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Zur Einhaltung der Gebetszeiten

Mittelalterliche Sonnenuhr an der Stadtkirche St. Michael in Jena mit griechischer Stundenzählung bei Verwendung von arabischen Zahlen | Foto: Gottfried Schmidt
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  • Mittelalterliche Sonnenuhr an der Stadtkirche St. Michael in Jena mit griechischer Stundenzählung bei Verwendung von arabischen Zahlen
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An zahlreichen Kirchen Mitteldeutschlands gibt es Sonnenuhren, allein in Thüringen konnten bisher 90 nachgewiesen werden.

Von Ernst Fauer

Manchmal erkennt man auch zwei Sonnenuhren aus verschiedenen Zeiten an der gleichen Kirche, so zum Beispiel an allen vier Kirchen in Heilbad Heiligenstadt. Drei Sonnenuhren sieht man an der Kirche zu Werningsleben und am Peterskloster Erfurt. Den Rekord zeigt die Kornmarktkirche Mühlhausen (jetzt Bauernkriegsmuseum) mit vier Sonnenuhren. Nimmt man auch die umliegenden Wirtschaftsgebäude hinzu, so besitzt das ehemalige Kloster Reifenstein sogar fünf Sonnenuhren.
Die an der senkrechten Wand angebrachten Sonnenuhren kann man zunächst grob unterteilen in die 32 bisher aufgefundenen mittelalterlichen Sonnenuhren (mit horizontalem Schattenstab) und die späteren häufigeren Polstab-Sonnenuhren (mit schrägem Schattenstab).
Um den Tag von Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang zeitlich zu unterteilen, haben die Menschen schon vor vielen Jahrhunderten den Sonnenstand und den von festen Körpern geworfenen Schatten genutzt. So wird im Alten Testament (2. Könige 20,8-11) von einer derartigen Zeitangabe berichtet.
Benedikt von Nursia legte um 500 acht feste Zeiten für Gebete, Lesungen, Mahlzeiten, Arbeit und Schlaf fest. Hierbei wurden die 12 Tagstunden von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang durch mittelalterliche Sonnenuhren bestimmt, bei welchen der Schatten eines horizontalen Eisenstabs an der Südwand einer Kirche oder eines Klosters auf eine halbkreisförmige Skala mit gleich großen Sektoren fällt. Hierbei wurde zunächst die griechische Stundenzählung genutzt, wobei die erste Stunde (Prim) mit dem Sonnenaufgang begann, die dritte Stunde (Terz) lag etwa in der Mitte des Vormittags, die sechste Stunde (Sext) zur Mittagszeit beim höchsten Sonnenstand, die neunte Stunde (Non) am Nachmittag und die Vesper beim Sonnenuntergang. Diese Zählweise der Stunden ist uns bekannt von der Kreuzigung Christi (Matthäus 27,45-46; Markus 15,33-34; Lukas 23,44). An der kürzlich renovierten oberen mittelalterlichen Sonnenuhr an einem Südpfeiler der Stadtkirche St. Michael in Jena ist der in 12 gleiche Sektoren eingeteilte untere Halbkreis mit den arabischen Stundenzahlen 1 bis 12 zu sehen.
Die von den bisher beschriebenen mittelalterlichen Sonnenuhren angezeigten Stunden haben jedoch unterschiedliche zeitliche Länge. Sie werden Temporalstunden genannt. Im Jahresverlauf sind diese »Stunden« im Winter kürzer als im Sommer; im Tagesverlauf sind sie um die Mittagszeit kürzer als am frühen Vormittag oder am späten Abend.
In einigen Fällen ist der Halbkreis der Skala nicht in zwölf, sondern nur sechs Sektoren eingeteilt und zeigt damit Doppelstunden an. Außergewöhnlich muten dagegen die Sonnenuhren in Berka/Werra, an der Kirche Divi Blasii in Mühlhausen und an der Kirche St. Veit in Auengrund-Crock an, die den hellen Tag mit acht Sektoren in acht Zeitabschnitte unterteilen. Noch gröber ist die Einteilung in vier Sektoren an der Predigerkirche Erfurt; aber auch diese Einteilung reicht noch völlig aus zur Anzeige der fünf Gebetszeiten am Tage.
Weiterhin sind in Wiehe (St. Bartholomäus) und Donndorf (St. Peter und Paul) zusätzlich symbolisch die Nachtstunden durch Vollkreis um den horizontalen Schattenstab herum angedeutet. An der Kirche St. Nicolai in Eisfeld sind auf dem Vollkreis 48 Marken angebracht. Schließlich sind am Dominikanerkloster Eisenach zusätzlich zu den 12 Sektoren auf dem unteren Tageshalbkreis noch je zwei zusätzliche Sektoren für die beiden ersten und beiden letzten Nachtstunden zu finden.
Später setzte sich die deutsche Stundenzählung durch, die von Null Uhr um Mitternacht bis 12 Uhr zum Mittag und dann wieder von 1 Uhr bis 12 Uhr (oder weiter bis 24 Uhr) zur nächsten Mitternacht führt. Auch hier sind Beispiele für die Skalenbeschriftung mit römischen und mit arabischen Zahlen zu finden. An der Kornmarktkirche Mühlhausen kommen sie sogar an der gleichen Sonnenuhr gemischt vor. Es gibt jedoch auch mittelalterliche Sonnenuhren, die auf jegliche Zahlenangaben und Symbole verzichten.
Etwa um 1300 wurden die mechanischen Räderuhren entwickelt, welche gleiche Stundenlänge voraussetzen. Diese für uns so selbstverständlichen gleich langen Stunden werden Äquinoktialstunden genannt. Nur während der Äquinoktien (Frühlingsanfang am 21. 3. und Herbstanfang am 23. 9.) ist die Summe der 12 Temporalstunden und der 12 Äquinoktialstunden von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang gleich.
Die neuen mechanischen Turmuhren an Rathäusern und Kirchen gingen zunächst meist noch ungenau und wurden zur Mittagszeit entsprechend der Anzeige der Sonnenuhr korrigiert. Damit auch zu den anderen Tageszeiten die Anzeigen von Sonnenuhr und mechanischer Uhr übereinstimmen, setzten sich etwa ab 1500 die modernen Polstab-Sonnenuhren durch. Hierbei ist der Schattenstab nicht mehr horizontal, sondern parallel zur Erdachse schräg gestellt. In seiner gedachten Verlängerung nach Norden hin würde er zum Polarstern zeigen und heißt daher Polstab. Für eine zur Mittagslinie symmetrische Stundenskala wird vorausgesetzt, dass die Wand genau nach Süden gerichtet ist. Dies trifft auf die meisten alten Kirchen zu. Die Stundenlinien für 6 Uhr morgens und 6 Uhr abends sind dann horizontal. Als Beispiel für eine exakt gestaltete Polstab-Sonnenuhr an einer genauen Südwand ist die im Jahre 2009 entstandene Uhr an der Martinskirche zu Apolda zu erwähnen.
Manche Sonnenuhren sind schön verziert und tragen Inschriften. An der Blasiuskirche Friedrichroda liest man »Gott der Herr ist Sonne und Schild« (Psalm 84,12). Außer den bisher beschriebenen Sonnenuhren findet man an den Thüringer Kirchen noch weitere Typen.

Mittelalterliche Sonnenuhr an der Stadtkirche St. Michael in Jena mit griechischer Stundenzählung bei Verwendung von arabischen Zahlen | Foto: Gottfried Schmidt
Symmetrische Polstab-Sonnenuhr an der Südwand der Martinskirche Apolda. Es wird durch den senkrechten Stabschatten 12 Uhr wahre Ortszeit von Apolda angezeigt. | Foto: Ernst Fauer
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Kirchenzeitungsredaktion EKM Süd

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