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»Damit sich Geschichte nicht wiederholt, muss man sie kennen«

Erntet Skepsis und Anerkennung zugleich: Der Vorsitzende der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen, Reinhard Schramm, in der Synagoge in Erfurt. Einmal im Monat ist er im Jugendgefängnis und erzählt die Geschichte seiner Familie. Er kommt als Jude, der im Holocaust fast seine ganze Familie verlor. Und als Vater, dessen Sohn in der Endzeit der DDR ins Gefängnis kam. | Foto: epd-bild
  • Erntet Skepsis und Anerkennung zugleich: Der Vorsitzende der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen, Reinhard Schramm, in der Synagoge in Erfurt. Einmal im Monat ist er im Jugendgefängnis und erzählt die Geschichte seiner Familie. Er kommt als Jude, der im Holocaust fast seine ganze Familie verlor. Und als Vater, dessen Sohn in der Endzeit der DDR ins Gefängnis kam.
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Der jüdische Professor und die Rechtsextremen: Reinhard Schramm spricht seit vielen Jahren mit Straftätern in der Jugendstrafanstalt.

Von Dirk Löhr

Der Brandanschlag auf die Erfurter Synagoge im Jahr 2000 war der Impuls für den »Thüringen Monitor«: Jenaer Wissenschaftler untersuchen seitdem regelmäßig die politische Kultur im Land. Der These »Die Juden haben einfach etwas Besonderes und Eigentümliches an sich und passen nicht so recht zu uns« schloss sich 2017 jeder siebte befragte Thüringer an.
Manche setzen ihre antisemitische Einstellung in Taten um, einige landen letztlich im Gefängnis. Dann sind sie ein Fall für Reinhard Schramm.
Der frühere Professor der Technischen Universität Ilmenau und heutige Vorsitzende der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen kommt einmal im Monat in die Jugendstrafanstalt des Landes in Arnstadt. Er trifft sich mit Gefangenen, um mit ihnen über seine Familiengeschichte zu sprechen. Darunter sind junge Männer, die auch ihre rechtsextreme Gesinnung hinter Gitter brachte. Die verurteilt wurden, weil sie schlugen oder zündelten.
Das erste Mal kam Schramm nach dem Anschlag auf die Synagoge. Einer der drei Täter bereute seine Tat. Der Professor traf sich mit ihm, redete mit ihm. Eine Aktion, die nicht allen in der Jüdischen Gemeinde gefiel. Im Gegenteil, manche zweifelten offen am Sinn derartiger Bemühungen.
In diesem Fall zu Unrecht: Schramm bekam später einen Brief des jungen Mannes. Er habe mit dem rechten Zeugs nichts mehr gemein, habe darin gestanden. Ein Zeichen? Ein Ansporn allemal. Seitdem geht der 73-Jährige regelmäßig in den Knast. Monat für Monat, »außer im Sommer«, sagt er und lacht.
Reinhard Schramm lacht gern. Er ist von ansteckender Fröhlichkeit, seine blauen Augen blitzen, wenn er einen Scherz macht. Doch sie werden sehr ernst, wenn er seine Lebensgeschichte erzählt.
Die jüdische Mutter überlebt, weil sich ihr nichtjüdischer Mann nicht scheiden lässt. Er selbst wird 1944 in Weißenfels im heutigen Sachsen-Anhalt geboren. Die ersten Monate seines Lebens verbringt er bis zum Kriegsende mit seiner Mutter im Versteck. Außer den beiden werden alle jüdischen Familienmitglieder umgebracht.
Seine Mutter will nach dem Krieg nur noch weg, in den neuen Staat der Juden. Doch Reinhard bekommt Keuchhusten. Im Krankenhaus sorgen sich die Ärzte mit Hingabe um ihn. Er wird wieder gesund. Später erfährt er, die gleichen Ärzte haben in der Nazizeit einem anderen jüdischen Kind die Behandlung verweigert: Bernd Wolfson starb an einer vereiterten Mittelohrentzündung.
Es sind Geschichten wie diese, die seine Zuhörer schlucken lassen. Er setzt sie bewusst ein. Es sind wahre Geschichten, seine Erlebnisse. Sie erzählen davon, wie im NS-Deutschland Nachbarn zu Fremden wurden, der Wert der Juden in den Augen vieler Deutscher von Tag zu Tag sank. »Bis wir nur noch Ungeziefer waren, das man zertreten kann«, setzt Schramm den Schlusspunkt. Dies soll sich nie wiederholen. Deshalb geht er regelmäßig in den Knast.
Schramm ist Ingenieur, kein Träumer. Doch er hofft, dass er mit der Geschichte seines Lebens und seiner Familie bei den jungen Leuten mehr erreichen kann als tumbe Sprücheklopfer. Meist seien seine Zuhörer interessiert, sagt er, fragten gezielt nach. Für fast zwei Stunden können sie seiner Wahrheit nicht entfliehen.
»Damit sich die Geschichte nicht wiederholt, muss man sie kennen.« Das ist einer der Sätze, die er gern benutzt. Doch es geht ihm nicht nur um Historie, um die große Welt. Reinhard Schramm kommt auch als Vater. Denn sein Sohn saß selbst im Gefängnis. Zum Ende der DDR machte er aus seiner Meinung über den Arbeiter-und-Bauern-Staat keinen Hehl. Offen sprach er davon, das Land bei der erstbesten Gelegenheit zu verlassen, arbeitete wohl auch aktiv an einem Plan dazu. Der SED-Obrigkeit wurde das zu viel. Sie sperrte ihn kurzerhand ein. Reinhard Schramm hat die Monate seines Kindes im Gefängnis nicht vergessen. Wie die Zeit in der Zelle seinen Jungen veränderte, ihm mit jedem Tag mehr den Lebensmut nahm. Wie der Sohn begann nachzudenken, ob das alles noch Sinn für ihn habe. »Eine schlimme Zeit«, erinnert sich der Vater. Auch deswegen geht er jeden Monat aufs Neue in das Jugendgefängnis. Das bringt ihm immer noch Skepsis, aber auch Anerkennung ein.
»Ich kenne seine Initiative seit dem Brandanschlag und bewundere seine Ruhe und Konsequenz, mit der er sich diesen Gesprächen stellt«, sagt Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke). Er sei beeindruckt davon, wie Schramm immer wieder auf Menschen zugehe, bei denen er unterstellen müsse, dass diese bei einer nächtlichen Begegnung eher Angst auslösen würden. »So baut er Ängste auf beiden Seiten ab«, meint der Regierungschef. Und fügt noch an: »Mehr davon wäre wünschenswert.« (epd)

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