäße Stundengebet – heute meist Tagzeitengebet genannt. Der Liturgische Singkreis Jena gastierte bisher in vielen Orten Deutschlands und im Ausland. Die Arbeit des Liturgischen Singkreises Jena wird ergänzt durch die jährlich im Sommer stattfindende Gregorianische Arbeitswoche SCOLA AESTATIS, zu der alle Interessierten eingeladen sind (www.gregorianische-arbeitswoche.de). Die Leitung des Liturgischen Singkreises Jena hat Stephan Seltmann 2007 als Nachfolger von Dr. Bernhard Gröbler, dem Gründer dieser Schola, übernommen.
Historisch muss man diese Gruppierung als Nachkommenschaft der KIRCHLICHEN ARBEIT ALPIRSBACH ansehen, wobei jedoch durch die faktische Trennung von Alpirsbach seit der deutschen Teilung eine neue, unabhängige Bewegung wuchs. Seit dem Ende der 1940er Jahre führte zunächst Dr. Ehrhard Paul regelmäßige Singwochen im Rahmen des Singwochenprogramms der Evangelisch Lutherischen Landeskirche Sachsens durch, bei denen neben Figuralmusik auch Stundengebet nach Alpirsbacher Antiphonale gehalten wurde. Später leitete diese Singwochen der sonst mehr als Cembalist und Organist bekannte Walter Heinz Bernstein aus Leipzig. Da die Alpirsbacher Bücher in der DDR nicht käuflich waren, wurden - um nur ein Charakteristikum zu nennen - die Stundengebetshefte handschriftlich kopiert, später handgeschriebene Vorlagen im Lichtpausverfahren vervielfältigt. Dabei kam es natürlicherweise bald zu - mit Alpirsbach nicht abgestimmten - Revisionen, Ergänzungen und Umgestaltungen. W. H. Bernstein bezog seit Anfang der 80er Jahre regelmäßig lateinische Messgesänge in die Gregorianischen Arbeitswochen ein. 1982 kam es dann durch B. Gröbler, der sich seit Beginn der 70er Jahre den Gregorianischen Singwochen angeschlossen hatte, zur Gründung des Liturgischen Singkreises Jena. Hier bildete von Anfang an der lateinische Choral das Hauptanliegen.
Da sich die Lutherischen Kirchen während und nach der Reformation liturgisch stets konservativ verhalten haben (im Unterschied zu den calvinistischen Kirchen), konnten sich neben der muttersprachlichen Liturgie im Lutherischen Bereich an vielen Stellen auch lateinische Riten halten. In Leipzig z. B. gab es noch im 18. Jh. lateinische Passionsmusik, lateinische Matutin und lateinische Messe! Aber auch die muttersprachliche Liturgie der lutherischen Landeskirchen in Deutschland ist der römisch-mittelalterlichen Urform noch nahe. So war der Boden für eine semiologisch fundierte Choralpflege im Kontext der lutherischen Kirche durchaus bereit.
Die letzten Jahre haben – wie so vielen Chören – eine kontinuierliche Arbeit des Liturgischen Singkreises Jena erheblich erschwert. So ist es nicht überraschend, dass das Jubiläum nicht opulent begangen werden kann. Aber mit einem festlichen Gottesdienst in der Stadtkirche St. Michael am Sonntag, den 29. Mai 2022 um 10 Uhr sollte dieses Ereignis gewürdigt werden.
In diesem Gottesdienst werden verschiedene Gregorianische Gesänge erklingen, die der Sonntagsmesse am Sonntag Exaudi (nach Himmelfahrt) zugeordnet sind.
Mit dem Festgottesdienst und einer mittäglichen SEXT in der Stadtkirche St. Michael werden diese Tage der Gemeinsamkeit enden.
Dass der Liturgische Singkreis Jena Gregorianische Liturgiegesänge grundsätzlich lateinisch ausführt, ist nicht in traditionalistischen Auffassungen oder Absichten der Beteiligten begründet. Ebenso wenig entspringt es dem Streben nach äußerlicher Authentizität. Vielmehr ist es eine Folge der Einsicht, dass im Gregorianischen Choral die Texte auf unnachahmliche Weise musikalisch deklamiert und ausgedeutet werden. Alle Nuancen der Sprache bis in phonetische Feinheiten hinein kommen melodisch-rhythmisch zur Geltung. Damit kann der Gregorianische Choral für uns, die wir heute oft ratlos nach adäquaten liturgischen Formen suchen, ein Beispiel von normativer Qualität sein. Und in diesem Zusammenhang durfte der Liturgische Singkreis Jena in den Jahren seines Bestehens für viele Gemeinden in Mitteldeutschland und darüber hinaus, in deren Kirchen er dies darstellte (es waren insgesamt ca. 150 verschiedene evangelische und katholische Kirchen in ganz Deutschland und vier weiteren Ländern), einen nicht unwichtigen Dienst tun. Am Ende sind es Gefühle der Dankbarkeit, mit denen die Sänger auf die Jahre gemeinsamer Tätigkeit zurückblicken.
Weitere Informationen zum Gregorianischen Choral und der Arbeit des Liturgischen Singkreises Jena können Sie unter https://www.liturgischersingkreisjena.de/nachlesen.
(Dr. Bernhard Gröbler, Reinhard Müller, Stephan Seltmann)
Autor:Stephan Seltmann |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.