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Ministerpräsidentenwahl in Thüringen
Mit Gott, ohne Gott

Das mediale Interesse an der Wahl des Ministerpräsidenten war groß.  | Foto: Paul-Philipp Braun
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  • Das mediale Interesse an der Wahl des Ministerpräsidenten war groß.
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Es sind noch 31 Minuten, bevor sie beginnt: Eine der aufregendsten Landtagssitzungen, die der Freistaat Thüringen bisher erlebt hat. Es ist der zweite Anlauf um die Wahl zum Ministerpräsidenten in der siebten Legislaturperiode des Thüringer Landtags. Zur Wahl stehen Bodo Ramelow (Linke) und Björn Höcke (AfD).
Über den Ersten, der auch schon einmal Ministerpräsident war, weiß man, dass er bekennender Protestant ist. Der Zweite sagte der Zeitung Die Zeit einmal, dass biblische Geschichten für ihn "Begebenheiten aus einer fernen Welt" seien, in denen es "zu viel Wüste und zu wenig Wald" gäbe.  
Es wundert also wenig, dass jetzt – so kurz vor der alles entscheidenden Abstimmung – auch nur ein Kommando des Personenschutz´ beim Landeskriminalamt (LKA) vor dem Raum der Stille im Thüringer Landtag steht. Obwohl Höcke als auch Ramelow den Schutz genießen. Doch nur Bodo Ramelow sitzt in dem kleinen Andachtsraum in der ersten Etage des Plenargebäudes des Landtags. Zu seiner Linken  die SPD-Abgeordnete Dorothea Marx, der Platz zu seiner Rechten ist frei. "Kommen Sie ruhig rein, im Raum des Herrn ist für alle Platz",  sagt Ramelow, als der Reporter langsam und etwas unsicher auf den Raum der Stille zusteuert.
Eine Stunde vorher noch war der Raum der Stille leer. Niemand, der hier beten wollte. Niemand, der für die anstehende Entscheidung den Rat bei Gott suchte.
Auch Raymond Walk, CDU-Generalsekretär und gebürtiger Rhöner, sitzt im Raum. Er hatte in den letzten Wochen viel zu tun, es in der eigenen Partei nicht immer ganz leicht.  Ein Blick auf sein Facebook-Profil verrät, dass Walk ein recht fleißiger Gottesdienst-Besucher ist. Kirche, die sei ihm wichtig – hatte er vor einiger Zeit einmal gesagt –, vor allem gehe es ihm dabei aber um die gesellschafts- und identitätsstiftende Institution. Und auch Jonas Urbach und Christina Tasch – beide katholischen Glaubens, beide aus dem Eichsfeld – haben auf den Holzhockern ihren Platz gefunden. 
Christhard Wagner und Claudio Kullmann, die beiden Hausherren des Raums der Stille, stehen vor den Anwesenden. Die Tageslosung wird gelesen, eine Fürbitte, Zeit zur Andacht und zum stillen Gebet, ein Segen. Es vergehen nur ein paar Minuten, dann ist die Einkehr im Raum der Stille vorbei. Die CDU-Abgeordneten verlassen zügig den Raum, Ramelow bedankt sich bei den beiden Liturgen, geht ebenfalls raus. Auf dem Flur vor dem Landtag erwartet seine Frau ihn. Sie steht in Begleitung ihrer Tochter da. Ein Kuss, ein paar gute Worte. Politische Weggefährten und Vertreter aus der Gesellschaft kommen vorbei und wünschen ihm Glück, sie scheinen den intimen Moment zu stören. Dann geht Bodo Ramelow in den Plenarsaal. Wenig später kommen auch die Unionsabgeordneten an die Bänke des Hohen Hauses. Auf der Empore sitzen die beiden Kirchenmänner. Sie beobachten die Wahl, die ohne jegliche Religiosität auskommt. Nur kurz spielt Jesus eine Rolle. "Mach kein Scheiß mit deinem Kreuz!" steht auf einem Plakat der Partei Die Partei, welche zusammen mit gut 100 Menschen vor dem Thüringer Landtag demonstriert. Eines dieser Plakate – neben dem Spruch ist ein fröhlicher Christus zu sehen – schaffte es von außen an die Fensterfront über dem Rednerpult des Landtags. Doch die Landtagsverwaltung hat Mittel, die mutmaßliche Wahlbeeinflussung zu unterbinden. Die Jalousien werden heruntergefahren, Jesus die Sicht verstellt.
Nicht ganz drei Stunden nach dem Gebet ist es soweit: Mit den Stimmen der Linken, der SPD und der Grünen ist Bodo Ramelow erneut zum Ministerpräsidenten gewählt worden. Gegenkandidat Höcke war im dritten Wahlgang erst gar nicht angetreten und muss nun auch damit leben, dass Ramelow ihm den Handschlag bei der Gratulation verweigert.
Ob es ein Wink vom Himmel war, dass Höcke zurückzog oder reines Taktieren, bleibt offen. Fakt ist, dass Ramelow trotz christlichen Glaubens und Gebet vor der Wahl die optionale Gottesanrufung bei seinem Eid nicht spricht. Bereits bei seiner ersten Wahl im Jahr 2014 hatte Ramelow das "so wahr mir Gott helfe" nicht gesprochen.  Der mediale Aufschrei damals: Groß und vielfältig. 
Sechs Jahre später gibt es kaum relevante Schlagzeilen, die sich mit der Thematik beschäftigen. Zu stark scheint Ramelows Erklärung für eine strikte Trennung von Kirche und Staat inzwischen überzeugt zu haben. Und obwohl Ramelow noch vor der Wahl im Raum der Stille mit Gott sprach, in der Vereidigung spricht er ihn nicht an. 
Schon kurz nach der Wahl erklären die Bischöfe von Erfurt, Dresden-Meißen und Fulda schriftlich, dass sie es "begrüßen, dass jetzt eine Regierung gebildet wird und das Kabinett seine Arbeit aufnimmt". Der Landesbischof der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) Friedrich Kramer gratuliert Ramelow per Presseerklärung und wünscht ihm für sein Amt Gottes Segen.  Und auch die Bischöfin der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck übersendet ein Glückwunschschreiben, in dem zu lesen ist: "Möge es miteinander gelingen, Demokratie zu stärken und der politischen Verantwortung gerecht zu werden."
Der Raum der Stille ist an diesem Abend leer. Obwohl Dutzende Journalisten auf dem Gang davor arbeiten, geschäftiges Treiben herrscht und Beten wohl auch in dieser Situation für manchen angemessen erscheinen mag.
Paul-Philipp Braun

Glaube+Heimat ist nah dran. Hier finden Sie weitere Informationen und Meinungen zur Wahl des Ministerpräsidenten:

Das mediale Interesse an der Wahl des Ministerpräsidenten war groß.  | Foto: Paul-Philipp Braun
Kein "So wahr mir Gott helfe" – Bei seiner Vereidigung verzichtete Bodo Ramelow auf die Gottesanrufung.  | Foto: Paul-Philipp Braun
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