Andacht
Kirche träumen ... "aber die Menschen sind doch die Kirche"
Liebe Mitmenschen!
An sieben Tagen im Februar 2023 sind wir abends als Gemeinschaft unterwegs mit Gottes Wort und den Taten seiner Apostel. Wir tauchen ein in die Texte und die Erlebniswelt der Apostelgeschichte. Bibelwoche 2023. Alle Abende sind verschieden, vom Thema, von den Menschen, die das Thema vorbereitet und umgesetzt haben und die Besucher*innen sind jeweils andere. Wir sind in Heldrungen, in Etzleben, in Hauteroda, in Hemleben, in Oberheldrungen und in Gorsleben. "Kirche träumen" ist die große Überschrift für alle Abende. Ich hoffe Sie haben auch miteinander geträumt, vielleicht in der Art, wie es das Lied „Ich träume eine Kirche“ besingt? Ich habe es mit einer Gruppe am Freitagabend gesungen … und dann meinte eine Teilnehmerin sofort: „das ist doch nur ein Traum“… eine Kirche, in der kein Mensch mehr lügt, wo niemand einen anderen in falscher Hoffnung wiegt. Hier setzen manche Menschen ein großes Fragezeichen dahinter.
Zuvor haben wir uns die zwei zum Material dazugehörigen Cartoons angeschaut. Auf dem einen Bild ein großes steinernes Gebäude, eine Kirche, in den Fluten fortgespült und eine Möwe, eine Taube … manche meinten auch eine Krähe … bringt einen Rettungsring, der natürlich mehr für Menschen gemacht ist als für ein Gebäude … und in dieser Situation wenig auszurichten vermag. Mir fehlen beim Betrachten die Menschen, die vom Dach gerettet werden müssen, … oder bloß gut, dass keiner ernsthaft in Gefahr ist? Auch auf dem zweiten Cartoon geht der Blick auf ein Gebäude. Zwei Menschen, Männer, die dieses Gebäude fest in den Blick nehmen. Hier steht es fest im Mittelpunkt und scheint die Richtung anzuzeigen… da geht die Aufmerksamkeit hin. Der eine Mann träumt von der Welt, die die „kirchlichen Gebäude“ trägt, der andere Mann sucht dieses Gebäude mit der Lupe auf der Weltkarte. Kirche zwischen Bedeutung und Bedeutungslosigkeit würde ich gern mit Fragezeichen darüberschreiben?
Dann sagt eine Frau in unserer Runde: „Aber wir Menschen sind doch die Kirche!“ und ich bin erleichtert und wir kommen zurück zu Petrus, Paulus und Barnabas … einzelnen Menschen, die anfangs relativ ungeschützt in große Städte und kleine Dörfer aufbrechen und von Jesus erzählen. Ein beweglicher Haufen Menschen mit Klarheit im Herzen. Irgendwie ganz einfach – und doch – in den Geschichten oft unter Bedrohung für Leib und Leben. Die kleine Gemeinde derer, die sich um Jesus versammeln – die einmütig beieinander sind, sie ziehen in die Welt hinaus. Sie verkünden, erzählen von ihren außergewöhnlichen Erlebnissen. Sie erzählen es Griechen, Juden, Römern, Fremden, Einheimischen, manchmal geschehen Wunder und sie werden selbst für griechische Götter gehalten, Zeus und Hermes in Menschengestalt. Manche Menschen schenken ihrer Botschaft glauben und lassen sich taufen. Über alle Grenzen hinweg mischen sie sich unter das Volk. Sie lassen sich von Verzweifelten rufen und vor allem: Sie vertrauen ihrer Botschaft von Jesus Christus und dem Heiligen Geist. Immer wieder ist in den Bibeltexten der Ruf zu hören: „Steh auf!“, „Tabita, steh auf!“, „Petrus, schnell, steh auf!“, Paulus sagt zu dem Gelähmten: „Steh auf! Stell dich auf deine Füße und richte dich auf!“
Was würde geschehen, wenn wir das als christliche Gemeinschaft heute tun würden? Aufstehen, losgehen, Totes und Gelähmtes ins Leben rufen. Kirche träumen. Schauen wir auf unsere Gemeinden und Kirchen heute. Da stoßen wir schnell auf Herausforderungen. Doch meist sind wir uns in der Runde einig: Der starre Blick auf das Gebäude Kirche, so sehr wir auch daran hängen und vielleicht bauliche Ergebnisse erzielen, im Sinne: Hier sehe ich das Ergebnis meiner Arbeit - wird uns als christliche Gemeinden - als Gruppe von Menschen, die versuchen nach Jesu Botschaft zu leben - allein nicht retten. Auch heute noch gibt es falsche Propheten, mit leeren Versprechen ohne Tiefe für das Leben, wenn es hart auf hart kommt. In unseren Gemeinden kommen Menschen zusammen, die längst nicht immer ein Herz und eine Seele sind. Auch heute noch werden in der Kirche und in unserer Gesellschaft Menschen hochgejubelt, hochgepuscht, gehypt, über den Klee gelobt ... wie einst Paulus und Barnabas in Lystra (Apg 14, 8-20) für das Wunder an dem Gelähmten ... und dann als sich herausstellt, sie sind nicht Zeus und Hermes in Menschengestalt, wiegeln einige Wenige die Gruppe auf, die Gruppe lässt sich aufwiegeln und steinigt Paulus.
Wir finden es erschreckend wie viele aktuelle Beispiele uns dazu einfallen. Wir denken an alle Menschen, die ein öffentliches Amt bekleiden. An Schüler*innen, Menschen, die einfach im Job gefeuert werden, Beziehungen, in denen jemand einfach fallen gelassen wird. Jemanden "hochloben" und ihn dann "fallen" lassen. Vielleicht weil sich nicht erfüllt hat, was "ich" erwartet habe, vielleicht weil ich mich gekränkt und getäuscht fühle und mein Gegenüber gar nicht mehr wahrnehmen kann? In der Welt der Apostel und in der Welt der Missionsreisen des Paulus prallen oft unterschiedliche religiöse Werte und Welten aufeinander. Am Ende sind es in Apg 14 nur einige Wenige, denen es gelingt die Lunte des Hasses so weit zu zünden, dass die ganze Gruppe scheinbar einen Mord begeht und Paulus steinigt. Was er auf wundersame Weise überlebt. Beschimpfen, Niedertrampeln, Wortführer, Hammelherde, Angst, Egoismus, sind die Worte, die wir dafür einsammeln. Aber wir gehen auch der Frage nach: Wie fühlt sich ein Mensch, dem das widerfährt? Wir finden Worte, wie: verletzt, geschockt, überwältigt, ängstlich, betroffen, allein, verwundet, verzweifelt. Wir als christliche Gemeinden sind aufgefordert auf die Seite der Schwachen und Verletzten zu treten. Diakonisch. In allen unseren Orten gibt es Wunden zu verbinden und neue Wunder zu wirken, damit Menschen sich aus eigener Kraft aufrichten können. Deshalb träume ich eine Kirche, "die jedem Feind vergibt, Verletztes wird verbunden, der Schwache wird geliebt. Ich träume eine Kirche, die atmet Jesu Geist - und lebt die ganze Hoffnung, die unser Gott verheißt."
Es grüßt Sie aus dieser tollen Bibelwochenerfahrung mit den Kolleginnen und Kollegen des Bibelwochenteams (Sylvia, Helfried, Elisa, Susanne)
Pfarrerin Denise Scheel
Autor:Denise Scheel |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.