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Keimzelle des Theaters

Prozessionsspiel: Auch die Kinder der Zerbster Bartholomäischule machen im September mit. Sie zeigen »Jona und der Wal«. Vor Schuljahresende haben sie die Geschichte als Musical aufgeführt, im September kommt eine komprimierte Fassung auf die Bühne. | Foto: Helmut Rohm
  • Prozessionsspiel: Auch die Kinder der Zerbster Bartholomäischule machen im September mit. Sie zeigen »Jona und der Wal«. Vor Schuljahresende haben sie die Geschichte als Musical aufgeführt, im September kommt eine komprimierte Fassung auf die Bühne.
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Nach 500 Jahren: Zerbster Prozessionsspiel wird wieder aufgeführt

Von Thorsten Keßler

In zwei Monaten, und zwar vom 8. bis 10. September, wird in Zerbst das mittelalterliche Zerbster Prozessionsspiel wieder aufgeführt. Rund 400 Zerbsterinnen und Zerbster wirken mit. Die Proben für das vor fünf Jahren wieder entdeckte und von Professor Hans-Rüdiger Schwab (Katholische Hochschule Nordrhein-Westfalen in Münster) neuinszenierte Stück gehen jetzt in die Endphase.
Das Prozessionsspiel wurde urkundlich erstmals 1490 erwähnt und habe damals als eines der bedeutendsten im deutschsprachigen Raum gegolten, sagt Schwab, der auch ehrenamtlich die künstlerische Leitung für das Stück übernommen hat. »Wir haben es mit einer der wenigen erhaltenen frühen Formen des deutschen Theaters zu tun. Eine Art Keimzelle, aus der sich später das Theater entwickelt hat.« Die 24 biblischen Szenen von der Schöpfung bis zum jüngsten Gericht wurden im Mittelalter durch die Zünfte und unterschiedliche Gruppen von Zerbster Bürgern dargestellt. Bis zu 2 500 Menschen sollen bei dem zwischen 1507 und 1522 als Fronleichnamsprozession aufgeführten Stück mitgewirkt haben.
Wie vor über 500 Jahren spielen auch heute die Bürger mit. Vereine, Schulen, die Kirchen und andere Institutionen stellen die Szenen pantomimisch dar. Die Zwischentexte tragen die Schülerinnen und Schüler der Theater-AG des Gymnasiums »Francisceum« vor.
Die Zerbster Stadtverwaltung mit Bürgermeister Andreas Dittmann an der Spitze stellt zum Beispiel die Szene mit den 14 Nothelfern dar. Zwar sei es nicht gelungen, jedes der 24 Bilder des Stückes einem der 24 Zerbster Ortsteile zuzuordnen, bedauert der Bürgermeister, aber er hoffe »dass durch die Neuinszenierung des Stückes das durch die Gebietsreform entstandene Verwaltungsgebilde enger zusammenwächst und das Projekt zu einem verbindenden Element wird«.
Für Nicole Iffert ist das Mitspielen Ehrensache: »Die Bürger der Stadt haben das Prozessionsspiel damals ins Leben gerufen, also müssen die Bürger der Stadt jetzt auch dafür sorgen, das Stück wieder zu beleben.«
Hans-Rüdiger Schwab hat den Original-Text übersetzt und modifiziert. Bei der Neuinszenierung des Mittelalterspektakels ziehen die Mitwirkenden auch nicht wie damals durch die Straßen, sondern spielen auf einer Bühne auf dem Markt. Der Bogen in die Gegenwart ist Schwab wichtig. »Hier geht es nicht darum, den Staub von einem ein halbes Jahrtausend alten Dokument zu pusten, sondern vielmehr darum, welche Funken dieses alte Stück heute noch entzünden kann.«
Im 16. Jahrhundert gab es Wissenschaftlern zufolge starke Zerwürfnisse in allen gesellschaftlichen Strukturen. Insofern sei die gesellschaftliche Situation damals ähnlich zur heutigen und das Prozessionsspiel damals wie heute eine Chance zur Einigung, findet Zerbsts Bürgermeister Andreas Dittmann. »Die Stiftung des Prozessionsspiels sollte genau das bewirken, dass die Menschen sich wieder auf die eigentlichen Werte besinnen und zur Gemeinschaft zurückfinden.«

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