Zwischenruf
Eine Wunde in unseren Herzen
Am 20. Dezember wurde Magdeburg von einem dunklen Schatten heimgesucht. Ein terroristischer Angriff auf den Weihnachtsmarkt nahm unschuldigen Menschen das Leben, verletzte viele und hinterließ eine Welle aus Schmerz, Wut und Misstrauen. Der Angriff ereignete sich um 19 Uhr – genau eine Stunde, nachdem meine Tochter den Markt verlassen hatte.
Als Arzt wurde ich ins Krankenhaus in Stendal gerufen, um bei der Versorgung der Opfer zu helfen. Während dieser langen Stunden war ich umgeben von Leid, Blut und den Tränen der Verletzten. Ein besonders schmerzhafter Moment war, als ich eine SMS von einer Bekannten erhielt. Sie fragte, ob ich der Angreifer sei. Ich war erschüttert. In diesem Augenblick fühlte ich die Last des Misstrauens, das durch die Gesellschaft geisterte, und gleichzeitig die Verantwortung, den Opfern beizustehen, ihre Ängste zu lindern und das Chaos zu überblicken.
Bis 4 Uhr morgens kämpften wir im Krankenhaus in Stendal, um Leben zu retten. Dann kam die erlösende Nachricht: Es würden keine weiteren Verletzten eintreffen. Ich fuhr nach Hause – erschöpft und mit einem unermesslichen Schmerz in meinem Herzen. Eine Frage ließ mich nicht los: Warum? Warum verletzt, tötet oder entmenschlicht jemand andere? Was geht im Kopf eines solchen Täters vor?
Wir dürfen nicht zulassen, dass Hass und Misstrauen zwischen uns wachsen. In dieser schweren Zeit brauchen wir Zusammenhalt, gegenseitigen Respekt und einen offenen Dialog. Es ist die Aufgabe jedes Einzelnen von uns, Brücken zu bauen, wo Mauern errichtet werden. Ich habe das Vertrauen in viele Medien und Politiker verloren, denn sie tragen eine Mitschuld an der Verbreitung von Chaos, Misstrauen und Hass. Doch unabhängig davon, wer diesen Angriff verübt hat – er war ein Angriff auf uns alle. Er hat unsere Menschlichkeit verwundet.
Deutschland ist meine Heimat. Es ist die Heimat meiner Kinder und unserer gemeinsamen Zukunft. Trotz allem werde ich dieses Land lieben und schützen mit allem, was ich habe. Ich wünsche mir, dass wir Hand in Hand, Herz an Herz, füreinander einstehen – frei von religiösen, politischen oder ethnischen Vorurteilen.
Dieser Angriff sollte uns lehren, dass wir als Menschheit nur gemeinsam stark sind. Lasst uns einander zuhören, statt uns voreinander zu fürchten. Nur so können wir die Narben dieser Tragödie heilen und eine bessere Welt schaffen.
Trotz allem: Vertrauen und Dankbarkeit an unsere Helden des Gesundheitswesens.
Trotz der tragischen Tatsache, dass der Angriff von einem Arzt verübt wurde, habe ich mein Vertrauen und meinen Respekt vor den Ärzten in unserem Land nicht verloren, und ich werde dies auch niemals tun. Unsere Gesellschaft darf nicht zulassen, dass solch ein abscheulicher Einzelfall die unermüdliche und edle Arbeit derjenigen überschattet, die tagtäglich Leben retten und Leiden lindern.
Ich möchte meine tiefste Dankbarkeit und meinen Respekt an all jene richten, die in dieser dunklen Stunde für uns da waren: die Ärzte, Sanitäter, Pflegefachkräfte und Seelsorger in Magdeburg, Stendal und all den anderen Orten, wo die Verletzten behandelt wurden. Trotz der Angst und des Horrors, der sich in diesen Stunden ausbreitete, haben sie ihre Arbeit mit bemerkenswerter Stärke, Kompetenz und Mitgefühl ausgeführt. Ihr unerschütterlicher Zusammenhalt war ein Leuchtfeuer der Menschlichkeit inmitten der Dunkelheit.
Während diese Tragödie tiefe Wunden hinterlassen hat, dürfen wir nicht vergessen, dass es Menschen gibt, die sich mit aller Kraft für das Wohl anderer einsetzen, unabhängig von den eigenen Ängsten oder Gefahren. Sie sind das Rückgrat unserer Gesellschaft, und wir schulden ihnen unseren tiefsten Respekt und unsere Unterstützung.
Zum Schluss wünsche ich als muslimischer Arzt allen gesegnete, friedliche Feiertage und einen neuen Anfang voller Glück, Liebe, Vertrauen und Respekt. Möge 2025 ein Jahr des Zusammenhalts, der Toleranz und des Verständnisses sein.
Saleh Bin Salman
Autor:Online-Redaktion |
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