PASSIONSGESCHICHTEN (8)
VON DEM SCHWAMME
Carissimi - zu guter Letzt lasst uns noch jenen Schwamm betrachten, welchen Spongipheros in mit Myrrhe vermischtem saurem Wein gebadet, dann auf ein Rohr gesteckt und als Trunk zum Munde Jesu geführt hatte. Um im Geheimnis dieses Geschehens nicht zu verbrennen, berichten die Evangelien nur ganz wenig darüber. Aus sicherem Abstand dürfen wir Heutigen fragen, was es mit diesem Schwamme für eine Bewandtnis hatte und wohin er schließlich geriet. Einige derer, die vor uns waren, haben in dieser Sache verschiedentlich bereits Zeugnis abgelegt und - wenn wir ihnen Glauben schenken wollen - sind ihre Berichte nicht unwichtig:
Hatte Satan bereits bei der Opferung Isaaks seine finsteren Pläne ins Spiel gebracht, so nun auch wieder am Hügel Golgatha. Damals in der Wüste ahmte er an Abrahams Ohr die Stimme des HERRN nach und folgte dem Erzvater in Tiergestalt bis auf den Berg Moria, um dort der Vernichtung einer Verheißung beizuwohnen. Mit dem Schwamme verhält es sich ganz ähnlich, denn Satan will nicht lernen. Ihr erinnert euch - da hockte damals der Böse als Widder verwandelt im Gebüsche und erwartete seinen Triumph, wenn der Sohn Terachs gleich den Vater Jakobs entleiben würde. Schon meckerte er sein heimtückisches Lachen aus dem Dornenstrauch heraus in Richtung des Steinaltars, ähnlich der Stimme Gottes im brennenden Busche damals, als die Flamme den ewigen Namen des Seins verriet. Der Eingebung seines Engels folgend, wandte sich Erzvater Abraham jäh um, denn er hatte das Lachen Satans gehört. Er erspähte ihn als genau jenen Bock, welchen der Ewige ihm wohl ersehen hatte. Rasch und mit kundiger Hand führte der Erwählte die Klinge durch die Kehle des Verstoßenen, der da zufällig in Tieres Gestalt erschienen war. Da war der Sohn gerettet und der Böse fuhr blutig beschämt zur Hölle hinab.
Carissimi - wir wissen, dass seit den Tagen Adams der Unhold keinen Versuch auslässt, die Guten auf den Weg zum Bösen zu lenken. So nun auch heute beim Kreuze Jesu. Zuschauen wollte der verstoßene Engel, wie die irrenden Menschen einen barmherzig Gottgleichen quälten. Da der Schurke aber nicht in seiner wirklichen Gestalt erscheinen wollte, sondern sich unerkannt am Unglück zu weiden gedachte, nahm er diesmal die Maske des unauffälligsten Meerwesens aus dem Reiche Leviathans an, welcher am finsteren Grunde bei Ursees Unstrudel haust und nur darauf lauert, wen er zu sich herabziehe. Dieses unschuldige Wesen aber war nun der biedere Schwamm, den Gott am fünften Tagezusammen mit allerhand Wassermaid und Seegeflunker erschaffen. Derart als Meerfrucht verunkenntlicht erschien das satanische Scheusal jetzt am Kreuzesberg, wo das Heilswerk Gottes sich unerkannt vollziehen würde.
Nachdem nun der Herr alles erlitten und alles gesagt, für seine Peiniger gebetet, den Soldaten vergeben, einen Schächer zum Paradiese eingeladen, seinem Lieblingsschüler die eigene Mutter und ihr den neuen Sohn gezeigt, rief er, um auch noch die Hölle zu erlösen: „Mich dürstet!” Da kam einer mit langem Stabe und griff aus der Menge vieler Schwämme gerade den einen Spongius, der sich am weitesten aus dem Korb herausgewagt, um sich am Drama zu ergötzen. Spongipheros hieß jener Schwammträger, der das Ysoprohr in die tote Substanz stach, unter deren Gestalt sich Satan barg, wie damals als Widder im Wüstenbusch. Spongipheros tauchte den Schwamm tief in den Behälter, darinnen man sauren Wein mit Myrrhen vermischte.
Da lief er und da reckte er die Stange mit dem Schwamm zum Munde des Erlösers. Und unser Heiland, dem wir alles geweiht, was wir kennen, biss in den Schwamm und saugte den betäubenden Trank daraus in seinen ersterbenden heiligen Leib, der bereits in anderen Sphären zu weilen begonnen. Er hatte ja seinen Jüngern versprochen, vom Gewächse des Weinstocks nicht eher zu genießen, als im Reiche Gottes. So nun, wie Satan durch den Judasmund Jesus im Garten Gethsemane gebissen und seinen Verrat als Kuss ausgegeben hatte, küsste nun der Gott seinen gefallenen Engel - und schien doch für alle, als ob's ein tödlicher Biss gewesen. Oder gerade eben so, wie Satan Evan am Baume die Erkenntnisfrucht küssen ließ, indem das Weib mit ihrem Mund darein biss und die ganze Welt deshalb im Garten des Paradieses verloren ging, packte nun der Weltenretter im Kreuzgarten den Unhold mit seinem Munde und erlöste das Ganze der Welt samt aller ihrer Höllen.
Da aber Satan geküsst worden, war das Heilswerk vollbracht und der tote Schwamm fiel leer zu Boden. Spongiphoros nahm ihn an sich und vollbrachte in der Zeit seines noch langen Lebens allerlei Wundertaten mit dem vom Munde des Meisters berührten Meerungeheuer. Einmal warf er während einer Schiffsreise, bei der man in große Not geraten war, ein Stücklein jenes Heiligen Schwammes in das wütende Meer, welches sofort Ruhe gab und Schiff samt Ladung und Mannschaft jenes weit gegen Abend gelegene entfernte Hispania als Ziel erreichen ließ. Angekommen im Hafen der Stadt Valencia ließen die Seeleute sich taufen und begründeten allda die Gemeinschaft des Heiligen Spongiphoros, welche bis heute dafür bekannt ist, dass ihre Mitglieder Lügen aufdecken und die Lügner auf gangbaren Wegen in Richtung Wahrheit zu geleiten versuchen.
aus dem Lateinischen
De Veritate Spongiarum (Vestigia patrum XIII,3)
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