Dem Staunen der Kindheit nachspüren
Eine Meditation zum Osterleuchter im Predigerseminar in Wittenberg
Von Hanna Kasparick
Die Hand auf der samtig-rauen Oberfläche bringt die Bäume der Kindheit zurück: den rissigen Stamm der Kastanien mit ihrem unendlichen Labyrinth, in dem die Käfer wohnen; die kühle Rinde der Birke, die nichts Schöneres kennt, als das Licht des Tages einzufangen. Mit einem Baumstamm im Rücken wächst das Kind über sich hinaus.
Wenn kein Tag mehr dem anderen die Hand reicht,
wenn das Wechselspiel von Form zu Form,
von Lebensalter zu Lebensalter,
vom Sein zum Werden, ans Ende kommt,
was bleibt?
Nicht nichts. Das sehe ich hier. Nein, kein Zerlegen in immer kleinere Elementarteilchen. Am Ende steht eine feste Form, nicht mehr entkernt, unhintergehbar, einem Baumstamm gleich. Der Kern, das Herz aller Dinge ist ein Leuchter.
Schon vom ersten Tag ist er im Holz des Altars verborgen, im Mosekorb der Taufe versprochen und am Ort des Wortes Punkt für Punkt buchstabiert. Gott sprach: Es werde Licht – und es ward Licht. Und er sagt: Ich bin das Licht der Welt. Das Herz aller Dinge.
Am Ende wird erscheinen, was wir von Anfang an gewesen sind. Darum sagen die Kirchenväter: Werde was du bist. Eine Lichtträgerin, ein Lichtträger. Wachse an diesem Leuchterstamm über dich hinaus, einmal gerufener Name.
Meine Geschichte wird sich neu erzählen. Vom Ende zum Anfang. Noch weiß ich nicht, was ich sein werde. Das wird herausgearbeitet, Tag für Tag, von Form zu Form. Bis zum Ende und darüber hinaus. Wie in unserer Kapelle:
Zuerst ist der Altar,
daraus wird ein Taufort,
dann ein Pult
und am Ende ein Leuchter.
Er, das letzte Bild im Licht des neuen Schöpfungsmorgens, steht einfach da, wie einer der Bäume aus Kindertagen. An ihm kann ich wachsen. Und vom Ende her fällt der Schein des Lichtes, das er trägt, auf jeden meiner Tage: Mache dich auf und werde licht, denn dein Licht kommt.
Die Hand, die über die schimmernde Oberfläche des Osterleuchters streicht, spürt dem Staunen der Kindheit nach und zögert leicht an den kaum noch wahrnehmbaren Fugen der sonst ebenmäßigen Oberfläche, zögert an den Bruchstellen des Lebens. Noch bin ich nicht angekommen, aber auf dem Weg.
Autor:Online-Redaktion |
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