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Dem kindlichen Impuls nicht gedankenlos nachgeben

Denn das Gesetz ist durch Mose gegeben; die Gnade und Wahrheit ist durch Jesus Christus geworden.
Johannes 1, Vers 17

Von Kathrin Oxen

Es ist schwer, bei diesem Satz sein »Kind-Ich« zu unterdrücken: »Ätsch, ihr habt das Gesetz, aber wir haben die Gnade und die Wahrheit.« In der 2000-jährigen Geschichte der »Vergegnungen« (Martin Buber) zwischen Juden und Christen haben Christen viel zu oft diesem kindischen Impuls nachgegeben.
Ja, hier klingt ein Streit an. Dem »denn« zu Beginn des Satzes möchte man unwillkürlich ein »aber« vor dem zweiten Satz hinzufügen. Abgesehen davon, dass die beiden Sätze grammatikalisch parallel formuliert sind – dieser Streit ist nicht der Streit zwischen Juden und Christen. Es ist ein innerjüdischer Konflikt. Die einen halten Jesus für den Messias, der das Gesetz des Mose erfüllt, die anderen für einen gefährlichen Reformer, dessen Erneuerungsbestrebungen das Fundament des jüdischen Glaubens gefährden.
Ein Streit, der Nichtjuden zunächst nichts angeht. Und ein Streit, in den wir uns nicht einzumischen haben. In der Geschichte des christlich begründeten Antisemitismus dienten Worte wie diese, aus ihrem geschichtlichen Zusammenhang gerissen, als Waffen im Kampf gegen Gottes auserwähltes Volk. Noch heute wird auf einer antisemitischen Website mit diesen Worten aus dem Johannesevangelium judenfeindliche Propaganda gemacht.
Auch die angedeutete Gegenüberstellung von Gesetz und Evangelium ist vor diesem Hintergrund nicht unproblematisch. Die Unterscheidung zwischen dem Anspruch des Gesetzes und dem Zuspruch des Evangeliums ist nicht mit einer schlichten Zuordnung zu Judentum und Christentum oder Altem und Neuem Testament aufzulösen. Gerade in einer Zeit, in der einfache Zuordnungen wieder im Kommen sind, ist es wichtig, den einfachen Lösungen zu widersprechen.
Als Nichtjuden, als Gottes Volk aus den Völkern, leben wir von einer anderen Gnade und Wahrheit: Davon, dass der Gott Israels der Vater Jesu Christi ist und wir durch Jesus Christus einen Zugang zu ihm haben.

Autor:

Kirchenzeitungsredaktion EKM Süd

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