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Die Altäre von Kemberg

Zankapfel: Eine Kopie (rechts) des 1994 nahezu vollständig verbrannten Cranach-Altars (links) in Kemberg, Kirchenkreis Wittenberg (Fotos: Thomas Klitzsch; Collage: Adrienne Uebbing)
  • Zankapfel: Eine Kopie (rechts) des 1994 nahezu vollständig verbrannten Cranach-Altars (links) in Kemberg, Kirchenkreis Wittenberg (Fotos: Thomas Klitzsch; Collage: Adrienne Uebbing)
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Der Cranach-Altar in der Kleinstadt nahe Wittenberg fiel vor 23 Jahren einem Brand zum Opfer. Bis heute schwelt der Streit über den Umgang mit dem zerstörten Kulturgut.

Von Katja Schmidtke

Kirchenkonservatorin Bettina Seyderhelm erinnert sich genau an jenen Novembertag 1994. Ein Schwelbrand hatte in der Stadtkirche zu Kemberg gewütet. Mitten im Chaos der Zerstörung lag wie ein »großer gefallener Vogel« der Altar von Lucas Cranach dem Jüngeren. Zwei Drittel des Kunstwerks von 1565 waren unwiederbringlich verloren. Verbrannt. Verkohlt. Verrußt.
Auch Walter Neumann erinnert sich. Der Elektromeister war damals stellvertretender Bürgermeister, vom Stadtrat eilte er zur Kirche. »Mir war sofort klar, da müssen wir etwas tun«, sagt er. Etwas tun – doch wie? In Kemberg beschritt man verschiedene Wege. »Die Kopie eines so hochrangigen Kunstwerks nach Fotografien ist nicht nur wegen der fehlenden genauen Vorlagen unmöglich, sondern auch, weil kaum jemand die feine Technik der Cranach’schen Malerei beherrscht«, erklärt Bettina Seyderhelm. Der Gemeindekirchenrat schließt sich dieser Ansicht an und beauftragt nach einem Wettbewerb den renommierten Künstler Arnulf Rainer. Er schafft ein Altarkreuz; Günter Grohs dazu korrespondierende Fenster. »Wir haben lange diskutiert und öffentlich, transparent und demokratisch entschieden«, fasst Kirchenältester Dieter Schröter zusammen.
Auch wenn Walter Neumann mit in der Jury für die Neugestaltung des Altarraums sitzt, wählt er einen anderen Weg. 2010 – da ist der Chorraum seit acht Jahren neu – tritt er mit einer Gruppe anderer Handwerker in die Öffentlichkeit: Sie wollen den Cranach-Altar wie Phönix aus der Asche auferstehen lassen. Die Eisleber Künstlerin Mariana Lepadus, die in Rumänien Kirchenmalerei studierte und sich der Ikonenmalerei verschrieben hat, wagt sich an das Projekt. Mehr als 100 Menschen spenden, 74 000 Euro kommen zusammen.
Gemeindekirchenrat, Kirchenkonservatorin Seyderhelm und Superintendent Christian Beuchel distanzieren sich von dem Vorhaben. Die Nachbildung soll nicht in der Kirche ausgestellt werden. Kirchenältester Dieter Schröter: »Erstens: Wir haben uns für eine Neugestaltung des Altarraums entschieden und mit Arnulf Rainer einen großen Künstler gewinnen können. Zweitens: In der Sakristei können die erhaltenen Reste des Cranachs besichtigt werden. Drittens: Eine Kopie des Originals kann es nicht geben.« Mehrfach ist dieses Nein schriftlich protokolliert, betont Bettina Seyderhelm. Die Handwerker können oder wollen sich daran nicht erinnern.
Als Standort für die Nachbildung bietet sich der Kirchturm an, der sich in städtischem Eigentum befindet und Ausstellungsort ist. Das gehe aus versicherungstechnischen und klimatischen Gründen nicht, entgegnet Neumann. »Wir haben geglaubt, dass sich in der riesigen Kirche doch ein Platz finden muss«, sagt er. Auch die Spender hegen diese Hoffnung. Die Kirchengemeinde erklärt sich bereit, das Werk von Mariana Lepadus im Mai einige Tage in der Stadtkirche zu zeigen. Zur Präsentation sei die Kirche fast bis auf den letzten Platz gefüllt gewesen, 300 Menschen hätten sich mit ihrer Unterschrift für den Verbleib ausgesprochen, so Neumann.
Doch inzwischen ist der Altar verabredungsgemäß wieder abgebaut, auch der Bericht der Bild-Zeitung »Altar-Skandal in Kemberg« ändert daran nichts. Die Stimmung in der Stadt ist schlecht. Pfarrer und Kirchenälteste werden überall angesprochen. Der öffentliche Druck wächst. Es heißt, der Ministerpräsident wolle sich einschalten. Am 15. Juni – nach Redaktionsschluss dieser Zeitung – wollen Kirchenkonservatorin Seyderhelm und Superintendent Beuchel zunächst mit der Gemeinde und dann mit den Initiatoren der Altar-Kopie ins Gespräch kommen. Nicht zum ersten Mal.

Autor:

Kirchenzeitungsredaktion EKM Süd

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