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PASSIONSGESCHICHTEN (3)
VON DER LANZE

CLAVVS DOMINI - die Heilige Lanze

... in den letzten Minuten vor dem Anbruch des Sabbats wurde am Kreuz mit einer Lanze überprüft, ob Jesus bereits gestorben wäre (Joh 19,34). Können aber Gottheiten sterben? Der die Kontroll-Lanze führte war entsprechenden Legenden zufolge jener Centurio Cassius Longinus bzw. ein gewisser Abenadar. Die einer Entweder-Tod-Oder-Lebendig-Messung zu vergleichende Manipulation am Leibe des Gekreuzigten wurde Wirkursache dafür, dass der Verurteilte eben n i c h t starb, sondern am Leben blieb.

Wie das? Das Sterbeexperiment Jesu auf Golgatha wurde durch die Beobachtung seiner Büttel beeinflusst, wie ja prinzipiell alles Beobachten die beobachtete Sache nicht ohne Wirkung lässt. Wir wissen, dass ein in die Strömung getauchtes Messinstrument die Strömung verändert und damit die Messung verfälscht. Wir wissen um die Paradoxa, die ein einzelnes Photon uns zumutet, wenn es auf den Doppelspalt zufliegen muss und wir messen wollen, durch welchen der beiden Spalten es geflogen sein wird (Quantenmechanik). Jede Messung verändert das Gemessene. Was mag damals nun zwischen sechster und neunter Stunde jenes schwarzen und für uns zugleich als heilnotwendig (cur deus homo) verkündeten Freitags geschehen sein?

Jesus war am Kreuz nach vorher erlittener Tortour offensichtlich ins Koma gefallen - in eine sogenannte CO2-Narkose. (WIKIPEDIA unterhält zu diesem Thema den medizinisch Nichtwissenden mit aufklärenden Artikeln). Da hing der Meister nun am Kreuz, als wäre er tot. Die beiden Schächer links und rechts neben Jesus hatten sich allerdings noch weiter zu quälen. Um die lange Leidenszeit zu verkürzen, brach man ihnen die Beine - bei aller Brutalität ein Gnadenakt. Ein Hauptmann, der den gesamten Hinrichtungsprozess zu kontrollieren hatte, sah nach Jesus - der eben laut „Tetelestai“ gerufen hatte. Das ist der Ruf von Athleten, wenn sie abgekämpft durchs Ziel taumeln - „geschafft!“  (Joh 19,30). So schnell wäre es freilich noch nie gegangen mit dem Sterben am Kreuze, dachte sich der Hauptmann, murmelte das bekannte: „Der war ein Gerechter und Gottes Sohn!”, griff nach der Lanze und stieß sie Jesus in die rechte Seite, um sich zu vergewissern, dass der Tod bereits eingetreten wäre. Johannes dokumentiert diese Details in seinem Evangelium sehr präzise.

Genau dieser quasi ungläubig und wie nebenbei von der erprobten Hand des erstaunten Hauptmanns gesetzte Lanzenstich fungierte nun im Sinne eines ärztlichen Noteingriffs, den man in Fachkreisen Pleurapunktion nennt. Die Mediziner unter uns horchen auf, denn sie wissen: Wann setzt man eine Pleurapunktion? Die Antwort: Aus therapeutischen Gründen wird eine Pleurapunktion durchgeführt, wenn sich in dem Raum zwischen den beiden Pleurablättern so viel Flüssigkeit angesammelt hat, dass diese die Lunge verdrängt und so dem Patienten Atemnot bereitet. Hilfreich wäre an dieser Stelle nun, wenn man sich ein wenig in der Anatomie der menschlichen Leibeshöhlungen auskennte. Ein Pleuraerguss (wird berichtet) trat bei den durchs Kreuz vom Leben zum Tod gebrachten Delinquenten nicht regelmäßig aber auch nicht selten ein - und ist einer der wichtigen Gründe dafür, warum die Kreuzigung zu einem so elend schmerzhaften und zeitlich lang hingezogenen Sterben führt - Ersticken.

Jesus wurde also irgendwann im Zeitraum seiner offenbar eingetretenen Kohlendioxidnarkose vor dem endgültigen Ersticken durch diesen punktierenden Kontroll-Lanzenstich auf der rechten Seite gerettet. Blut und Wasser traten aus, so wie bei einer heutigen Punktion beabsichtigt. Der Gerettete ward bald darauf vom Kreuz genommen, ins Grab gelegt - und dort in der Höhle hinter dem Stein erwachte er wieder - Nikodemus und Joseph von Arimathia hatten mit entsprechenden Substanzen hantiert (Joh 19,39). Auch davon berichtet Johannes. Man verband Wunden, führte den Geretteten hinaus, versteckte ihn und pflegte seiner. Und - das ist jetzt besonders wichtig - als Schutzerzählung verbreitete man ganz bewusst die fabelhafte Geschichte der Auferstehung Jesu. Man musste den Rekonvalenszenten ja vor bösen Nachstellungen schützen. Solche hätten unweigerlich stattgefunden, wenn sich das Aufwachen des Meisters aus der Narkose überall fröhlich herumgesprochen hätte. Jesus wurde also nicht von den Toten auferweckt, sondern er erwachte im Grab und stand wieder auf. Die Wahrheit dieser Tatsache wurde von seinen Jüngern zum Schutze des Meisters, der danach noch lange weiterlebte und wirkte, verschleiert - so dass die Gefahr einer zweiten Hinrichtungsaktion gebannt war.

Was ist das für eine tolle Theorie? Und der sie uns in einem respektabel dicken Buche liefert ist dazu noch der renommierte Historiker Johannes Fried (Jahrgang 1942). Sein Buch heißt KEIN TOD AUF GOLGATHA und erschien 2019 bei C.H.Beck. Lohnt es sich, dieses Buch zu lesen? Es lohnt sich. Wir finden darin gut dargestellt, wohl durchdacht und medizinisch untermauert eine neuzeitliche Variante der alten Scheintodhypothese Jesu am Kreuz.

Natürlich ist das Buch nicht unwidersprochen geblieben. Einige Neutestamentler und Kulturjournalisten haben sich sofort auf das Buch gestürzt und es zu zerreissen versucht. Wie dem auch sei - interessant bleibt nach wie vor die Frage, ob ein Gott tatsächlich und eigentlich überhaupt sterben kann? Und was der Tod irgendeines Wesens eigentlich bedeuten soll ... Kann der Gott  n i c h t sterben, dann kann er auch nicht auferstehen. Denn Auferstehen heißt, jemand kehrt aus dem Totaltod seines Selbsts ins Leben zurück. Wenn er wirklich wieder richtig zurück gekehrt sein sollte, dann war er vorher nämlich nicht richtig tot. Bzw. der „Zurückgekehrte” ist irgendwer, aber nicht mehr der, der vorher gestorben gewesen war. Sondern? Ist nun einer, der „nur” so ist, wie jener einmal war, welcher vorher wie dieser gewesen sein soll, der jetzt neu wieder da ist.
Denn eine Identität dieser beiden Personen in einer e i n z i g e n  Person nämlich würde bedeuten, dass der Erste gar nicht gestorben, sondern allenfalls eine gewisse Zeit nicht anwesend war - bis er dann eben wieder erschien - als angeblich Zweiter, der zugleich der Erste ist. Nein - tot ist tot - andere Behauptungen würden den Begriff des Todes unsinnig machen. Man kann sich aus dieser Situation nur dadurch heraus mogeln, wenn man behauptete, es gäbe eigentlich keinen richtigen Tod. In diesem Falle dann wäre Tod dem Wellental einer Sinuskurve vergleichbar, wo sie in ihrem Talbereich vom Koordinatensystem des Kontrollbildschirms auf gewisse Zeit verschwand.

Nebenbei: Insofern ist auch Nietzsches „Gott-ist-tot-Idee” keine Rede über den ontologischen Tod Gottes, sondern ein literarisch gut aufgemachtes geistvolles Geschwätz im Blick auf die Gottvergessenheit vom  Ende des 19. Jahrhunderts an.

Wenn wir nun mit gewisser Berechtigung weiterhin davon ausgehen, dass es den Tod als Beendigung dessen, was wir menschliches Leben nennen, wirklich gibt, dann müssen wir uns fragen, ob auch ein Gott in ähnlicher Weise sterben kann, wie es Menschen müssen. Kann ein Gott zu Ende gehen? Doch wohl eher nicht. Denn wäre es möglich, dass Gott stürbe, wäre dieser Gott nicht der Gott, von dem Theologie und Philosophie mit geordnetem und relativ widerspruchsfreiem Denken seit Jahrtausenden nachgedacht haben wollten. Ja - ein Mensch kann zwar sterben, es gehört zur Definition des Menschseins sterblich zu sein. Zur Definition des abendländischen Gottes gehört aber seit Anbeginn, unsterblich zu sein - allenfalls könnte Gott durch Leiden und Schlaf hindurch gehen. Aber das, wodurch er dann geht, ist nicht der Tod als Totalvernichtung, wie wir ihn für Menschen wohl oder übel veranschlagen müssen . Wenn wir die Kategorie der sogenannten "Zeit" mit ins Spiel brächten, könnte die Spanne von einigen Millionen Jahren, in denen Gott quasi als abwesend wahrgenommen wird, wie das anmuten, was für Menschen "Tod" bedeutet, mehr aber auch nicht. Gott ist nicht tot. 

Wenn wir Gott nun aber trotzdem theoretisch sterben ließen, haben wir damit zwar eine paradoxale Sigularität gedacht, zugleich aber auch unsere gesamte Begrifflichkeit zerstört, die uns seit Jahrtausenden erlaubt, Mensch und Gott gemeinsam in der Form auch eines Gegensatzes zu denken. Mit derartig begrifflichen Ausbrüchen aus der Ordnung der Logik und ihres Dogmas kann man zwar Erstaunen auslösen und irgendwelche Predigtpreise gewinnen, aber das Erstaunen löst sich im Zuge des Nachdenkens recht bald als Unsinn auf.

Versuchen wir es anders: Als wahre Aussagen sollen gelten:
A) Der Mensch lebt und stirbt.
B) Gott lebt und stirbt nicht.

Inkarniert sich Gott nun in einem einzelnen Menschen, wie die christliche Lehre es seit Jahrhunderten lehrt - dann kann dieser einzelne Mensch nicht ganz einfach so sterben, wie jeder andere Mensch sterben muss. Gerade dadurch nun, dass im Moment der Todesgefahr die Lanze dem Gottesohn als Menschen Tod bringen sollte, hielt die todbringende Lanze den Erwählten am Leben (Pleurapunktion). Medizinisch ist das einigermaßen erklärbar - und immer noch genug „Wunder.”

Etwas ganz Ähnlich sehen wir z.B. in dem Film „Adams Äpfel”, wo ein guter Mensch von einem Verbrechen erschossen werden soll. Die Kugel trifft tatsächlich in den Kopf - aber Gott lenkt die Kugel so genial, dass der Tumor, der dort im Kopfe als irreparabel wuchs, herausgeschossen wird. Nicht schlecht …

Der Mensch ist sterblich, weil er ein Sterblicher ist. Er stirbt, weil er endlich ist. Gott ist unendlich und unsterblich. Er ist allmächtig. So sind die Begriffe von der altteuropäischen Theologie und Philosophie nun einmal gesetzt worden. Es ist jahrhundertelang mit diesen Axiomen nicht schlecht gedacht worden. Der Begriff der göttlichen! Allmacht bedeutet aber, dass Gott auch in der Ohnmacht seine Allmacht ausüben muss. Und deshalb greift Gott nicht ein, sondern schaut zu, wie der eigene Sohn am Kreuz leidet. Dieses Zuschauen ist der Vollzug der göttlichen Allmacht. Da Gott selbst in seinem Sohn offenbar leidet (Ohnmacht), kann nun aber der Sohn auch nicht sterben - weil Gott "in" ihm seine Allmacht ausübt. Weil Gott nicht sterben kann, "muss" etwas dementsprechendes geschehen - also kommt der "Feind" daher und stößt mit der Lanze zu. Er punktiert - und der Tod tritt nicht ein.

Die alte Loskauftheorie, der gemäß Gott starb, damit die durch Sünde todeswürdig gewordene Menschheit angemessen erlöst werden könnte, funktioniert trotzdem weiter, auch wenn Christus nicht starb, sondern "nur" am Kreuz litt. Gott als Gläubiger nimmt die Strafe, die die Menschen als Schuldner hätten tragen müssen, auf sich. Dabei ist es relativ egal, ob Gott stirbt (was aus logischen Gründen nicht angenommen werden darf) oder ob er nur leidet. Er selbst bezahlt gemäß beider theoretischer Möglichkeiten die von Seiten der Menschheit abzuleistenden Ausstände und Schuldenlasten (Gott macht sich als Gläubiger zu seinem eigenen Schuldner) - und übt hiermit seine ewige Allmacht durch zeitweilige Ohnmacht aus.

Ob Jesus später dann tatsächlich einmal starb - etwa mit achtzig Jahren - bleibt nun am Schluss noch als Frage stehen. Ja sicherlich ... Aber Gott müsste sich für diesen Fall  vorher aus seinem Sohn erst zurückgezogen haben, damit der Mensch Jesus hätte sterben können. Hier bietet die Trinitätslehre mit ihren schwer zu durchschauenden thomistischen Winkelzügen sicher geniale Schlupflöcher. Das allerdings ist eine ganz andere Frage - und es scheint hier etwas von einem besonderen Glanz durchzuschimmern. Diejenigen unter uns, welche die Theorie eines Totalsterbens aufgegeben haben und einen Seelenrest oder Geistkörper als Theorem in Anschlag bringen möchten, reden von diesem Schimmer. Ohne Frage eine interessante Spur betritt man mit der Frage, ob es den Tod überhaupt gibt, bzw. wir angemessen über ihn Beschreibungen in Umlauf gebracht haben. 

Was wir aus all diesen Überlegungen lernen können? Neben den vielen Fakten, die in Johannes Frieds Buch zur Verhandlung kommen, auch sehr viel über uns selbst. Wie wir auf das Buch des Historikers reagieren, das wirft ein bezeichnendes Licht auf uns selbst. Lehnen wir das Buch ab, weil wir den Tod Jesu irgendwie brauchen? Oder haben wir Freude daran, dass wieder einer es wagte, darüber nachzudenken und zu beschreiben, wo und wie der Unterschied zwischen Aufwachen und Auferwecktwerden verstanden werden kann?

Auf jeden Fall ist die Lanze von Golgatha ein höchstbesonderes Instrument, mit ihm wurde u.U. eine zweite irdische Wirksamkeit Jesu (nach seinem Tod) ermöglicht. Wie diese ausgesehen haben könnte, berichtet Johannes Fried im zweiten Teil seines Buches - und wer hier weiterliest, bekommt Hinweise darauf, warum die östlichen Kirchen und die besonderen Ereignisse im 7. und 8. Jahrhundert auf der arabischen Halbinsel eine besondere Geschichte haben.

Autor:

Matthias Schollmeyer

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