Rock und Pop für die Kirche
Popularmusik: Im Ursprungsland der Reformation fristet sie ein Nischendasein, kritisiert Kirchenmusik-Dozent Christoph Zschunke.
Von Claudia Crodel
Popularmusik in der Kirche, auch im Gottesdienst, ist längst eine Selbstverständlichkeit. »Eine Vielzahl neuer geistlicher Lieder und poptypischer Musizierweisen haben längst Einzug gehalten in unsere Gottesdienste und kirchenmusikalische Arbeit«, sagt Christoph Zschunke, Bundeskantor im Christlichen Sängerbund und Dozent für Chorleitung und Popularmusik an der Evangelischen Hochschule für Kirchenmusik Halle. Er sieht aber auch beängstigende Defizite. Denn »fast alle Landeskirchen haben diesbezüglich z. B. in den letzten Jahren ergänzende Liederbücher zum Evangelischen Gesangbuch herausgebracht«, erklärt Zschunke. In der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) allerdings suche man ein solches bisher vergebens. Hier setze man scheinbar auf die geplante Gesangbuchrevision.
Viele Kirchengemeinden haben heute bereits gezielte Gottesdienst- Formate, die sich vorwiegend mit Popularmusik speisen. Es gibt immer häufiger auch sogenannte Profilkirchen, wie Jugendkirchen. Wenn es dort um Musik geht, ist das meist Popularmusik. Zur qualitativen Weiterentwicklung und Verstetigung von Popularmusik im kirchlichen Alltag haben etliche Landeskirchen längst Beauftragte www.ehk-halle.de
für Popularmusik oder haupt- und nebenberufliche Ausbildungsmodelle (kirchenmusikalische C-Kurse) für Popularkirchenmusik entwickelt. Mitteldeutschland – das Ursprungsland der Reformation – sei diesbezüglich ein weißer Fleck auf der EKD-Landkarte , ärgert sich Zschunke. »Als Kirchenmusiker haben wir kaum Kontakt in diese anderen kulturellen kirchlichen Milieus. Das ist mehr als nur schade!«
Popularmusik gehört in der EKM scheinbar nicht zum Hoheitsbereich der Kirchenmusik, sondern fristet allenfalls ein Nischendasein im Bereich kirchlicher Jugend- und Kulturarbeit. Und selbst dort wurde kürzlich eine wichtige Stelle für die Vernetzung und Angebote an die Basis nicht wieder besetzt.
Dabei wäre für Zschunke vor allem wichtig, dass Kirchenmusiker in ihrer Gesamtheit das breite musikalische Spektrum abdecken können. Er verweist dabei auf Luther, dessen reformatorisches Anliegen es war, die Christen am Gottesdienst wieder zu beteiligen. Also stellt er Fragen, wie: »Für wen machen wir wo welche Angebote? Wen erreichen wir womit? Wollen wir nicht verschiedene Menschen in ihren Hörgewohnheiten und ihrem Lebensgefühl abholen und sie in unsere spirituellen Feiern mitnehmen, sie womöglich auch aufrütteln, gar verstören?«
Im textlastigen Gottesdienst kommt ihm die emotionale Komponente oft zu kurz. Es sei sehr wohl möglich, mit Stilmitteln der Popularmusik auch liturgisch kompatibel zu musizieren. Es gibt etliche Kirchenmusiker, die das mit Überzeugung tun, authentisch, leidenschaftlich und stilsicher. »Wo das gelingt und Gemeinde sich gern beteiligt, wirkt Popularmusik selbst in streng agendarischen Gottesdiensten heutzutage nicht mehr wie ein Fremdkörper, sondern ist selbstverständlich geworden«, erklärt Zschunke.
Doch da klaffen vielerorts Lücken. Er gibt zu bedenken, dass die deutschlandweite Vielfalt an Fortbildungsangeboten in Sachen Popularmusik in der EKM noch zu wenig abgebildet wird. Wichtig wäre ihm auch, mittelfristig aus den poptypischen Milieus eigenen kirchenmusikalischen Nachwuchs generieren zu können. »Solche Profis und Quereinsteiger brauchen wir zunehmend in unserer Kirche«, findet er.
Natürlich gibt es im Bereich der EKM Kirchengemeinden, in denen man sich mit der Popmusik bestens auskennt, wie in der Paulusgemeinde in Halle. »Bei uns ist modernes Liedgut eine Selbstverständlichkeit, auch im Gottesdienst«, sagt Kirchenmusikdirektor Andreas Mücksch. Es sollte so auch anderswo ganz normal sein, dass sowohl die geistliche Musik zur Traditionspflege als auch die Popularmusik gleichermaßen eine Rolle spielen, findet er. »Das ist kein Bruch und das wird als solcher auch nicht wahrgenommen«, so seine Erfahrung. Leider seien da andere Landeskirchen viel weiter als die EKM, meint auch er.
In einigen Kirchenkreisen sollen daher Stellen für Popularmusik geschaffen werden – vorbehaltlich der Finanzierung. Auch die Hochschule für Kirchenmusik plant, den Schwerpunkt auszubauen. Zur Zeit sehen die Pläne des Bachelor-Studiums zwei obligatorische Semester in Popmusik vor, wobei die Studenten Instrument oder Fach frei wählen können. Wer Interesse hat, kann den Schwerpunkt vertiefen und sich praktisch ausprobieren, etwa im Studiochor der EHK oder im PopChor der Studentengemeinde. Geplant ist für September zudem eine Weiterbildung in
Popularkirchenmusik.
Hintergrund
Die Evangelische Hochschule für Kirchenmusik Halle (EHK)wurde am 18. April 1926 durch das Konsistorium der Kirchenprovinz Sachsen in Aschersleben gegründet. 1939 siedelte sie nach Halle um. 1993 wurde der Kirchenmusikschule der Status einer Hochschule verliehen. 2001 erfolgte der Umzug ins Händelkarree, im gleichen Jahr wurde die popularmusikalische Ausbildung in die Studiengänge aufgenommen. Die Künstlerischen Aufbau-
studiengänge gibt es fortan für die Fächer Orgel, Konzert- und Oratoriengesang und Chor- und Orchesterleitung. Die EHK zählt aktuell 53 Studenten.
Autor:Online-Redaktion |
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