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alles rosenrot
zum 110. Todestag des Radebeulers

der Astralmensch (Sascha Schneider - Villa Shatterhand)

Anlässlich seines anstehenden 110. Todestages bereiste ich seit langem gestern wieder einmal Karl Mays letzte Heimstatt: Radebeul und Kötzschenbroda im Sächsischen. „Sieg, großer Sieg! Ich sehe alles rosenrot!“ waren die letzten Worte, die Karl May geäußert haben soll - wenn wir denn seiner Ehefrau Klara Glauben schenken wollen. Im Tode geht es stracks jenen Weg hinauf, welchen alle Edelmenschen gehen dürfen - von Ardistan direkt nach Dschinnistan. Und das Museum ist so konzipiert, dass an der nach oben führenden Treppe tatsächlich dieser Aufstiegs-Titel angebracht worden ist: EMPOR INS REICH DES EDELMENSCHEN. Unten befindet sich der kleine Museumsshop, welcher "May-Devotionalen" anbietet: Indianische Traumfänger, Henrys Zündplätzchenstutzen, Wolf-T-Shirts und die ersten Bände einer sehr großzügig geplanten und schmuck ausgestalteten Kritischen Gesamtausgabe von Karl Mays Werken. Oben befinden sich die Arbeitsräume des Reiseschriftstellers Carl Friedrich May (25.2.1842 - 30.3.1912). Ich erwarb mir unten jene erst im vergangenen Jahr erschienenen Gedichte der Kritischen Gesamtausgabe, welcher man den alten Titel HIMMELSGEDANKEN gelassen hat. Neben Sloterdijks DEN HIMMEL ZUM SPRECHEN BRINGEN nimmt sich das Buch HIMMELSGEDANKEN gut aus. Dann observierte auch die obere Etage. Hätten sie unten den Bärentöter (Kaliber .87 - das sind 22,2 mm) feilgeboten - da hätte ich zugegriffen. Aber das Phantasiegewehr Old Shatterhands steht nur in der Vitrine und wird streng bewacht. May ließ es anfertigen, erst nachdem er alles über diese Feuerwaffe geschrieben hatte. Denn es wird nichts Geistiges über zuvor materiell existiert habende Realität geschrieben, ehe denn die Realität hergestellt ward, so - wie wir sie vorher einmal entworfen und beschrieben hatten! Die Leute im Museum sind nett und zuvorkommend. Es war noch früh und ich war neben einem Großelternpärchen mit Enkelkind (dicker Junge!) einziger Inspizent der sächsischen Villa.

Beeindruckend sind die höher gelegenen ehemaligen Arbeitsräume Karl Mays. Ich allerdings käme hier nicht zum Denken und Schreiben - denn die original orientalischen Möbel, beeindruckenden Teppiche und großen Bilder des Malers Sascha Schneider müsste man wohl immerzu betrachten - das ganze Ambiente mutet an wie der Warteraum zu Gottes Erlösungsbüro. Gleich geht die Tür auf, und der androgyne Engel (dessen Bild unten als Sandsteinfigur im Garten steht) ruft mit begütigender Stimme so etwas wie: „Der Nächste bitte!!” oder „Die Nächstin bitte!” damit sich niemand ausgeschlossen fühlen muss. Warum berichte ich heute über Karl May und sein Museum? Weil heute der 110. Todestag ist. Und er sagte: „Sieg, großer Sieg! Ich sehe alles rosenrot!“ Wer am Ende Sieg ruft, hat wohl sein Leben lang kämpfen müssen. Was eigentlich rufen die, die nie um etwas haben ringen müssen? Denken die nur: „Das war’s!” Oder was? Karl May aber war ein frommer Mann. Und wie bei allen Frommen ist um ihn herum etwas, was viele nur als Kitsch bezeichnen möchten. Damit sind auch die vielen Gedichte gemeint, die sich alle reimen mussten und immer gut ausgehen - und irgendwie zum begütigenden Schmunzeln einladen zu wollen scheinen. Und das ist schon tatsächlich auch irgendwie ein bisschen schwierig … zumal wenn man bedenkt, dass es damals schon anders ging (um nur an Rilke, George und Hofmannsthal zu erinnern.) Aber der Mann aus Radebeul ist in all dem doch richtig authentisch - eben ein Sachse aus Ernstthal. Kein Künstler unter nur wenigen Avantgardisten - sondern ein Autor von Millionen einfacher Leute. Während man für Georges „Blätter für die Kunst” heute bei Auktionen sehr hoch bieten muss, gingen die unzähligen Hefte, in denen Mays Schriften als Kolportageprodukte breitgetragen wurden, sicher zumeist durch den Reißwolf - in Richtung minderwertiger Auferstehung als Wellpappe.

Die Dichter sind tot. Und leben doch in ihren Büchern. Die Gestalten aus diesen Büchern umschwärmen ihre Leser als Geistwesen. Das ist bekannt. Sie wurden zu Geistern. Ab Seite 283 hat Sebastian Sustek einmal aufgereiht, wie May seine Romangestalten vorher sterben lässt. Denn erst durch die literarische Beschreibung des Sterbegeschehens erhalten die  Romanfiguren sogenannte thanatokratische Potenz. Während Thomas Mann romaneske Todes-Szenen aus der Ferne distanziert und eher ironisch beschreibt, braucht der Sachse May im Gegensatz zu dem norddeutschen Wortzauberer fast immer die brutale wörtliche Rede. Darin zeigt er sich als Realist. Am beeindruckendsten aber stirbt Nscho Tschi. „Nun -- sterbe -- ich -- so --- ". Dieses „so” hat mich als Knabe immer stark beeindruckt. Ich fragte mich seinerzeit, was dieses „so” wohl bedeute … Heute meine ich, dass das „so” Nscho-Tschis als sakramental wirkende Zustimmung fungieren soll, der nichts mehr angefügt werden kann.

Ja, - da mögen sie also am 30. März 1912 alle an das Totenbett in Radebeul getreten sein: Old Firehand, Old Death, der Scout, Old Shurehand, Klekhi Petra, Winnetou und sogar der böse Santer - und werden ihren Erfinder gefragt haben: „Meister! Was nun sagst Du in dieser Stunde?”  Und dann ruft der Meister den Rosensieg aus: „Sieg, großer Sieg! Ich sehe alles rosenrot!“ Er ruft auch, um seine literarischen Figuren für die Zeit, die nach seinem Tode nun kommen wird, zu begeistern und zu retten. Denn hätte er gar  n i c h t s  gesagt, wären sie allesamt (die ja nur Varianten des Mayschen ICHs gewesen sind) auf der Stelle zu Nichts verblasst. May hat als sterbender Autor also Verantwortung für seine erfundenen Gestalten übernommen!

Wenige Tage vorher hatte May am 22.März 1912 in Wien einen Vortrag gehalten. Thema: Empor ins Reich der Edelmenschen. Berta von Suttner und Adolf Hitler haben Karl May an diesem Abend beide gleichermaßen gebannt gelauscht. Der Vortrag war ausverkauft und zweitausend Leute anwesend. Berta von Suttner war eine österreichische Pazifistin, Friedensforscherin und Schriftstellerin. Sie wurde 1905 als erste Frau mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Sie saß in der ersten Reihe. Und der Weltkriegsgefreite, der später halb Europa in Schutt und Asche legen lassen wird, hockte irgendwo hinten - und hatte sich für diesen Tag von einem Mitinsassen des Männerheims, in dem er damals campieren musste, neue Lederhosen geborgt (Alice Miller). Wie wird man ein Edelmensch? Das war das letzte Thema Karl Mays. Er erkältet sich in Wien, ist durch die gegen ihn geführten Prozesse sowieso geschwächt und krank nach Sachsen zurück gekommen.

Wie wird man ein Edelmensch ... Das ist eine gute Frage - und bis zur Antwort hin ein langer Weg. Jeder muss das selber für sich heraus finden. Aus dem schönen Band HIMMELSGEDANKEN zum Schluss noch eins der Gedichte Karl Mays, das auch im letzten Wiener Vortrag eine Rolle gespielt haben soll:

Nach meines Lebens schwerem Arbeitstag
Soll Feierabend sein im heil'gen Alter.
Und was ich hier vielleicht noch schauen mag,
Das sing ich Euch zur Harfe und zum Psalter.
Ich habe nicht für mich bei Euch gelebt;
Ich gab Euch alles, was mir Gott beschieden,
Und wenn Ihr nun mir Haß für Liebe gebt,
So bin ich auch mit solchem Dank zufrieden.

Nach meines Lebens schwerem Leidenstag
Leg allen Gram ich nun in Gottes Hände.
Und was mich hier vielleicht noch treffen mag,
Das führe er in mir zum frohen Ende.
Ich hab' die Schuld, die Ihr auf mich gelegt,
Gewißlich nicht allein für mich getragen,
Doch was dafür sich irdisch in mir regt,
Das will ich gern nur noch dem Himmel sagen.

Nach meines Lebens schwerem Prüfungstag
Wird nun wohl bald des Meisters Spruch erklingen,
Doch, wie auch die Entscheidung fallen mag,
Sie kann mir nichts als nur Erlösung bringen.
Ich juble auf. Des Kerkers Schloß erklirrt;
Ich werde endlich, endlich nun entlassen.
Ade! Und wer sich weiter in mir irrt,
Der mag getrost mich auch noch weiter hassen!

Autor:

Matthias Schollmeyer

Webseite von Matthias Schollmeyer
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